Die Frage nach dem schönen Leben
Chus Martinez hat in Bilbao eine kleine Halle für zeitgenössische Kunst geleitet und ist nun die neue Leiterin des Frankfurter Kunstvereins. Ihre erste Ausstellung trägt den heimtückischen Titel "Ist das Leben nicht schön?", inspiriert von Roberto Begninis "Das Leben ist schön" und von Robert Capas "Life is beautiful". Darin geht es nicht bloß um die freudigen Momente des Lebens, sondern eher um den alltäglichen Überlebenskampf in schwieriger oder aussichtsloser Situation.
Die Eröffnungsausstellung von Chus Martinez, der neuen Leiterin des Frankfurter Kunstvereins, wurde mit Spannung erwartet. Sie hatte in Bilbao eine kleine Halle für zeitgenössische Kunst geleitet, die dem übermächtigen Guggenheim-Museum tapferen Widerstand zu leisten versuchte. Auch in Frankfurt hat Chus Martinez jetzt heftige Konkurrenz: das Museum für Moderne Kunst, die Schirn Kunsthalle, den Portikus, der Anfang Mai mit einem neuen Haus auf der Insel der Alten Mainbrücke noch weiter ins Stadtzentrum rückt. Diese Institutionen sind sogar Konkurrenten auf dem ureigensten Gebiet der Kunstvereinsleiterin: der jungen und aktuellen Kunst. Wie sieht sie nach ein paar Monaten Erfahrung vor Ort die Städte Bilbao und Frankfurt im Vergleich?
"Frankfurt ist viel mehr international und ist viel mehr ehrgeizig, auch in seinem Kulturleben. Das Guggenheim hat alle Kräfte des Ehrgeizes von Bilbao konzentriert und das ist ein bisschen zu wenig, meiner Meinung nach. Beide sind nicht so große Städte, Städte mit einem gewissen Lebensniveau, mit einer gewissen Erwartung gegenüber dem Kulturleben. Ich bin nicht selber aus Bilbao, ich fand es schön und aufregend, ich muss sagen, ich bin mehr als zufrieden in Frankfurt, ich vermisse Bilbao nicht. Ich mag besser vielleicht die Physiognomie von Frankfurt, es gibt mehr Möglichkeiten, ein anderes Publikum anzusprechen und andere Leute zu entdecken."
Ihrer ersten Ausstellung hat Chus Martinez einen wunderbar entspannten, aber vielleicht auch durch und durch heimtückischen Titel gegeben: "Ist das Leben nicht schön?". Dazu hat sie sich von zwei Filmen inspirieren lassen, von Roberto Begninis "Das Leben ist schön" und von Robert Capas "Life is beautiful". Und in diesen Filmen geht es natürlich um Überlebenskampf, in schwieriger oder aussichtsloser Situation, nicht unbedingt um freudige Momente des Lebens. Welche Erwartung also stellt der Titel an die Künstler und Kunst von heute?
"Wie können Künstler heutzutage uns lehren, ein bisschen mit diesen Kämpfen umzugehen. Ich wollte einen allgemeinen Titel, die uns durch das ganze Jahr leitet und leitmotivisch wirkt. Am Ende sind es vier Einzelausstellungen, die mehr oder weniger zusammen kommen. Es ist eine Einladung, ein Jahr bei uns zu sein"."
Die erste Künstlerin dieser Reihe, die Chuz Martinez jetzt zeigt, ist Esra Ersen, 1970 im türkischen Ankara geboren. Sie ist, so könnte man sagen, Sozialforscherin, arbeitet mit Randgruppen in Schweden, in Österreich, Japan oder der Türkei. Ständig begleitet von ihrer Videocamera, mit der sie nicht nur dokumentiert, sondern auch inszeniert.
So hat Esra Ersen zum Beispiel österreichische Schulkinder gebeten, für eine Woche lang türkische Schuluniformen zu tragen und von ihren Gedanken, Gefühlen, Assoziationen zu berichten. Einige der Aussagen sind dann per Siebdruck auf die schwarzen Uniformen gebracht worden. Jetzt sieht man im Frankfurter Kunstverein, wie die österreichischen Schulkinder zum Beispiel für den Fotografen posieren, wie sie das fremde Erlebnis kommentieren, wie sie zeichnen und ihre eigene Wunschkleidung entwerfen. Zur Videoinstallation gehört aber eben auch eine lange Kleiderstange, auf der die umgestalteten Uniformen aufgereiht sind: rührende und zugleich stereotype Maskeraden der Identität.
Ein anderes Video demonstriert, wie Migranten in Schweden die neue Sprache zu lernen versuchen. Die Künstlerin Esra Ersen hat sie gefragt, welche Dinge sie gerne sagen würden, wenn sie denn das Schwedische perfekt beherrschten. Diese Aussagen sind übersetzt und werden von den Immigranten in holpriger Manier gesprochen. Plötzlich scheint da eine nuancierte Gefühlswelt auf, wie sie sonst in den Lehrbüchern und Integrationskursen nicht vorkommen kann.
Chuz Martinez‘ erste Ausstellung ist sorgfältig inszeniert, sie nimmt das Medium Video Ernst und schafft also entsprechende Voraussetzungen, um den oft langen Filmen entspannt folgen zu können.
Anscheinend hat Frankfurt mit ihr nach dem Weggang von Nikolaus Schafhausen abermals eine Kunstvereinsdirektorin bekommen, die sich vorwiegend als Soziologin versteht, als Kommunikationsforscherin, als Sozialarbeiterin im Kultursektor. Kunst definiert sich für sie nicht durch das verwendete Medium, sondern durch die Fragen, die sie an die Gesellschaft richtet. Das Café im Eingangsbereich des Kunstvereins ist ein deutlicher Hinweis auf die hier einkehrende Kommunikationsbereitschaft. Chus Martinez hat es von zwei spanischen Künstlern neu gestalten lassen. Da gibt es jetzt einen großen einladenden Tisch, freundliche Möbel, eine Op-Art Tapete an der Wand und eine erfreuliche Servicebereitschaft des Personals.
""Wenn man so einen Job bekommt, muss man überlegen, was diese Institution überhaupt ist, wie diese Institution funktionieren kann. Und bei einem großen Teil der zeitgenössischen Kunstpraxis heutzutage geht es nicht nur darum, Werke oder Objekte zu produzieren, sondern Situationen. Mehr und mehr gibt es Künstler, die Sachen wie Möbel oder wie jetzt ein Café machen. Ist das Kunst? Es ist ein bisschen egal, ob das Kunst ist oder nicht, aber es gehört zur künstlerischen Praxis dieser zwei Menschen. Es ist für mich auch eine Art dem Publikum zu zeigen, dass Künstler heute alle möglichen Sachen machen, Ausstellungen, Argumente, diskursive Praxis und sogar ein Café, why not?"
Vor der Eröffnung heute abend war Chus Martinez mächtig nervös. Doch dazu hat sie wenig Grund. Das Café ist einladend, für eine große Auswahl baskischer Weine ist gesorgt, und die Videoprojekte von Esra Ersen demonstrieren, dass man das Leben in den Großstädten mit all seinen Problemen durchaus ermutigend, konstruktiv und sogar menschenfreundlich betrachten kann.
Chus Martinez' Ausstellung "Ist das Leben nicht schön?"
5.4. bis 5.6.06 - Frankfurter Kunstverein
"Frankfurt ist viel mehr international und ist viel mehr ehrgeizig, auch in seinem Kulturleben. Das Guggenheim hat alle Kräfte des Ehrgeizes von Bilbao konzentriert und das ist ein bisschen zu wenig, meiner Meinung nach. Beide sind nicht so große Städte, Städte mit einem gewissen Lebensniveau, mit einer gewissen Erwartung gegenüber dem Kulturleben. Ich bin nicht selber aus Bilbao, ich fand es schön und aufregend, ich muss sagen, ich bin mehr als zufrieden in Frankfurt, ich vermisse Bilbao nicht. Ich mag besser vielleicht die Physiognomie von Frankfurt, es gibt mehr Möglichkeiten, ein anderes Publikum anzusprechen und andere Leute zu entdecken."
Ihrer ersten Ausstellung hat Chus Martinez einen wunderbar entspannten, aber vielleicht auch durch und durch heimtückischen Titel gegeben: "Ist das Leben nicht schön?". Dazu hat sie sich von zwei Filmen inspirieren lassen, von Roberto Begninis "Das Leben ist schön" und von Robert Capas "Life is beautiful". Und in diesen Filmen geht es natürlich um Überlebenskampf, in schwieriger oder aussichtsloser Situation, nicht unbedingt um freudige Momente des Lebens. Welche Erwartung also stellt der Titel an die Künstler und Kunst von heute?
"Wie können Künstler heutzutage uns lehren, ein bisschen mit diesen Kämpfen umzugehen. Ich wollte einen allgemeinen Titel, die uns durch das ganze Jahr leitet und leitmotivisch wirkt. Am Ende sind es vier Einzelausstellungen, die mehr oder weniger zusammen kommen. Es ist eine Einladung, ein Jahr bei uns zu sein"."
Die erste Künstlerin dieser Reihe, die Chuz Martinez jetzt zeigt, ist Esra Ersen, 1970 im türkischen Ankara geboren. Sie ist, so könnte man sagen, Sozialforscherin, arbeitet mit Randgruppen in Schweden, in Österreich, Japan oder der Türkei. Ständig begleitet von ihrer Videocamera, mit der sie nicht nur dokumentiert, sondern auch inszeniert.
So hat Esra Ersen zum Beispiel österreichische Schulkinder gebeten, für eine Woche lang türkische Schuluniformen zu tragen und von ihren Gedanken, Gefühlen, Assoziationen zu berichten. Einige der Aussagen sind dann per Siebdruck auf die schwarzen Uniformen gebracht worden. Jetzt sieht man im Frankfurter Kunstverein, wie die österreichischen Schulkinder zum Beispiel für den Fotografen posieren, wie sie das fremde Erlebnis kommentieren, wie sie zeichnen und ihre eigene Wunschkleidung entwerfen. Zur Videoinstallation gehört aber eben auch eine lange Kleiderstange, auf der die umgestalteten Uniformen aufgereiht sind: rührende und zugleich stereotype Maskeraden der Identität.
Ein anderes Video demonstriert, wie Migranten in Schweden die neue Sprache zu lernen versuchen. Die Künstlerin Esra Ersen hat sie gefragt, welche Dinge sie gerne sagen würden, wenn sie denn das Schwedische perfekt beherrschten. Diese Aussagen sind übersetzt und werden von den Immigranten in holpriger Manier gesprochen. Plötzlich scheint da eine nuancierte Gefühlswelt auf, wie sie sonst in den Lehrbüchern und Integrationskursen nicht vorkommen kann.
Chuz Martinez‘ erste Ausstellung ist sorgfältig inszeniert, sie nimmt das Medium Video Ernst und schafft also entsprechende Voraussetzungen, um den oft langen Filmen entspannt folgen zu können.
Anscheinend hat Frankfurt mit ihr nach dem Weggang von Nikolaus Schafhausen abermals eine Kunstvereinsdirektorin bekommen, die sich vorwiegend als Soziologin versteht, als Kommunikationsforscherin, als Sozialarbeiterin im Kultursektor. Kunst definiert sich für sie nicht durch das verwendete Medium, sondern durch die Fragen, die sie an die Gesellschaft richtet. Das Café im Eingangsbereich des Kunstvereins ist ein deutlicher Hinweis auf die hier einkehrende Kommunikationsbereitschaft. Chus Martinez hat es von zwei spanischen Künstlern neu gestalten lassen. Da gibt es jetzt einen großen einladenden Tisch, freundliche Möbel, eine Op-Art Tapete an der Wand und eine erfreuliche Servicebereitschaft des Personals.
""Wenn man so einen Job bekommt, muss man überlegen, was diese Institution überhaupt ist, wie diese Institution funktionieren kann. Und bei einem großen Teil der zeitgenössischen Kunstpraxis heutzutage geht es nicht nur darum, Werke oder Objekte zu produzieren, sondern Situationen. Mehr und mehr gibt es Künstler, die Sachen wie Möbel oder wie jetzt ein Café machen. Ist das Kunst? Es ist ein bisschen egal, ob das Kunst ist oder nicht, aber es gehört zur künstlerischen Praxis dieser zwei Menschen. Es ist für mich auch eine Art dem Publikum zu zeigen, dass Künstler heute alle möglichen Sachen machen, Ausstellungen, Argumente, diskursive Praxis und sogar ein Café, why not?"
Vor der Eröffnung heute abend war Chus Martinez mächtig nervös. Doch dazu hat sie wenig Grund. Das Café ist einladend, für eine große Auswahl baskischer Weine ist gesorgt, und die Videoprojekte von Esra Ersen demonstrieren, dass man das Leben in den Großstädten mit all seinen Problemen durchaus ermutigend, konstruktiv und sogar menschenfreundlich betrachten kann.
Chus Martinez' Ausstellung "Ist das Leben nicht schön?"
5.4. bis 5.6.06 - Frankfurter Kunstverein