Die Fischöl-Lüge

Von Udo Pollmer · 12.10.2013
Die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren in Form von Fischölkapseln soll das Brustkrebsrisiko deutlich senken, heißt es in einer neuen Studie. Das klingt gut, ist aber Nonsens, meint Udo Pollmer - und empfiehlt den Autoren eine Fortbildung in den Grundrechenarten.
Es gibt Neues aus dem Reich der Wunder. Laut dem British Medical Journal, einer führenden Fachzeitschrift für Ärzte, genügt ein wenig Fischöl, um dem Brustkrebs ein Schnippchen zu schlagen. Datenbasis sind 21 prospektive Studien mit insgesamt fast 700.000 Teilnehmern. Prospektiv nennt man Studien, bei denen die Probanden über einen längeren Zeitraum begleitet werden. Die sind wesentlich aufwendiger. Deshalb genießen sie eine höhere Glaubwürdigkeit als Studien, die ihre Daten rückwirkend erheben.

Und was kam raus? Nach Angaben der Autoren sinkt das Brustkrebsrisiko pro 100 Milligramm Omega-3-Fettsäuren am Tag, in Form von Fischölkapseln eingenommen, um jeweils 5 Prozent. Klingt gut – rein rechnerisch würde also das Zwanzigfache genügen, um aus 5 Prozent 100 Prozent Schutz zu machen. Demnach ist der Brustkrebs mit 20 mal 100 Milligramm - ist gleich 2 Gramm Omega-3 - endgültig "besiegt". Und wer keine Fischölkapseln mag, der gibt einen Schuss Rapsöl in die Pfanne oder gönnt sich ein paar Walnüsse und die Omega-3-Dosis passt wieder. Das wäre die logische Schlussfolgerung.

Die Studie ging um die Welt
Doch die muss ein Irrtum sein: Fische entfalteten – so die Autoren – leider keine Schutzwirkung und pflanzliche Fette auch nicht. Angeblich waren deren Omega-3 samt und sonders nutzlos. Ziemlich merkwürdig – denn die einzige vernünftige Erklärung wäre, dass nicht das Fischöl für den Krebsschutz verantwortlich ist, sondern irgendwelche Zusatzstoffe in den Kapseln. Wer’s glaubt.

Die Studie ging um die Welt, die Resonanz in den Medien war beachtlich. Doch ehrlich gesagt klingt das alles reichlich seltsam. Ein guter Grund, die Studie genauer unter die Lupe zu nehmen. Rechnet man die Daten nach, kommt etwas völlig anderes heraus: Das Brustkrebsrisiko liegt mit gut 3 Prozent mit "gesunden" Fischöl-Kapseln viel höher, als die Autoren behaupten. Die Frauen, die keine Kapseln geschluckt hatten, erkrankten seltener an Brustkrebs, nämlich weniger als 2 Prozent. Nach Adam Riese steigt das Risiko also von knapp 2 Prozent ohne Fischölkapseln auf über 3 Prozent mit Fischölkapseln. Also eine Steigerung um über 50 Prozent – um die dramatisierende Sprache medizinischer Studien zu bemühen. Das Ergebnis ist also genau das Gegenteil dessen, was die Autoren behaupten.

Da fragt man sich doch, wie kommt so was in ein medizinisches Fachblatt, noch dazu in eins, das als "peer review journal" gilt, also eines, das besonders hohe Anforderungen an eine medizinische Studie stellt? Ganz einfach: Passt das Ergebnis zu Zeitgeist oder Geschäft, dann wird es veröffentlicht, passt es nicht, werden die Autoren beschieden, ihre Studie würde die hohen Qualitätsstandards nicht erfüllen.

Fälschung bleibt Fälschung
In Deutschland würdigt die Stiftung Warentest die Nonsens-Studie mit tierischem Ernst und vermutet, der fehlende Schutzeffekt des Fisches sei aufgrund methodischer Mängel der ausgewerteten Studien nicht entdeckt worden. Tut mir leid, Fälschung bleibt Fälschung. Noch dazu wäre sie ganz einfach zu durchschauen gewesen. Warentest empfiehlt schließlich die übliche Allzweckwaffe der Gesundheitsautisten: "Gesunder Lebensstil" und "regelmäßig Lebensmittel mit Omega-3-Fettsäuren". Wir wär‘s mit einer Fortbildung in den Grundrechenarten fürs Gesundheitsressort?

Den Vogel abgeschossen haben allerdings unsere Pharmazeuten. Unter der Rubrik "Ihr Apotheker informiert" lese ich: "Omega-3-Fettsäuren: Mit Fisch Brustkrebs vorbeugen". Die Autoren der genannten Studie würden pro Woche ein bis zwei Portionen fetten Seefisch gegen Brustkrebs empfehlen – was sie natürlich gerade nicht getan haben. Das Peinliche: Dieser Unfug findet sich im "Offiziellen Gesundheitsportal der deutschen ApothekerInnen", er stammt demnach von einer Berufsgruppe, die nicht müde wird, ihre fachliche Kompetenz in Sachen Gesundheit und Ernährung zu beschwören.

Ach, sollen die doch essen, was sie wollen. Mahlzeit!


Literatur:
Zheng JS et al: Intake of fish and marine n-3 polyunsaturated fatty acids and risk of breast cancer: meta-analysis of data from 21 independent prospective cohort studies. British Medical Journal 2013; 346: f3706
Schätzler TG: Peinliche Studie: "Fish and Metaanalysis stink after three days”. Schätzlers Schafott – Springer Medizin online 19. 7. 2013
HH: Omega-3-Fettsäuren: Mit Fisch Brustkrebs vorbeugen. Aponet.de 28. 6. 2013
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