Die Geheimnisse des Begehrens

13.06.2008
Der Psychoanalytiker Jamal hat ein großes Geheimnis. Hat es zu tun mit dem traumatisierendem Mord aus seiner Jugend und dem Verschwinden seiner ersten großen Liebe Ajita? Hanif Kureishi, Schriftstsller und Drehbuchautor ("Mein wunderbarer Waschsalon") lässt seinen Protagonisten Jamal im skurril-witzigen Schicki-Micki-London von heute der Frage nachgehen: Warum wurde ich, was ich bin? -und zeichnet dabei ein lebendiges Bild einer Welt zwischen den Kulturen.
"Meine Währung sind die Geheimnisse: Ich lebe davon, mit ihnen zu handeln."

Mit diesem schönen Satz beginnt der umfangreiche und geschichtengesättigte Roman des britischen Romanciers und Drehbuchautors Hanif Kureishi, der mit den Drehbüchern für "Mein wunderbarer Waschsalon" (1985) und "Sammy und Rosie tun es" (1987), "Intimacy" (2001) sowie seinem ersten Roman "Der Buddha aus der Vorstadt" (1990) bekannt wurde.

Jamal, der wie sein Autor britische und pakistanische Wurzeln hat, ist Psychoanalytiker mittleren Alters in London und erzählt von "den Geheimnissen des Begehrens" und von dem, "was die Menschen wirklich wollen und wovor sie sich am meisten fürchten." Er erzählt freilich weniger die Geschichten seiner Patienten als seine eigene Geschichte: Wie, so fragt er sich, kam es dazu, dass er überhaupt Analytiker wurde?

Am Anfang stand ein Mord und das traumatisierende Verschwinden seiner ersten großen Liebe Ajita. Mit diesen Andeutungen zieht der Erzähler das Publikum in seinen Roman. Am Ende der Lektüre hat man viele Menschen — skurrile, ausgeflippte, verrückte, ganz normale — kennengelernt, hat man ein lebendiges Panorama der zeitgenössischen Schicki-Micki-Welt Londons in Erinnerung. Wir haben viel erfahren über Jamals Jugend in London, seine Jahre auf der Universität, seine Schwierigkeiten mit der (alleinerziehenden) Mutter und dem längst wieder nach Pakistan zurückgekehrten Vater, über seine Konkurrenz mit seiner "verrückten" Schwester Miriam, seine große Leidenschaft für Ajita, über seine spätere gescheiterte Ehe mit Josephine, über seine enge Freundschaft mit dem monomanischen Regisseur Henry, der keiner Drogen- oder sexuellen Erfahrung abhold ist, über die Liebe zu seinem zwölfjährigen Sohn Rafi. Wir haben schwule und heterosexuelle Rockstars auf Parties erlebt, von Henrys später Liebe zu Miriam und beider Ausflüge in die Welt von SM gehört. Kurz: Wir sind mit Jamal durch Vergangenheit und Gegenwart gestreift. Und wir haben Jamals großes Geheimnis kennengelernt, sein großes, lebensbestimmendes Schuldgefühl.

Das hört sich nach Abgründen und atemberaubender Spannung an. Genau darum geht es in dem Roman aber nicht. Was er bietet, ist ein sehr lebendiges Bild einer Welt zwischen den Kulturen (in jedem Sinne), das von einem neugierig beobachtenden, aber immer irgendwie unbeteiligt scheinenden Erzähler notiert wird. Das passt zu seinem Beruf, nicht aber zu dem, was ihn selbst, wie er nicht müde wird zu betonen, sein Leben lang umtreibt. Aber vielleicht geht es genau darum: Dass die großen Geheimnisse, die seelischen Abgründe, all die Verrücktheiten und ja, vielleicht auch die Verbrechen, eine ganz normale Seite haben. Das Geheimnis wird nebenbei gelüftet und fügt sich nahtlos in die Geschichte ein, die verlorene Liebe wird wieder gefunden und verliert dadurch ihren Zauber und ihre Bindekraft. Am Ende steht eine Art von Versöhnung: mit dem eigenen und den fremden Leben – und damit wird der Weg in die Gegenwart frei.

Rezensiert von Gertrud Lehnert

Hanif Kureishi: Das sag ich dir
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Fischer, Frankfurt am Main 2008
512 Seiten, 19,90 Euro