Die geheimen Geschäfte der DDR

12.08.2013
Waffenhandel, Technologieschmuggel oder der Freikauf von 30.000 politischen DDR-Häftlingen durch die Bundesrepublik: All diese Deals wurden im Ost-Berliner Außenhandelsministerium über Alexander Schalck-Golodkowski abgewickelt. Dieses Buch bringt Licht in sein internationales Firmengeflecht.
Eine sinistere Figur: Kaum einer ahnte, wer er war, niemand wusste, was er tat – Alexander Schalck-Golodkowski, Stasi-Offizier, Staatssekretär und Chef einer Abteilung im Ost-Berliner Ministerium für Außenhandel. "Bereich Kommerzielle Koordinierung" hieß die Abteilung, kurz: KoKo.

Kurz nach der Wende wurden Mann und Werk jäh bekannt, Mythen rankten sich: KoKo hätte im Westen dunkle Geschäfte gemacht, Reichtümer angehäuft, Staat im Staate sei der Bereich gewesen, ein Schattenreich, nur dank KoKo hätte die marode DDR so lange überlebt. Geschäfte im Zwielicht, mit dem Klassenfeind? Das klang nach Mafia.

Der promovierte Wirtschaftshistoriker Matthias Judt bringt Licht ins Dunkel. In einer übersichtlichen Studie beschreibt er Gründung, Werdegang und Tagesgeschäft des Imperiums. Skandale interessierten den Autor nicht, und dennoch liest sich sein Buch streckenweise wie ein Krimi.

Koko entstand 1966. Die DDR, isoliert, rang damals um Anerkennung, der Westhandel lief nur mit Mühe, Staat und Partei brauchten aber Devisen. Die sollte KoKo besorgen, legal, illegal, mit Moral oder ohne. Aus dem Bereich wurde in gut zwei Jahrzehnten ein schwer durchschaubares Geflecht von Firmen und Kontakten. Wikipedia spricht von 170 Unternehmen mit 3100 Mitarbeitern im In- und Ausland. Gesamtumsatz, angeblich: 30 Milliarden D-Mark.

Schalck-Golodkowski sollte Geld besorgen - legal oder illegal
Das waren einige Geschäfte des Verbunds: Koko betrieb Firmen im Westen, finanzierte dort die Kommunisten, lieferte Benzin nach West-Berlin, versorgte die Devisenläden der Intershop-Kette und das Versandhaus Genex, importierte westlichen Müll, schmuggelte Technologie, die auf Embargolisten stand, spekulierte an Börsen, verhökerte Kunst von Privatleuten. Und manche Geschäfte waren richtig schmutzig: KoKo dealte mit Waffen, Blut – und mit Menschen. Über KoKo kaufte die Bundesregierung in der DDR politische Häftlinge frei. 30.000 Gefangene. Gegen Rohstoffe im Wert von drei Milliarden D-Mark. Es war das lukrativste KoKo-Geschäft, sagt Matthias Judt.

Ab den Siebzigern war die DDR ein halbwegs anerkannter Staat, die Regierung hätte den Bereich auflösen können. "Doch genau das Gegenteil geschah", schreibt Judt. "Die Bedeutung von KoKo nahm in den 1970er und 1980er Jahren noch weiter zu." Warum? Weil Ost wie West von den Sonderrechten dieser kapitalistischen Firma in der Planwirtschaft profitierten.

Über KoKo lief die sogenannte "Gestattungsproduktion": Markenfirmen wie Salamander und Nivea ließen im Osten billig produzieren. Und: KoKo besorgte jene Kredite, ohne die die DDR bankrott gewesen wäre.

Matthias Judt widerlegt einige Mythen: War KoKo Staat im Staat? Nein, der Bereich sei Teil des Systems geblieben, von SED-Spitze und Stasi streng kontrolliert. Hat KoKo den Niedergang der DDR verzögert? Nein, meint Matthias Judt. Die Devisen seien in den Konsum geflossen oder in die Produktion von Gütern für den Westen. Die DDR-Wirtschaft erhielt keinen Innovationsschub, so wuchs der Abstand zwischen Ost und West. Der Autor glaubt, "dass KoKo der DDR letzten Endes eher Schaden zugefügt hat".

Judts Text wirkt sprachlich etwas schwierig - das Buch enthält viel hölzernen Nominalstil -, doch die Studie ist gut gegliedert und bemerkenswert detailreich. KoKos Beziehungen in die weite Welt werden nicht erhellt, die Kontakte zu den deutschsprachigen Nachbarn dafür desto genauer. Die bittere Ironie der KoKo-Geschichte: Ausgerechnet ein Instrument aus rauem kapitalistischem Geist sollte den Sozialismus retten.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski – Mythos und Realität.
Christoph Links Verlag, Berlin 2013
304 Seiten, 29,90 Euro