Die Fitness-App Freeletics

Das Geschäft mit dem Muskelvergleich

Die Fitness-App "Freeletics" wird auf einem iPhone angezeigt, während im Hintergrund ein Mann auf einem Trimm-Dich-Pfad einen Klimmzug macht.
Die Fitness-App "Freeletics" wird auf einem iPhone angezeigt, während im Hintergrund ein Mann auf einem Trimm-Dich-Pfad einen Klimmzug macht. © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
Von Philip Artelt · 21.09.2015
Die Macher der Fitness-App Freeletics sprechen von drei Millionen Nutzern in Deutschland. Im Netz präsentieren die Nutzer die Veränderungen ihres Körpers. Steht das klassische Fitnessstudio nun vor dem Aus?
Nur ein paar kurze Klicks auf dem Handy: Ich bin männlich. Ich bin nicht so fit. Das Ziel: fit werden!
Und kurz darauf geht es los. Auf dem Handy erscheint ein junger, durchtrainierter Mann vor einer rauen Betonwand und zeigt die erste Übung: Burpees, eine Mischung aus Sprung und Liegestütze. Das Ganze noch mal in Zeitlupe, mit genauen Anweisungen.
Ein Workout, perfekt abgestimmt, für die beste Form deines Lebens. So das Versprechen von Freeletics - der Handy-App, die in ganz Deutschland Fitness-Begeisterte zusammen bringt - virtuell und ganz real.
Anna Löhle trainiert in einer Freeletics-Gruppe auf einem Sportplatz im mittelfränkischen Erlangen. Knapp zwei Dutzend sind es, die sich hier in lockerer Folge treffen, ihre Trainingsmatten ausrollen und miteinander ihre Körper stählen. Im deutschsprachigen Raum sollen es inzwischen drei Millionen sein.
Anna Löhle: "Wenn ich den Coach habe, kann ich mir aussuchen, wie oft in einer Woche ich trainieren will und dann sagt er mir immer, welche Workouts ich machen muss."
Anna Löhle hat den Coach gebucht, so nennt Freeletics den persönlich auf die schlanke 23-Jährige abgestimmten Trainingsplan. Den bekommt sie direkt aufs Handy, für knapp 80 Euro im Jahr. Billiger als das Fitnessstudio.
Löhle: "Und ich muss heute zum Beispiel Metis machen, die Workouts heißen nach den griechischen Göttern, man muss also immer gegen die Götter antreten. Und das Ziel ist immer, deine eigene Bestzeit zu schlagen, wenn's geht. Man kommt nie an den Punkt, wo es langweilig wird und wo man sagt, ich muss mich nicht mehr dafür anstrengen."
HIT, hoch intensives Intervalltraining nennen Sportwissenschaftler das. Im Leistungssport ist das nichts Neues. Mit den kurzen Trainingseinheiten lassen sich schnell Erfolge erzielen. Schlanker, stärker, ausdauernder. Der Sportpsychologe Heiko Ziemainz von der Uni Erlangen hat Freeletics selbst ausprobiert.
Heiko Ziemainz: "Ich glaube, bei Freeletics folgt das ein bisschen dem Zeitgeist, so ein bisschen 'zurück zum Natürlichen", also wo man sagt: Okay, wir machen das mit ganz einfachen Dingen, vielleicht auch in der Natur oder im Wald oder im Park oder sonst irgendwo, brauchen dafür jetzt keine großartigen Geräte, oder können das zu jeder Tages- und Nachtzeit machen, weil es keine festen Öffnungszeiten gibt."
Vor allem aber ist die App "social", und das scheint einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren von Freeletics zu sein. Der Austausch und der Vergleich mit anderen Nutzern birgt offenbar einen großen Reiz. Ein tägliches Sportfest für Erwachsene.
Anna Löhle kommt gerade schnell ins Schwitzen. Die anderen feuern sie an. Dieses Anfeuern funktioniert aber auch dann, wenn Anna die Gruppe nicht um sich hat: direkt in der App, auf ihrem Handy.
App und Internet-Austausch haben zwei Vorteile
Löhle: "Also hier zum Beispiel, das sind alle die, die mir folgen, ich kann raussuchen, wem ich folgen will. Und denen, denen ich folge, sehe ich dann immer hier, wenn die trainiert haben. Und dann kann ich quasi ihm einen Clap geben. Es sieht jeder, dass du das gemacht hast und dass du dein Bestes gegeben hast. Und das Schöne ist auch, wenn du zum Beispiel reinschreibst, heute war ein schlechter Tag, heute habe ich keine Bestzeit, es lief einfach nicht, und wenn dann jemand reinschreibt, hey super, dass du's durchgezogen hast ... das tut einfach gut."
Gegenseitige Motivation und das Zurschaustellen der eigenen Leistungen - Dinge, die eigentlich auch im Fitnessstudio möglich wären. Aber die App und der Austausch übers Internet habe zwei Vorteile, sagt der Sportpsychologe Heiko Ziemainz.
Ziemainz: "Wenn ich das für mich mache und poste das dann irgendwann, kann ich vielleicht auch Momente unterschlagen, wo es nicht so gut funktioniert hat. Also ich habe nicht unmittelbar 20 Leute rumstehen, die unmittelbar mitbekommen, was ich da mache oder nicht mache. Das Zweite ist sicherlich auch, dass ich eine höhere Flexibilität habe. Wenn ich meinetwegen Schichtarbeiter bin und gehe früh zwischen acht und zwölf Uhr ins Fitnessstudio, da sind vielleicht nicht die Leute im Fitnessstudio, mit denen ich mich gerne messen würde."
Freeletics hatte im Internet mit sogenannten "Transformation"-Videos Aufmerksamkeit erregt, Filme, auf denen Menschen ihren Oberkörper vor und nach ein paar Wochen Training zeigen. Heute kursieren hunderte Amateurvideos im Netz: Vom Pummelchen zum Muskelpaket in wenigen Wochen. Auch auf dem Sportplatz in Erlangen vergleichen die Anwesenden Handyfotos: vorher, nachher.
"Also da hatte ich schon abgenommen, aber das war vor Freeletics. Das war vor 15 Wochen. Und das war ich komplett vorher, also vor meiner Transformation ..."
Diese Mundpropaganda und das Teilen von Erfolgsgeschichten im Internet befeuern den Mythos um die Sport-App. Aber die Macher aus München haben noch mehr richtig gemacht, meint der Social-Media-Experte Mario Leo von der Firma Result Sports.
Leo: "Die Macher und die Gründer haben natürlich erkannt, dass in den digitalen Medien das Bewegtbild ein ausschlaggebendes Argument ist und ein sehr wichtiges Argument ist und hat alle Übungen erst mal in Bewegtbildformaten vorgemacht, damit ist der Nachahmungseffekt deutlich leichter. Dann hat man psychologisch aus meiner Sicht sehr, sehr gute Kontrastfarben gewählt mit Schwarz und Weiß, die Aufmerksamkeit schaffen, die Interesse und Neugierde wecken."
Auch kleine Ernährungstipps sind dabei
Ist das Interesse einmal geweckt, bindet die App die Trainierenden mit wohldosierten Hinweisen an das Unternehmen.
Leo: "Und auch den Kauf des einzelnen Coaches mit der Jahresgebühr, das wird nicht aufdringlich gemacht. Sondern im Gegenteil, es steht erst mal die Übung, die Selbstmotivation im Vordergrund und dann, wenn man dann bisschen angefixt ist, die körperliche Fitness steigt, dann wird man quasi unaufdringlich indirekt angesprochen, den nächsten Schritt zu tun in diese Community."
Kleine Ernährungstipps, die Aufforderung, seine Freunde mit einzubinden und damit das Freeletics-Netzwerk zu vergrößern – und irgendwann weitere Produkte zu kaufen. Zum Beispiel Freeletics-Kleidung, die das Unternehmen gerade neu auf den Markt bringt.
Die Gründer von Freeletics sollen schon millionenschwere Angebote für ihr Start-Up ausgeschlagen haben. Sie glauben offenbar an den langfristigen Erfolg. Aber viele Fitnesstrends waren kurzlebig, so der Sportpsychologe Heiko Ziemainz:
"Da sind dann die wenigsten, die dann auch längerfristig dabei bleiben. Da gibt es seit vielen Jahren Untersuchungen dazu, wenn man sich verschiedene Trends in Fitnessstudios anguckt, nehmen Sie die Aerobic-Welle oder so, dann flachte das wieder ein bisschen ab, und jetzt mittlerweile machen alle Zumba, da muss man vielleicht in ein, zwei Jahren das Interview nochmal führen, um dann beurteilen zu können, ob das jetzt der langfristige Knüller war, der es im Moment vielleicht zu sein scheint."
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