Die Frau im Wolfspelz

Von Peter Krause |
Der Mensch hat Angst vor wilden Tieren. Zwar gibt es hierzulande kaum welche, aber als Braunbär Bruno auftauchte, war es schlagartig vorbei mit der Ruhe und Toleranz. Auch die Wölfe sind nicht vor Verfolgung sicher. Die bildende Künstlerin Corinna Korth fürchtet sich nicht vor dem Wolf. Mehr noch, sie fühlt sich selbst wie ein Wolf, ist in die Identität des Tiers geschlüpft und testet die Reaktionen ihrer Umwelt.
"Seit sechs Jahren mit Beginn des Maskenbaus versuch ich mein Leben im Alltag, in Sondersituationen, in der Stadt, im Wald als Wolf beziehungsweise als Mischwesen aus Wolf und Mensch einfach durchzuleben und auch sämtliche komische Situationen durchzuspielen."

Wenn Corinna Korth sich mit dem Wolf beschäftigt, verwandelt sie sich in ein Gesamtkunstwerk, das sie selbst entworfen hat – sie zieht sich an wie ein Wolf, legt Wolfsfell-Unterwäsche und ein Fellkostüm an und stülpt sich eine riesige Maske über. Dann geht sie damit in die Öffentlichkeit, testet die Akzeptanz der Menschen.

"In der U-Bahn ist es immer so, dass ich immer alleine sitze, weil sich niemand traut neben mir zu sitzen, obwohl ich keinen bedrohe, und das ist ja eine Art von Diskriminierung.

Da sind kleine Hunde schon vor mir geflüchtet, weil sie natürlich den menschlichen Geruch wahrnehmen, aber trotzdem sehen, dass es sich um eine Hunde-artige Maske handelt und das bekommen die nicht zusammen Und bei ein paar Schäferhunden die ich getroffen habe, die haben sich also auf den Rücken gelegt und mir die Wolfschnauze geleckt und sich so unterworfen."

Ein Mischwesen wandelt durch die Gegend, halb Mensch, halb Wolf. Die Hamburgerin Corinna Korth wird zum Fremdling, der beobachtet, wie schnell er ausgegrenzt wird, obwohl er friedlich durch Supermärkte, Straßen und U-Bahnschächte zieht. Dabei ist dieser seltsame Wolf gar nicht so gefährlich.

Schon als Kind bekam Corinna Korth eine Wolfspuppe und hat dieses Tier sofort in ihr Herz geschlossen. Angst vorm bösen Wolf hatte sie schon damals nicht.

Die Eltern sind Künstler und haben ihre Tochter in ihrer Entwicklung immer kreativ unterstützt. Corinna Korth geht auf die Hochschule für bildende Kunst in Hamburg und macht ihre Abschlussarbeit unter dem Synonym "Canis Lupus". Dabei verwandelt sie sich in einen aufrecht gehenden Wolf und meldet sich so bei den Behörden an.

"Man braucht ein Sparbuch, man darf nicht arbeitslos sein, man braucht Gesundheitszeugnisse, man braucht einen Sprachzeugnis, dass man über ausreichend Deutschkenntnisse verfügt. Und ich habe eben gedacht, Wölfe in Deutschland wieder einzubürgern, wo sie eigentlich auch hingehören. Und war dann eben bei einem Tierarzt, habe dort ein Gesundheitszeugnis bekommen und beim Humanmediziner für den menschlichen Teil in mir."

Die gesamte Prozedur der Einbürgerung hat sie dokumentiert, fotografiert und als Broschüre verlegt. Sie erhält einen Hundeimpfpass, eine vorläufige Duldung und ein Zeugnis am Deutsch-Institut für Ausländer, wo ihr Sprach- und Hörverständnis mit "sehr gut" bewertet wird. Und seit diesem Hochschuldiplom vor fast sechs Jahren macht sie Ausstellungen und Aktionen als künstlerischer Wolfsmensch.

"Also ich versuche sehr realitätsnah zu arbeiten und ich bezeichne das ein bisschen als semiwissenschaftliche Arbeit, weil ich großen Wert darauf lege, dass 90 Prozent meiner Aussagen stimmen. Die einzige Behauptung, die nicht stimmt die, dass es Mischwesen gibt."

Und dieses Mischwesen organisiert Fußballspiele, die sie filmt und für Ausstellungen bearbeitet. Ein Team von Wölfen spielt gegen Hirsche und gewinnt das Match. Bei einem dieser Spiele wurde Corinna Korth von einem gegnerischen Hirsch so stark attackiert, dass sie sich zwei Rippen brach und vom Platz getragen werden musste.

"Wölfe habe mehrere Taktiken zu jagen. Das ist einmal das Leittier, das eine Bewegung durch Schwanz oder Ohren vorgibt und die anderen wissen, wie sie sich postieren müssen. Und das ist ja beim Fußball wunderbar zu erkennen, dass der Mannschaftskapitän oder der Spielleiter seine Mannschaft dirigiert und bestimmte Taktiken werden dann durch Fingerzeig oder bestimmte Absprachen vollzogen."

Mittlerweile hat Corinna Korth sogar einen Instinkt für das Tier im Menschen entwickelt, sie identifiziert ihr Gegenüber je nach Verhalten und Geruch als Beute- oder Raubtier. Manch einer aber ist dann enttäuscht, wenn er als Rauhaardackel klassifiziert wird.

Ihre künstlerischen Beobachtungen, Versuche und Aktionen als "Carnivores Mischwesen" hat sie in einem Brevier zusammengefasst. "Jagen leicht gemacht" zeigt sie zum Beispiel als Wolf, der eine Schafherde einschüchtert. Die Tiere scharren mit den Hufen angesichts des Feindes. In ihrem aktuellen Projekt geht Korth als Wolf in die Kirche.

"Ich möchte gerne eine Kapelle bauen wo die Raubtiere um Jagdglück bitten können. Und in den Kirchenfenstern werden dann bestimmte Szenerien abgebildet, die ein Mischwesenleben bestimmen können, wo es um Jagd geht, um gejagt werden, um verschiedene Problematiken oder um Vererbungsgeschichten, also auch um meine Geschichte, zu erzählen wie ich als Wolf auf die Welt gekommen bin, während meine Eltern aussehen wie Menschen."

Mit viel Blick für das Detail und einer guten Portion Humor geht die 1,80 m große, blonde Frau das Thema Wolf künstlerisch an, nimmt sich selbst und ihre Umwelt dabei aufs Korn, beschreibt die Eigenschaften von Kontrahenten, denkt über die Rudelverständigung bei der Schafjagd nach und legt sich Strategien und Taktiken zurecht. All das ist in ihren Ausstellungen zu sehen.