Die ganze Stadt ist ein Fest

Von Michael Laages |
Die Ruhrfestspiele leben nicht nur von den Theaterregisseuren und deren Stücken, sondern vor allem vom Publikum. Das ist im Ruhrgebiet schnell zu begeistern. Zu den Höhepunkten des Festivals zählt das derzeit in Recklinghausen stattfindende "Fringe"-Festival. Bis Mitte Juni wird noch gefeiert.
Populärer geht’s ja kaum. Nur, wenn die Ruhrfestspiele etwa William Shakespeare zum "Schwerpunkt" küren würden. Und auch das gab’s ja schon (und immer wieder) im Hoffmann-Jahrfünft - der Routinier aus Luxemburg weiß durchaus, womit er Publikum aus der Region gewinnen kann, selbst, wo er es stark überfordert. Etwa mit den leider auch ästhetisch unterklassigen Produktionen des englisch-amerikanischen Brücken-Projektes mit dem Regisseur Sam Mendes.

Englisch im Original? Oioioi - in Recklinghausens puppenstubenhaft beschaulicher Innenstadt tut sich die Kundschaft ja schon schwer mit einer anderen englischen Innovation, dem "Fringe" (oder hier eben oft: "Fringge")-Festival, gleich gegenüber und nebenan von Hauptbahnhof und Kolpinghaus. Aber davon gleich mehr.

Hoffmann selbst inszenierte Strindbergs "Traumspiel" (mit prächtiger Besetzung: Wolfram Koch etwa und Jacqueline Macaulay), holte Thomas Ostermeiers Ibsen-Borkman von der Berliner Schaubühne, Matthias Hartmann mit einer ehedem Bochumer Jon-Fosse-Arbeit aus Zürich und gleich mehrere Ibsen-Produktionen vom Deutschen Schauspielhaus in Hamburg (dem Ur-Partner der Festspiele aus den "Kunst für Kohle"-Gründerzeiten der 50er Jahre!). Er lud Luk Percevals Ingmar-Bergman-Inszenierung "Nach der Probe" ein (die in Hannover schon für das zukünftige Hamburger Thalia-Team entstand), aber auch Harald Schmidts Stuttgarter Hamlet-Ulk über den "Prinz von Dänemark". Hauptsache Norden, irgendwie, rundum im Theaterland eingekauft mit gut gefülltem Geldbeutel. Und nur en miniature sind Überraschungen möglich - etwa mit Ludwig Holbergs "Jeppe vom Berge" in einer Studentenproduktion der Essener Folkwangschüler, in dieser Woche beim "Fringe".

Dieses "Fringe"-Fest mitten in der Stadt will das Ereignis hinter den Ereignissen sein - eine Ambition von Rang.

Das Berliner "Rambazamba"-Theater um die Regisseurin Gisela Höhne zeigt nun schon seit drei Jahren die zur Fußballweltmeisterschaft 2006 entstandene Show "Ein Herz ist kein Fußball". Die Truppe ist schon ziemlich weit herum gekommen damit, und nun präsentiert sie auch in Recklinghausen "die wahren Helden auf dem Platz".

Die Behinderten und Schauspieler von "Rambazamba" beschwören die Rituale der Kickerei, die den Kern des extrem bunten Spektakels bilden, längst routiniert und mitreißend zugleich - inklusive der Botschaft, dass der Ball sich selbstständig macht und verschwindet, wenn allzu martialisch um ihn gekämpft wird, wie Nele Winkler im chinesischen Märchen erzählt.

Am Schluss ist (natürlich) der Ball wieder da - und das Publikum feiert "Rambazamba" als "wahre Helden auf dem Platz". Wenn’s gut geht, ist dies (wie fast überall im Ruhrgebiet!) stets das größte Ereignis: dieses rückhaltlos begeisterungsbereite Publikum! Das gibt es sonst so nicht, und wer als Theatermensch damit nicht wuchern kann, braucht gar nicht erst anzutreten.

Der "Fringe"-Besuch kann zum Marathon ausarten - drei Stücke gibt’s pro Tag im kleinen Zelt. "Rise" ist das zweite, eine Choreographie der Gruppe um den Engländer Tom Dale: Tanz, der sich aus der Körper-Kunst des Hip-Hop entwickelt, sich aber nicht in dessen Moden festgefressen hat. Vier sportliche Tänzer, keine Story - eine Fantasie vom Hinterhof. Und ein bisschen klingt "Wie es euch gefällt", Shakespeares Klassiker mit Essener Folkwang-Studenten, ganz ähnlich - recht roh und ruppig hingerotzt, bis zur finalen Eheschließung unter Narren.

Große Momente sind das durchweg nicht, die schönsten (bei "Rambazamba") sind auch schon etwas älter. Wichtig bleibt das Kennenlernen - für die Festspiele wie für die Recklinghäuser Kunden, die zu Beginn oft nicht mal wissen, was sie jetzt gleich erwartet: und doch zu begeistern sind.

Vom "Begeisterungsauftrag" des Theaters heute sprach vor Jahren in einem Vortrag die Regisseurin Andrea Breth. Vielleicht kann Hoffmanns Sammelsurium an der Ruhr ja ein Teil dieses großen, schwierigen Auftrags sein.