Die Freiheit des Außenseiters
Albert Camus' Erzählung "Der Fremde" hat noch in den 1960iger und 70iger Jahren großen Einfluss ausgeübt, geriet dann aber in Vergessenheit. Jetzt hat das Theater Basel den Text ausgegraben und für eine Inszenierung genutzt, die mit sparsamsten Mitteln arbeitet und eigentlich eine szenische Lesung ist.
Es ist eine programmatische Inszenierung: Werner Düggelin, der Regisseur dieses Abends, verzichtet auf die gesamte Beeindruckungs-Maschinerie, die Theater normalerweise ausmacht, und geht puristisch zurück auf den Text. Zwei Schauspieler sitzen auf einem Bett und lesen ein Buch, eine Erzählung, die heute selber seltsam fremd wirkt in ihrer radikalen Verweigerungshaltung.
Meursault, Camus‘ Protagonist, der 1942 im Algier der Kolonialzeit völlig gleichgültig vor sich hinlebt, den keine Frau wirklich reizt, den kein beruflicher Aufstieg interessiert – dieser Mann stößt in uns, im Publikum gleichwohl etwas an. Seine Infragestellung alltäglicher Übereinkünfte, sein mikroskopisch genauer Blick, seine Haltung des "Ich spiele nicht mit" beinhaltet nämlich auch eine große innere Freiheit. Wer gar nichts gewinnen will, wer nicht mitmacht im täglichen Wettrennen um Geld, Aufstieg, Sex und Macht, der hat eben auch nichts zu verlieren.
Selbst das Gefängnis kann ihn am Ende nicht brechen: er wird verurteilt für einen Mord, den er – aus völlig irrationalen Motiven – in der flirrenden Hitze des Mittags an einem Strand bei Algier beging, aus einer momentanen Erregung heraus. Er hätte es auch nicht tun können, es war Zufall, es war heiß, es war das Schicksal – all diese phrasenhaften Einlassungen werden auf einmal wahr. Wenngleich: das Opfer war Araber – diese politische Folie spielt im französisch okkupierten Algerien dann schon eine Rolle.
Düggelins Inszenierung ist eine Absage an den postmodernen Regiezirkus, der uns mit zumeist äußerlichen, technischen Mitteln zu gewinnen und zu zerstreuen sucht. Düggelin will es – noch einmal – mit dem reinen, dem literarischen Theater versuchen, und anfangs kann man schon ein wenig Angst haben, ob das denn gut gehen wird. Neunzig Minuten Konzentration auf das Hören, das Hörspiel, ohne jede szenische Zutat – das ist hart. Aber seltsamer- oder vielmehr: charakteristischerweise treten die enormen Qualitäten des Camus-Texts dabei nur umso stärker zutage: seine Lakonie und Musikalität, die beobachtende Reduktion auf alltägliche Begebenheiten - und die in den Furor hochgetriebene philosophische Reflexion im zweiten Teil, als ein Priester den inhaftierten Meursault zum Leben und zu Gott bekehren will. Der Text entwickelt so viel Sog, daß wir uns dem gern überlassen.
Die Schauspieler Jan Bluthardt und Sandro Tajouri nehmen sich ganz zurück, sie nähern sich vorsichtig, bescheiden, erstaunt der Erzählung an. Tajouri sitzt auf einem Bett und liest, so wie die meisten von uns vielleicht einmal den "Fremden" in der Pubertät gelesen haben mögen, neugierig, verwirrt, verstört. Bluthardt löst sich dann von seinem Partner und übernimmt die etwas exaltierteren Parts, die Schilderung des Mords, den philosophischen Widerstand gegen den Priester in der Todeszelle.
Dass das Leben völlig sinnlos sein könnte, ist heute kein besonders beliebter Gedanke mehr. Er ergreift uns eher selten, nachts, im Halbschlaf, und wird gleich wieder verscheucht von der täglichen Geschäftigkeit (die auch die Geschäftigkeit des postmodernen Theaters ist). Werner Düggelin wagt sich vor auf dieses verkarstete Gelände, wo keine Ausreden mehr zählen, er inszeniert mit zärtlicher Beharrlichkeit einen Text, der alles infrage stellt, was in der Computer-Finanz-Erfolgsgesellschaft heilig ist.
Meursault, Camus‘ Protagonist, der 1942 im Algier der Kolonialzeit völlig gleichgültig vor sich hinlebt, den keine Frau wirklich reizt, den kein beruflicher Aufstieg interessiert – dieser Mann stößt in uns, im Publikum gleichwohl etwas an. Seine Infragestellung alltäglicher Übereinkünfte, sein mikroskopisch genauer Blick, seine Haltung des "Ich spiele nicht mit" beinhaltet nämlich auch eine große innere Freiheit. Wer gar nichts gewinnen will, wer nicht mitmacht im täglichen Wettrennen um Geld, Aufstieg, Sex und Macht, der hat eben auch nichts zu verlieren.
Selbst das Gefängnis kann ihn am Ende nicht brechen: er wird verurteilt für einen Mord, den er – aus völlig irrationalen Motiven – in der flirrenden Hitze des Mittags an einem Strand bei Algier beging, aus einer momentanen Erregung heraus. Er hätte es auch nicht tun können, es war Zufall, es war heiß, es war das Schicksal – all diese phrasenhaften Einlassungen werden auf einmal wahr. Wenngleich: das Opfer war Araber – diese politische Folie spielt im französisch okkupierten Algerien dann schon eine Rolle.
Düggelins Inszenierung ist eine Absage an den postmodernen Regiezirkus, der uns mit zumeist äußerlichen, technischen Mitteln zu gewinnen und zu zerstreuen sucht. Düggelin will es – noch einmal – mit dem reinen, dem literarischen Theater versuchen, und anfangs kann man schon ein wenig Angst haben, ob das denn gut gehen wird. Neunzig Minuten Konzentration auf das Hören, das Hörspiel, ohne jede szenische Zutat – das ist hart. Aber seltsamer- oder vielmehr: charakteristischerweise treten die enormen Qualitäten des Camus-Texts dabei nur umso stärker zutage: seine Lakonie und Musikalität, die beobachtende Reduktion auf alltägliche Begebenheiten - und die in den Furor hochgetriebene philosophische Reflexion im zweiten Teil, als ein Priester den inhaftierten Meursault zum Leben und zu Gott bekehren will. Der Text entwickelt so viel Sog, daß wir uns dem gern überlassen.
Die Schauspieler Jan Bluthardt und Sandro Tajouri nehmen sich ganz zurück, sie nähern sich vorsichtig, bescheiden, erstaunt der Erzählung an. Tajouri sitzt auf einem Bett und liest, so wie die meisten von uns vielleicht einmal den "Fremden" in der Pubertät gelesen haben mögen, neugierig, verwirrt, verstört. Bluthardt löst sich dann von seinem Partner und übernimmt die etwas exaltierteren Parts, die Schilderung des Mords, den philosophischen Widerstand gegen den Priester in der Todeszelle.
Dass das Leben völlig sinnlos sein könnte, ist heute kein besonders beliebter Gedanke mehr. Er ergreift uns eher selten, nachts, im Halbschlaf, und wird gleich wieder verscheucht von der täglichen Geschäftigkeit (die auch die Geschäftigkeit des postmodernen Theaters ist). Werner Düggelin wagt sich vor auf dieses verkarstete Gelände, wo keine Ausreden mehr zählen, er inszeniert mit zärtlicher Beharrlichkeit einen Text, der alles infrage stellt, was in der Computer-Finanz-Erfolgsgesellschaft heilig ist.