Die Frau des Entdeckers

12.10.2006
Der Entdecker James Cook wurde durch seine Weltreisen berühmt. Wie es aber seiner Frau erging, die während ihrer elfjährigen Ehe permanent um den geliebten Mann bangte, schildert Anna Enquist in "Letzte Reise". Und schildert quasi nebenbei auch die Entdeckungsreisen des Ehemannes.
Sie war Konzertpianistin, sie war Psychoanalytikerin, seit 1991 ist sie Schriftstellerin: die Niederländerin Anna Enquist, Jahrgang 1945. Ihre Romane wurden in 15 Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. In Deutschland erschienen sind 1995 "Das Meisterstück" und zuletzt 1997 "Die Erbschaft des Herrn de Leon".

Jetzt liegt Anna Enquists neuer Roman vor, sein Titel "Letzte Reise". Es ist ein historischer Roman, der 1775 in London beginnt und das Leben von Elizabeth Cook schildert, der Ehefrau des legendären Seefahrers und Entdeckers James Cook.

Es war eine Liebesheirat, er war 34, sie 21, und es blieb auch eine Liebesbeziehung, sechs Jahre lang leben die beiden glücklich zusammen; dann beginnt James seine drei Weltreisen, wird berühmt, das heißt, Elizabeth sieht James in den letzten 11 Jahren ihrer Ehe insgesamt nur ein einziges Jahr lang; James stirbt auf seiner letzten Reise auf Hawaii. Elizabeth führt also praktisch das Leben einer allein erziehenden Mutter, tapfer, aber nicht wirklich glücklich.

Und diese Innensicht der Elizabeth Cook, das ist die Perspektive, die Anna Enquist für ihren Roman benutzt: Da wird also im Prinzip ein ganzes Leben erzählt, ein langes Leben, Elizabeth Cook wurde 94 Jahre alt, und im Wesentlichen wird ihr alltägliches Leben mit ihren alltäglichen Sorgen beschrieben, zunächst mit ihren zwei Söhnen Jamie und Nat, in einem zwar kleinen, aber gemütlichen Häuschen in London lebend, aber eben voller Angst immer auf den geliebten Mann wartend. Sie bekommt insgesamt sechs Kinder, und alle sterben vor ihr eines unnatürlichen Todes, fast alle sehr jung. Dazu muss man sagen: Die Autorin Anna Enquist hat selbst ihr einziges Kind verloren; ihre Tochter starb mit 8 Jahren.

Und dann gibt es in diesem Roman noch eine zweite, hoch spannende Welt: das sind die sagenhaften Weltreisen von James Cook, und auch die bringt uns Anna Enquist ganz nah -aus der Sicht Cooks: Tahiti, Abenteuer, eine Karriere quasi vom Tellerwäscher zum Millionär. Meisterlich und souverän wird hier große Literatur vorgeführt, das ist große Kunst, ohne den Leser eine einzige Minute zu langweilen.

Anna Enquist zieht literarisch alle handwerklichen Register: Handlung, Dialog, Innerer Monolog, Briefe - also Elemente des Briefromans -, Wechsel der Zeitform, eine offene Grammatik, dann Retrospektiven, alles brillant beobachtet; die historische Recherche zu James Cook ist fehlerfrei. Es ist ihr schließlich doch das gelungen, was sie eigentlich ursprünglich wollte und was sie sich aber nicht zutraute: und zwar eine Biographie von James Cook zu schreiben, die den Menschen von innen heraus zeigen sollte. Das Buch ist darüber hinaus ein großes Zeitgemälde geworden.

Die Sprache ist humorvoll, manchmal sogar hocherotisch, meist ganz einfach, zutiefst poetisch, dann wiederum durchgehend hart, lakonisch, sezierend.

Kein "Frauenroman" sondern ein Roman für alle Menschen, die ein Herz haben; ein holländischer Kritiker nannte es schlicht "herzzerreißend". Und um einen Satz von Anna Enquist zu adaptieren: Es ist ein Roman, in den man einsteigt wie in ein Boot.

Rezensiert von Lutz Bunk

Anna Enquist: "Letzte Reise"
Übersetzt von Hanni Ehlers
Luchterhand Verlag 2006
414 Seiten, 21.95 Euro