Die Galerie als Kunstobject

Von Carsten Probst · 20.06.2009
Galeristen suchen, entdecken und verkaufen Kunst, sind aber selber (meist) keine Künstler. Einer, der nach eigener Aussage durch seinen Beruf "unsterblich" werden will, ist jedoch der Galerist Judy Lybke. Der Mann, der die Neue Leipziger Schule um Neo Rauch zum Bestseller machte, präsentiert nun als einer von zwölf Ausstellungsmachern sein Erfolgsrezept in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst.
Der Auftritt der Galerie EIGEN + ART in einem Museum mag für die einen ein Horrorszenario sein. Für Judy Lybke ist die Verschmelzung von privatem Kunsthandel und öffentlichem Kunsthaus dagegen nur konsequent. Denn Lybke hegt eine alte Aversion gegen alles Marktmäßige. In einer virtuosen postmarxistischen Dialektik des Kunstverkaufens hat er in den Jahren seit der Wende den tapferen Marsch über die großen Messen des westlichen Kunstmarktes angetreten, um zu zeigen, dass in der Kunst ganz andere Werte gelten. Nicht um Geld geht es ihm, sondern um Geschichte. Er will Kunstgeschichte schreiben mit seiner Galerie, die Niederungen des Händlerwesens hinter sich lassen, und das demonstriert gerade auf den größten Messen in London oder New York seit einigen Jahren:

"Wir haben seit drei Jahren angefangen, Einzelausstellungen zu machen auf den Messen, das heißt, es wirklich nicht als Messe zu sehen, sondern es zu sehen als Ausstellungshalle, die uns zur Verfügung steht, und dann dort auf dieser Ausstellungshalle darauf hin zu arbeiten, mit dem Künstler ein Jahr lang ein Konzept zu machen, wo man nur diesen einen Künstler zeigt, sonst nichts, so dass man den Marktmechanismus einer Messe wegdrückt und mehr dazu kommt, dass man einen Ausstellungsmechanismus hat. Man benutzt dann diese Messen anders, als sie gedacht sind, hat dann aber temporär so etwas wie eine museale Ausstellung."

Für die ausgewählten Künstler mag das ein großer Auftritt sein, dass sie sich die engen Messekojen nicht ständig mit anderen Künstlern der Galerie teilen müssen. Diejenigen Künstler, die dabei außen vor bleiben, werden das womöglich auf Dauer anders sehen. Auf einem nachgebauten Messestand, wie ihn Lybke auf der New Yorker Armory Show zeigt, hängen Installationen und Gemälde von Jörg Herold, und eigentlich, meint Lybke, gäbe es dabei praktisch gar keinen Unterschied mehr zwischen Messekoje und Museum.

"So sieht dann ein Ausstellungsraum auf einer Messe bei uns aus, wenn wir in New York sind. Plötzlich ist das eine richtige Show, eine richtige Ausstellung, die nichts mehr zu tun hat mit: Kauf ich dieses oder kauf ich jenes, weil man sieht schon an diesen verschiedenen Farben, das gehört irgendwie zusammen, und das scheinbar auch. Und das ist schon nicht so dargestellt, als ob man es nicht sofort einzeln mitnehmen könnte. Hier geht's mehr um eine Information, die man weitergeben will, und nicht um einen Verkauf, und in New York, wo all diese großen und wichtigen Sammler sind und die Kuratoren und die Museen, ist es doch viel nachhaltiger, wenn man mit einer Künstlerposition hingeht jeweils im Jahr, weil es bringt viel mehr, wenn man dann hinterher im Metropolitan Museum Ausstellung hat, als wenn man etwas nur verkauft hätte."

Natürlich sieht es jeder Sammler und jeder Galerist gern, wenn sich die öffentlichen Museen - am liebsten die größten und bekanntesten - als Durchlauferhitzer für die Preise der eigenen Künstler nutzen lassen. Trotzdem gibt es immer noch einen Unterschied zwischen Museen und Galerien bzw. Kunstmessen. Er besteht unter anderem darin, dass ein Galerist für einen Auftritt seines Künstlers im Museum nichts zahlt, während die Messekojen Geld kosten. Auch die Auswahlkriterien, welche Galerie auf eine Messe darf, sind ja andere als die, welche Künstler in einem Museum gezeigt werden. Lybke weiß das. Dass seine Suggestion, seine Galerie sei eigentlich ein Museum, seit Jahren funktioniert, zählt daher zu den bemerkenswerten Erscheinungen der gegenwärtigen Kunstszene. Lybke weiß auch, dass auf dem Kunstmarkt Sehnsüchte gehandelt werden. EIGEN+ART hat sich zur Anwältin der Sehnsucht nach einer verlorenen Volkskunst gemacht, die noch erkennbar war und irgendwie "uns alle" betraf und nach Meinung nicht weniger Kunstfreunde irgendwo bei den alten Meistern zu finden sein muss . Die großformatigen Fotografien nackter Frauen von Martin Eder, die Lybke auf dem Berliner art forum ausstellt, sind daher nicht nur Verkaufsobjekt, sondern auch Symbol dieser Sehnsucht, die das deutsche Publikum ziemlich genau seit der politischen Wende 1989 für sich entdeckt hat. Frauen posieren für den Maler Eder in Haltungen wie auf Gemälden alter Meister, und sie tun dies für die Ewigkeit. Und die Bewahrung der Ewigkeit ist Judy Lybkes ganz spezielles Anliegen:

"Man hat auch eine Vorstellung, wie man gerne für die Ewigkeit, weil gemalt, sich posiert, und kommt dort hin und sagt also: Du, ich habe deine Arbeiten gesehen, ich habe gesehen, wie wunderbar deine Malerei ist. Das liegt mir. Ob das nun verkitscht ist oder nicht, ist eine andere Frage, und ich möchte gerne so gemalt werden. Und deswegen ist das, wie die Mädchen kommen und wie sie posieren, ist eigentlich nichts fürs Foto, sondern die posieren für die Ewigkeit. Wie sie einmal gemalt am Ende für immer und ewig an der Wand verewigt werden möchten. Diejenige, die das macht, bestimmt, wie fotografiert wird, welche Accessoires sie anhat und alles das. Und die bringen auch alles mit. Und die Pose ist die Pose, die die Frauen sich vorher überlegt haben auch vorm Spiegel, wie man sich dann posiert. Was bleiben soll, nicht?"

Den Kult der Selbsthistorisierung hat Judy Lybke mit seiner Galerie zwar nicht erfunden, aber gewieft weiß er ihn für sich zu nutzen. Seine Künstler und ihre Auftritte sind zum Markenzeichen dieses Historienkultes geworden - nichts anderes verdeutlicht diese riskante, aber auch außergewöhnliche und kluge Ausstellung der Galerie für Zeitgenössische Kunst in schöner Eindringlichkeit.

Info
Judy Lybke gastiert mit seiner Galerie Eigen + Art bis zum 16. August in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst