Die Folgen des Krieges

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Zwölf Jahre ist es her, dass Filme nach Sarajevo geflogen und in den Kinos der belagerten Stadt gezeigt wurden. Aus dieser spontanen kulturellen Hilfe entstand ein Jahr später ein Filmfestival, dass ich mittlerweile weltweiter Solidarität erfreut. Inzwischen hat sich Sarajevo zu einem Internationalen Festival mit regionalem Fokus entwickelt.
Noch heute erinnert die martialische Musik des Trailers an die Ursprünge des Festivals. Sarajevo begann in einer von der Außenwelt nahezu völlig abgeschlossenen, belagerten Stadt.

Die bosnische Filmemacherin Jasmila Zbanic hat Februar mit ihrem ersten Spielfilm "Esmas Geheimnis” den goldenen Bären in Berlin gewonnen. In Sarajevo war sie dieses Jahr Jurypräsidentin. Bereits 1994 arbeitete sie unter extremen Bedingungen als Filmstudentin beim ersten Festival mit:

"Für uns war das eine ganz konkrete Form des Widerstandes. Das Festival sollte zeigen, wir sind nicht besiegt, der Faschismus hat nicht gesiegt. Und ich glaube, diese Energie lebt immer noch in diesem Festival, auch wenn alles heute viel größer ist und heute viel mehr Fachbesucher und Zuschauer da sind. Aber die Leute spüren immer noch, dass es hier vom Herzen kommt und sich nicht alles ums Geld und ums Geschäft geht."

Auch im diesjährigen Wettbewerb sind der Bosnienkrieg oder andere jüngste gewalttätige Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien präsent, oft aber nur noch als leiser, aber definitiver Zwischenton.

So erzählt die schweizerisch-deutsch-bosnische Coproduktion "Das Fräulein/Gospodica" indirekt und subtil von den Spätfolgen des Krieges. Über die schwierige Beziehung zweier sehr unterschiedlicher Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Zürich gelingt der 32-jährigen Filmemacherin Andrea Staka ein sensibles und psychologisch dichter Porträt von Menschen, die ihre Traumata mit in die neue Heimat genommen haben.

"Es war Scheiße. Ich war klein damals, meine Oma sagt, ich bin immer stehengeblieben und habe die Toten angeschaut."

"Das Fräulein" wurde mit dem Hauptpreis der Jury ausgezeichnet. Ein hervorragender Film, aber eine umstrittene Entscheidung: Die Regisseurin lebt in der Schweiz und der Film gewann als Deutsch-Schweizer Beitrag erst vor wenigen Wochen den Hauptpreis in Locarno.

Stilistisch völlig anders, fast zwischen Western und "cine noir", erzählt der kroatische Film "Der Weg der Melonen” von einem ehemaligen Kriegsteilnehmer, der im bosnischen Grenzgebiet eine illegale chinesische Immigrantin vor der Mafia rettet.

Die Vergangenheitsbewältigung in Südosteuropa beschränkt sich aber nicht auf die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. Der rumänische Film "Papie ce biti plav (Das Papier wird blau sein)" erzählt vom Sturz des Ceaucesco Regimes aus der Perspektive einfacher Soldaten, die selber zum Opfer der Umstände werden. Regisseur Radu Muntean versteht seinen Film auch als Widerspruch gegen eine allzu vereinfachende Darstellung der Geschichte:

"Wir wollten es so realistisch und so hart wie möglich zeigen, denn alles, was in rumänischen Filmen, im Fernsehen oder in der Presse über die Revolution in Rumänien gesagt wurde war immer oberflächlich und sensationsheischend. Da ging es um Politik, um Terrorismus, aber keiner hat über die Menschen geredet über unsere Hoffnungen, über unsere Gefühle."

Im Wettbewerb standen sieben Filmemacher aber nur eine Filmemacherin. Für die Jurypräsidentin Jasmila Zbanic dominiert bei der filmischen Aufarbeitung der psychologischen und kulturellen Spätfolgen des Krieges der männliche Blick.

"Leidende Soldaten, heute vergessen, jeder tritt auf ihnen herum: das Gefühl der Impotenz. Während des Krieges das war noch Leben, aber im Frieden kommen die armen Jungs nicht mehr in der Realität an. Das ist alles sehr pathetisch."

Während viele Filme in bitterer Veteranenromantik schwelgen, zeigt der bosnische Film "Mama i Tata (Mama und Papa/Reality Show)” den Hausherren in seniler Hilflosigkeit. Für Regisseur Faruk Loncarevic liegt die Essenz seines Kammerspiels in der Balance aus Groteske und Tragödie:

"Er ist ein ganz typischer Charakter aus dem alten Jugoslawien, aus den ehemals sozialistischen Ländern. Er war ein großes Tier, vielleicht im Ministerium. Er war der Herr im Haus. Sie war die stille Hausfrau.Er war der Boss und möchte nicht, dass sich das ändert."

Sarajevo ist ein regionales Festival für Südosteuropa, immer auch auf der Suche nach internationalen Co-Produktionspartnern. In Sarajevo suchen die Mäzene und Förderfürsten europäischer Fernsehanstalten aber auch nach den Projekten unabhängige Produzenten und Filmemacher. In einem der interessantesten Projekte setzten sich fünf junge Filmemacherinnen aus den neuen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens mit den Themen Schwangerschaft und Abtreibung auseinander, mit dabei ist die kroatische Produzentin Anita Juka:

"Das gemeinsame Thema ist Geburt und Abtreibung, aber es wird in den fünf sehr unterschiedlichen Kurzfilmen auch zur Metapher, die Abtreibung des ehemaligen Jugoslawiens, die Geburt der neuen Länder und die Frage, ist es eigentlich heute besser?"

Filme aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens standen dieses Jahr auch im Zentrum des Dokumentarfilmwettbewerbes und zeigten eine Region im Umbruch, in ethnischer und religiöser Zerrissenheit, eine Region, die Anschluss an den Rest der Welt sucht.