Die Frau aus dem Fluss
Dieser Autor liebt krasse Typen und starke Effekte. Zwar ist Christian Mährs letzter Roman um eine geheimnisvolle Insel im Finale zu einer überinstrumentalisierten Schauerstory missraten. Mit "Semmlers Deal" ist Christan Mähr diesmal ein zurückhaltender inszenierter Thriller geglückt, eine kluge und augenzwinkernde Meditation über Zufall und höhere Fügung, mit vielen gesellschaftskritischen Spitzen und lebenserfahrenen Pointen.
Es gibt ihn also doch, den deutschsprachigen Unterhaltungsroman, der sowohl mit Spannung wie mit Intelligenz aufwartet. Hier ist er, ein Buch aus der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. Was in diesem Fall heißt: mitten aus der Gegenwart.
Tagelang hat es im Vorarlberger Land wie aus Kübeln geschüttet. Semmler - Millionenerbe und Unternehmensberater - erweist sich im ersten Kapitel als guter Mensch. In seiner gewohnt zupackenden Art rettet er einer Frau das Leben, die mit ihrem Kleinwagen von der abgebrochenen Landstraße in einen reißenden Fluss gestürzt ist. Solchen Wasserfrauen ist jedoch zu misstrauen.
Diese - sie heißt Gisela Mießgang und behauptet, bei der katholischen Kirche angestellt zu sein - hat trotz ihrer auffallenden Unattraktivität eine unwiderstehliche sexuelle Ausstrahlung. Bald sieht sich der Retter auf ungeahnte Weise belohnt. Und mehr noch. Die etwas unheimliche Frau weist Semmler in metaphysische Zusammenhänge ein: Man könne sich vom "Universum" durchaus etwas wünschen, sofern man nur bereit sei, dafür auch ein adäquates Opfer zu bringen.
Eher aus Spaß probiert Semmler das aus - und es klappt. Als er bald darauf mit einer großangelegten Spekulation zu scheitern und viel Geld zu verlieren droht, geht er erstmals einen richtigen "Deal" ein. Und siehe da: Der Investor, der ihm in die Quere kam, zerschellt prompt mit seinem Privatflugzeug an einem Berg. Fortan weiß Semmler, dass er eine existentielle Escape-Taste zur Verfügung hat. Seinen Wünschen ist nur noch eine Grenze gesetzt: die des Gegenwerts.
Ein Gedankenspiel kommt in Gang. Und für Semmler eine Abwärtsspirale. Um die attraktive Ursula Koslowski (pikanterweise die Ehefrau eines früheren Schulfreunds) an sich zu binden, gibt Semmler sein Vermögen und später auch noch seine Gesundheit hin. Seinen Wünschen ist eine unheimliche Fatalität eingeschrieben. Jede Erfüllung gebiert das nächste Unglück, und es ist die vergnügliche Kunst des Romans, diese Logik konsequent alltagsrealistisch zu motivieren.
Ebenso detail- wie kenntnisreich nimmt Mähr es mit Phänomenen der Gegenwart auf, etwa wenn er die windigen Put-Optionen des Börsenhais Semmler schildert oder die soziale Zusammensetzung diverser Wohnlagen erkundet, die der Ex-Millionär im Verlauf seines Abstiegs kennenlernt. Zugleich herrscht Märchenzeit.
Man kennt diese Mischung aus tiefsinnigen Filmkomödien wie "Und täglich grüßt das Murmeltier". Mit gleicher Plausibilität verbindet Christian Mähr die wahre Welt und das Wunderbare, lässt einen Riss in Raum und Zeit klaffen, durch den das Übersinnliche schimmert. Darüber hinaus ist "Semmlers Deal" die Komödie zweier ehemaliger "Schulfreunde", die trotz (oder wegen) ihrer Unterschiedlichkeit und des zwischen ihnen bestehenden Ressentiments immer wieder aneinander geraten und sich gegenseitig zum Schicksal werden.
Mährs letzter Roman um eine geheimnisvolle Insel war vor allem im Finale zu einer überinstrumentalisierten Schauerstory missraten. Kein Zweifel, dieser Autor liebt krasse Typen und starke Effekte. Auch in "Semmlers Deal" brennen Villen und werden "perfekte Verbrechen" begangen.
Trotzdem ist Mähr diesmal ein zurückhaltender inszenierter metaphysischer Thriller geglückt, eine kluge und augenzwinkernde Meditation über Zufall und höhere Fügung, über richtige und falsche Wünsche, mit vielen gesellschaftskritischen Spitzen und lebenserfahrenen Pointen. So denkt zum Beispiel ein Scheidungsanwalt über seine männlichen Klienten:
"Dr. Beuss schüttelte den Kopf und verzog keine Miene. Wenn Männer in diesem Büro einen heiter sarkastischen Ton anschlugen, empfahl es sich, nicht darauf einzugehen. Manche fingen an zu weinen und andere, herumzubrüllen, wenn nämlich ihr Vorrat an heiterem Sarkasmus erschöpft war. Männer, die geschieden wurden, neigten dazu, diesen Vorrat zu überschätzen."
Die Moral von der Geschichte: Sei froh, wenn deine Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Denn erstens sind die heimlichen Wünschbarkeiten meistens Trug-Kulissen, wie die Verheißungen der Warenwelt. Und zweitens dealt man mit dem Universum besser nicht. Hybris bestraft sich selbst.
Kein Zweifel, hier wird die Moral nicht neu erfunden. Nicht zufällig wird am Ende einem Theologen alter Schule das Wort erteilt. Mit dem äußerlich heruntergekommenen, aber innerlich merklich geläuterten Semmler debattiert er in einer düsteren Kirche über die letzten Dinge, als wär's ein Roman von Dürrenmatt.
Es passt übrigens auch ins Bild, dass die weiblichen Figuren bei Mähr regelmäßig als diabolische oder zumindest zweifelhafte Verführerinnen daherkommen, allen voran die aus dem Fluss gezogene Gisela Mießgang, die den modernen Teufelspakt (denn um nicht weniger handelt es sich) unter vollem Körpereinsatz makelt.
Auch die schöne Ursula, die wie eine Trophäe von einem Besitzer zum nächsten wechselt, bringt als Agentin des Sexus die Männer um den Verstand, sofern sie über einen solchen in nennenswertem Umfang verfügen. Dieser Roman mag helfen, wieder zur Besinnung zu kommen. Und auch Leserinnen dürfen sich gut unterhalten fühlen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Christian Mähr: Semmlers Deal. Roman,
Deuticke Verlag, 270 Seiten, 19,90 Euro
Tagelang hat es im Vorarlberger Land wie aus Kübeln geschüttet. Semmler - Millionenerbe und Unternehmensberater - erweist sich im ersten Kapitel als guter Mensch. In seiner gewohnt zupackenden Art rettet er einer Frau das Leben, die mit ihrem Kleinwagen von der abgebrochenen Landstraße in einen reißenden Fluss gestürzt ist. Solchen Wasserfrauen ist jedoch zu misstrauen.
Diese - sie heißt Gisela Mießgang und behauptet, bei der katholischen Kirche angestellt zu sein - hat trotz ihrer auffallenden Unattraktivität eine unwiderstehliche sexuelle Ausstrahlung. Bald sieht sich der Retter auf ungeahnte Weise belohnt. Und mehr noch. Die etwas unheimliche Frau weist Semmler in metaphysische Zusammenhänge ein: Man könne sich vom "Universum" durchaus etwas wünschen, sofern man nur bereit sei, dafür auch ein adäquates Opfer zu bringen.
Eher aus Spaß probiert Semmler das aus - und es klappt. Als er bald darauf mit einer großangelegten Spekulation zu scheitern und viel Geld zu verlieren droht, geht er erstmals einen richtigen "Deal" ein. Und siehe da: Der Investor, der ihm in die Quere kam, zerschellt prompt mit seinem Privatflugzeug an einem Berg. Fortan weiß Semmler, dass er eine existentielle Escape-Taste zur Verfügung hat. Seinen Wünschen ist nur noch eine Grenze gesetzt: die des Gegenwerts.
Ein Gedankenspiel kommt in Gang. Und für Semmler eine Abwärtsspirale. Um die attraktive Ursula Koslowski (pikanterweise die Ehefrau eines früheren Schulfreunds) an sich zu binden, gibt Semmler sein Vermögen und später auch noch seine Gesundheit hin. Seinen Wünschen ist eine unheimliche Fatalität eingeschrieben. Jede Erfüllung gebiert das nächste Unglück, und es ist die vergnügliche Kunst des Romans, diese Logik konsequent alltagsrealistisch zu motivieren.
Ebenso detail- wie kenntnisreich nimmt Mähr es mit Phänomenen der Gegenwart auf, etwa wenn er die windigen Put-Optionen des Börsenhais Semmler schildert oder die soziale Zusammensetzung diverser Wohnlagen erkundet, die der Ex-Millionär im Verlauf seines Abstiegs kennenlernt. Zugleich herrscht Märchenzeit.
Man kennt diese Mischung aus tiefsinnigen Filmkomödien wie "Und täglich grüßt das Murmeltier". Mit gleicher Plausibilität verbindet Christian Mähr die wahre Welt und das Wunderbare, lässt einen Riss in Raum und Zeit klaffen, durch den das Übersinnliche schimmert. Darüber hinaus ist "Semmlers Deal" die Komödie zweier ehemaliger "Schulfreunde", die trotz (oder wegen) ihrer Unterschiedlichkeit und des zwischen ihnen bestehenden Ressentiments immer wieder aneinander geraten und sich gegenseitig zum Schicksal werden.
Mährs letzter Roman um eine geheimnisvolle Insel war vor allem im Finale zu einer überinstrumentalisierten Schauerstory missraten. Kein Zweifel, dieser Autor liebt krasse Typen und starke Effekte. Auch in "Semmlers Deal" brennen Villen und werden "perfekte Verbrechen" begangen.
Trotzdem ist Mähr diesmal ein zurückhaltender inszenierter metaphysischer Thriller geglückt, eine kluge und augenzwinkernde Meditation über Zufall und höhere Fügung, über richtige und falsche Wünsche, mit vielen gesellschaftskritischen Spitzen und lebenserfahrenen Pointen. So denkt zum Beispiel ein Scheidungsanwalt über seine männlichen Klienten:
"Dr. Beuss schüttelte den Kopf und verzog keine Miene. Wenn Männer in diesem Büro einen heiter sarkastischen Ton anschlugen, empfahl es sich, nicht darauf einzugehen. Manche fingen an zu weinen und andere, herumzubrüllen, wenn nämlich ihr Vorrat an heiterem Sarkasmus erschöpft war. Männer, die geschieden wurden, neigten dazu, diesen Vorrat zu überschätzen."
Die Moral von der Geschichte: Sei froh, wenn deine Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Denn erstens sind die heimlichen Wünschbarkeiten meistens Trug-Kulissen, wie die Verheißungen der Warenwelt. Und zweitens dealt man mit dem Universum besser nicht. Hybris bestraft sich selbst.
Kein Zweifel, hier wird die Moral nicht neu erfunden. Nicht zufällig wird am Ende einem Theologen alter Schule das Wort erteilt. Mit dem äußerlich heruntergekommenen, aber innerlich merklich geläuterten Semmler debattiert er in einer düsteren Kirche über die letzten Dinge, als wär's ein Roman von Dürrenmatt.
Es passt übrigens auch ins Bild, dass die weiblichen Figuren bei Mähr regelmäßig als diabolische oder zumindest zweifelhafte Verführerinnen daherkommen, allen voran die aus dem Fluss gezogene Gisela Mießgang, die den modernen Teufelspakt (denn um nicht weniger handelt es sich) unter vollem Körpereinsatz makelt.
Auch die schöne Ursula, die wie eine Trophäe von einem Besitzer zum nächsten wechselt, bringt als Agentin des Sexus die Männer um den Verstand, sofern sie über einen solchen in nennenswertem Umfang verfügen. Dieser Roman mag helfen, wieder zur Besinnung zu kommen. Und auch Leserinnen dürfen sich gut unterhalten fühlen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Christian Mähr: Semmlers Deal. Roman,
Deuticke Verlag, 270 Seiten, 19,90 Euro