Die frühen Christen und der Weltuntergang

Von Irene Binal · 17.08.2013
Die Offenbarung des Johannes ist das wohl geheimnisvollste Buch der Bibel. Die amerikanische Religionswissenschaftlerin Elaine Pagels behauptet, es entschlüsselt zu haben. Das ist etwas übertrieben, aber immerhin stellt sie die Apokalypse in den historischen Kontext ihrer Entstehung.
Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner und sieben Häupter und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern lästerliche Namen. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie Bärenfüße und sein Rachen wie eines Löwen Rachen.

So sieht sie aus, die Apokalypse, das Ende der Welt, glaubt man jenem Johannes, der das letzte Buch der Bibel verfasste und seither Gelehrte wie Laien beschäftigt. Wer war dieser Mann mit den alptraumhaften Visionen? Und wie gelangte sein Text in die Bibel? Diesen Fragen geht Elaine Pagels nach, in einem Buch, das etwas mehr verspricht, als es halten kann: Denn wirklich entschlüsselt wird die rätselhafte Schrift nicht, vielmehr in einen historischen Kontext gesetzt:

Die Geschichte der Johannesoffenbarung und ihre Interpretation durch die Christen beginnt zu der Zeit, als Jesu Anhänger eine kleine und verfolgte Minderheit bildeten, und führt über die sich allmählich etablierende Bewegung bis zur Festsetzung des neutestamentlichen Kanons, nachdem Kaiser Konstantin Christus zu seinem Schutzherren und das Christentum zur vorherrschenden Religion des Römischen Reichs erklärt hatte.

Eine historische Aufarbeitung freilich ohne bahnbrechende neue Erkenntnisse. Dass der Verfasser der Offenbarung, Johannes von Patmos, nicht mit dem Jünger Jesu identisch ist, gilt als erwiesen, ebenso ist bekannt, dass sein Text nur eine von vielen Offenbarungen war, die sich alle mit dem Ende der Welt auseinandersetzten und dabei meist recht profane politische Ziele verfolgten: Die immer wieder aufflackernden Aufstände der Juden gegen die römische Besatzung wurden metaphorisch zur Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, Visionen vom Jüngsten Gericht, der Verdammnis der Sünder und der Erlösung der Gerechten sollten den Verfolgten Hoffnung geben. 1945 wurden im ägyptischen Nag Hammadi mehrere Offenbarungstexte gefunden, mit denen sich Pagels intensiv auseinandergesetzt hat:

Im Unterschied zu den enorm populären Offenbarungen, die Johannes von Patmos wahrscheinlich in öffentlichen Gottesdiensten las oder predigte, verlangen die geheimen Schriften von dem geistig Suchenden schwierige Gebete, Studium und geistige Disziplin – ähnlich wie jüdisch-mystische Texte und esoterische buddhistische Praktiken.

Das wiederum ging der Kirche gegen den Strich, denn:

… da sich solche Schriften an Menschen richten, die bereit sind, sich auf spirituelle Übungen einzulassen, um direkt mit Gott in Verbindung zu treten, brauchen sie tendenziell keinen "Klerus".

Die Johannesoffenbarung war praktischer und erwies sich als vielseitig verwendbar: Sie konnte sich gegen die Römer richten, aber auch gegen Heiden, Juden oder Häretiker in den eigenen, christlichen Reihen. Ein flexibler Text also, in dem jeder finden konnte, was er gerade brauchte – und den der Bischof von Alexandria, Athanasius, im vierten nachchristlichen Jahrhundert kurzerhand zum Schlussstein des neutestamentlichen Kanons erklärte, womit er sämtliche anderen Offenbarungen ausschloss:

Athanasius war gewiss nicht entgangen, dass die Offenbarung das einzige Buch einer neutestamentlichen Sammlung ist, welches den Anspruch erhebt, seine Texte seien göttlich geoffenbarte Prophezeiungen.

Es ist ein detaillierter Streifzug durch die Geschichte der frühen Christenheit, in dem Pagels Propheten und Prediger von Hesekiel über Esra bis hin zu Paulus auftreten lässt. Leider bleibt dabei der Inhalt der Johannesoffenbarung weitgehend auf der Strecke.

Nur ein Kapitel befasst sich mit der Deutung, aber auch hier orientiert sich Pagels streng am historischen Blickwinkel. Die mystisch-transzendente Ebene des Offenbarungstextes wird ebenso ausgespart wie seine komplexe literarische Struktur: Für Elaine Pagels ist die Geschichte der einzige Code zur Entschlüsselung der Schrift des Johannes:

Doch wir können das, was er geschrieben hat, nur verstehen, wenn wir uns vor Augen halten, dass es ein Text aus einer Kriegszeit ist.

Und so liefert Elaine Pagels keine Überraschungen, dafür aber eine solide historische Aufarbeitung, die bisherige Forschungsergebnisse zusammenfasst und der auch der interessierte Laie folgen kann. Die Geschichte der frühen Christenheit mutet stellenweise sehr aktuell an.

Da wird instrumentalisiert und verfälscht, da werden Gegner in den eigenen Reihen ebenso rücksichtslos bekämpft wie Feinde von außen. Und es ist bedauernswert, dass Elaine Pagels nicht die literarische Spritzigkeit besitzt, um diese Vorgänge anders als wissenschaftlich-trocken darzustellen. Nur selten gestattet sie es sich, den akademischen Duktus zu verlassen – und dann erhält man eine Ahnung davon, was möglich gewesen wäre, hätte Pagels sich etwas weniger auf die historischen Hintergründe und etwas mehr auf die psychologische Dimension eines Textes konzentriert, dessen eindrückliche Bildsprache bis heute wirkt:

Das Buch der Offenbarung liest sich, als habe Johannes unsere schlimmsten Ängste – die Furcht vor Gewalt, vor Seuchen, wilden Tieren, unvorstellbaren Schrecknissen aus den Tiefen der Erde, vor Blitz und Ungewitter, Hagel, Erdbeben, Vulkanausbrüchen und den Horror von Folter und Krieg – in einem einzigen, großen, alptraumhaften Szenario gebündelt. Seine Visionen von Drachen, Ungeheuern, Müttern und Huren sprechen nicht den Verstand, sondern das Herz an. Und wie unsere Träume und Albträume erzählen sie von dem, was wir fürchten und hoffen.

Elaine Pagels: Apokalypse – das letzte Buch der Bibel wird entschlüsselt
Verlag C.H. Beck, München 2013
219 Seiten, 19,95 Euro