Die Firmenbestatter

Von Barbara Roth |
Firmenbestatter übernehmen insolvente Betriebe. Sie verschleiern die wahren Besitzverhältnisse und bringen so die Gläubiger um ihr Geld. In München wird gegen einen von ihnen ermittelt. Er ist gelernter Elektromeister, Jahrgang 1950, und betrieb sein Geschäft im ganzen Bundesgebiet.
Es stapeln sich die Umzugskisten. Der Inhalt: Leitzordner, Rechner, Disketten. Mehr als 100 Kartons, die seit Monaten einen Gang im Münchener Polizeigebäude verstellen. Jede Kiste ist penibel beschriftet mit Firmen- und Ortsnamen aus dem ganzen Bundesgebiet. Gemeinsam ist den Firmen eines: Sie alle hatten zuletzt denselben Geschäftsführer. Einen gelernten Elektromeister, Jahrgang 1950, mit stämmiger Figur. Ein so genannter Firmenbestatter, gegen den in München ermittelt wird.

Johann Pürzer: " Hier geht es um eine klassische Anzeige, die dick und fett überschrieben ist: Konkurrenz? Am Ende? Das muss nicht sein! Es gibt immer einen Weg. Sichern Sie Ihr Vermögen, Ihren guten Namen! Übernahme, Kauf ihrer GmbH, Firma – auch bei Überschuldung und anderen Problemen. Geschäftsführerwechsel, Gesellschafterwechsel, Sitzverlegung. Seriöse, direkte Abwicklung auch in aussichtslosen Fällen. 20jährige Erfahrung. Sprechen Sie mit unseren Wirtschaftsjuristen und Steuerberatern. Und dann eben die entsprechende Firma, die das anbietet mit Telefonnummer und Faxnummer. "

Das Inserat erschien im Wirtschaftsteil einer großen, überregionalen Tageszeitung. Eine Firma mit Namen IWK GmbH München bietet ihre Dienste an. Anzeigen dieser Art sind laut Johann Pürzer nichts Ungewöhnliches.

Er blättert in einem Aktenordner, der prallgefüllt ist mit Zeitungsannoncen ähnlicher Qualität. Die Masche ist immer die gleiche: "So sanieren Sie clever! – Wir übernehmen ihre, vom Konkurs bedrohte GmbH", heißt es viel sagend in einer anderen Anzeige. Ganz unverhohlen wird sogar die "volle Schuldenübernahme" in Aussicht gestellt. Empfänglich für solche Versprechungen ist der Unternehmer, dem Schulden und Existenzängste den Schlaf rauben.

Johann Pürzer: " Das ist ein klassisches Inserat, das sich an Leute wendet, deren Firmen insolvent sind, sprich überschuldet, zahlungsunfähig sind. Und die momentan in der Situation sind, gehe ich zum Insolvenzgericht oder was habe ich sonst für Möglichkeiten. "

Wenn sich die unbezahlten Rechnungen häufen und die Gläubiger bereits ungeduldig auf der Matte stehen, bleibt eigentlich nur der Gang zum Insolvenzgericht. Laut Gesetz hat der innerhalb von drei Wochen zu erfolgen, ansonsten macht sich der bankrotte Firmeninhaber wegen Insolvenzverschleppung strafbar. Doch bei so manchem ist die Angst vor dem Reputationsverlust größer. Man stelle sich beispielsweise den einfachen Handwerker vor, der in einem kleinen Dorf wohnt und dem die Schulden über den Kopf wachsen. Wenn der Konkurrenz anmeldet, spricht sich das in seiner Heimatgemeinde natürlich sofort rum – dem Mann droht die Schmach der Pleite. Zeitungsinserate wie die genannten müssen auf ihn wie ein letzter Strohhalm wirken. Ein Griff zum Telefon – wird suggeriert – und schon naht die Rettung.

Johann Pürzer: " Die Leute, die das lesen, haben das Problem, dass sie sich scheuen zum Insolvenzgericht zu gehen, weil sie dann als Bankrotteur abgestempelt werden. Sie wollen ihren guten Namen retten, sie wollen ja geschäftlich weitermachen. Und dann denken sie sich, kostet ja nichts, rufe ich da mal an. Dann aber haben sie es natürlich mit Profis zu tun, die ihnen verschiedene Vorschläge machen, wie sie aus der ganzen Sache rauskommen. "

Johann Pürzer hat die Profis im Visier, die er Firmenbestatter nennt. Er leitet das Polizeikommissariats 242 in München, das für Wirtschaftsdelikte zuständig ist. Seine Abteilung ermittelt in einem der größten Fälle von Firmenbestattungen, den es derzeit in Deutschland gibt. Fünf Personen sind darin verwickelt, gegen zehn weitere laufen die Ermittlungen noch. Die IWK GmbH München mit den Außenbüros in Berlin, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart ist aus dem Verkehr gezogen. An die 300 "bestattete" Firmen in ganz Deutschland sind bis heute aktenkundig.

Johann Pürzer: " Das ist natürlich ein sehr, sehr starker Begriff: Firmenbestatter, auch Firmenbeerdiger. Es geht um nichts anderes als das Firmenbestatter Leute sind, die Firmen verschwinden lassen, die Firmen entsorgen, insolvente Firmen verlagern, um den Gläubigern, die versuchen an ihr Geld zu kommen, die vollstrecken wollen, die ihre Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher beauftragen, ins Leere laufen lassen. Die schaffen es durch Sitzverlagerung, Namensänderung, Geschäftsführerwechsel - und das nicht nur ein Mal sondern mehrfach – immer wieder einen Vorsprung zu haben, bis letztlich sich die Spur verliert, womöglich die Firma ins Ausland verlagert wird, gerne nach Spanien. "

Das Geschäft der Firmenbestatter hat Konjunktur – seit Mitte der 90er Jahre boomt es bundesweit; die Wirtschaftskrise hat das Business erst richtig angekurbelt. Den Schaden, den sie anrichten, schätzen Wirtschaftskriminalisten auf mehr als fünf Milliarden € jährlich. Firmenbestatter sind clever, sie selbst halten sich im Hintergrund, wickeln ihre Geschäfte viel lieber über Strohmänner ab. Das System ist durchdacht: Statt ordnungsgemäß Insolvenz anzumelden, überträgt der Alt-Eigentümer seine Geschäftsanteile an irgendeine Person. Der Deal wird beim Notar besiegelt. Als Käufer treten manchmal sogar ahnungslose Sozialhilfeempfänger auf; für ein paar hundert € die Unterschrift. Ein Service, der für den Alt-Eigentümer natürlich nicht umsonst ist.

Johann Pürzer: " Die Firmen wurden meistens für einen symbolischen Preis von 500 €, überwiegend sogar für einen € verkauft. Beim Notartermin wurde dann die Entsorgungsgebühr – Vermittlungs- oder Beratungsgebühr offiziell – in Höhe von 3.000 bis 50.000 €, oft sogar in bar übergeben. Da wurde großen Wert drauf gelegt nach dem Motto ohne Cash läuft gar nichts. Dann wurden schon beim Notar die nötigsten Geschäftsunterlagen übergeben, wobei sich keiner groß um die Vollständigkeit gekümmert hat, weil die Übernehmer, die Bestatter ja nicht vorhatten, die Firma weiterzuführen. Und die vorherig Verantwortlichen hatten ihre Firma los. "

Nicht nur die Firma, auch die Schulden und alle Verbindlichkeiten ist der Alt-Eigentümer los, denn mit dem Verkauf seiner Geschäftsanteile erlischt auch seine Haftung für die eigentlich Konkurs reife GmbH. Offene Rechnungen, noch ausstehende Löhne und Kredite, nicht bezahlte Steuern und Abgaben müssen ihn nicht mehr interessieren. Die Gelackmeierten sind seine Gläubiger, die Lieferanten, oft auch seine Bank, seine Mitarbeiter, das Finanzamt und die Krankenkasse. Die Masche hat System: Der Neu-Eigentümer schafft vor allem Chaos – wechselt den Geschäftsführer aus, oft mehrfach; vernichtet die alten Unterlagen, Rechnungen selbst Bilanzen verschwinden; ständig verlagert die GmbH ihren Firmensitz, um schlussendlich auf Nimmerwiedersehen ins Ausland abzuwandern.

Johann Pürzer: " Die Firma wurde natürlich nicht weiterbetrieben. Sollten noch irgendwelche Mitarbeiter beschäftigt gewesen sein, wurden umgehend die Kündigungen ausgesprochen. Sollten noch irgendwelche Waren oder Maschinen da gewesen sein, dann hat man versucht die noch zu verscherbeln, die noch zu Geld zu machen. Die Übernehmer haben dann eigentlich nur noch geschaut: können wir noch irgendwelche Gelder aus dem ganzen rausholen. Wenn also noch irgendwelche Forderungen offen sind, haben sie versucht diese Forderungen einzuziehen von den Kunden. So dass immer mal wieder Schecks eingingen. Diese Gelder sind dann aber im Sand verschwunden. Oder wurden auf andere Konten gebucht und dann wieder abgehoben. "

Das Wichtigste dabei: Es darf nichts, aber auch gar nichts gefunden werden, was beweisen könnte, dass der Betrieb zum Zeitpunkt der Übernahme bereits pleite war. Der Verkauf einer Firma allein ist nicht strafbar, natürlich auch nicht eine Pleite, wenn sie ordnungsgemäß abgewickelt wird. Je größer das Chaos, umso besser. Dann steigt die Chance, dass am Ende keiner mehr durchblickt. Das ist eiskaltes Kalkül. Die Firmenbestatter setzen darauf, dass Gläubiger irgendwann entnervt das Handtuch werfen und aufgeben.

Wolfgang Decker blättert in einer dicken Akte, die bis ins Jahr 2001 zurück datiert. Decker ist Rechtsanwalt in Villingen-Schwenningen. Er vertritt einen großen Baustofflieferanten. Den Namen des in Süddeutschland ansässigen Unternehmens will er nicht genannt wissen. Auf dem Tisch hat er den Fall einer kleinen Baufirma aus Berlin, die bei seinem Mandaten mit damals noch 50.000 D-Mark in der Kreide stand.

Wolfgang Decker: " Wir haben die Forderung tituliert natürlich, wie üblich versucht man mit der Titulierung an Geld zu kommen, die Kunden zu pfänden oder über den Gerichtsvollzieher die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu erzwingen. Der alte Geschäftsführer hat sinnigerweise darauf verwiesen, er sei überhaupt nicht mehr zuständig, man solle sich an den neuen Geschäftsführer halten. Es kann ja Ansatzpunkte für eine persönliche Haftung geben. Vorliegend wurde das nicht weiterverfolgt, weil die Bonität des alten Geschäftsführers auch persönlich derart katastrophal war, dass man vor der Situation stand hier Geld auszugeben für nichts. "

Der Alteigentümer war fein raus. Für den Rechtsanwalt begannen die Recherchen. Als er erfuhr, dass der Sitz der Baufirma mittlerweile von Berlin nach München verlegt worden war, wurde er hellhörig. Er machte sich im Handelsregister über den neuen Geschäftsführer schlau und wurde fündig:

Wolfgang Decker: " Sicherlich haben wir uns kundig gemacht und dabei festgestellt, dass er Geschäftsführer von circa zehn Firmen ist. - Blättert in Akten - Hier können Sie mal einen Blick drauf werfen: Das sind eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht – acht GmbHs praktisch. Wobei ich davon ausgehe, dass überall das gleiche Strickmuster vorliegt, dass also hier Gesellschaftsanteile veräußert wurden und auch ein neuer Geschäftsführer eingesetzt wurde mit dem Ziel, sich vor den Gläubigern zu verstecken. "

Die acht Firmen hatten nicht nur denselben Geschäftsführer, einen gelernten Elektromeister, Jahrgang 1950, mit stämmiger Figur. Die Firmen hatten auch identische Adressen: die Anschrift der IWK GmbH in München. Der Elektromeister sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Als neuer Geschäftsführer der kleinen Baufirma gab er sich ahnungslos – fast zwei Jahre lang. Von Rechnungen des Baustofflieferanten aus Süddeutschland wollte er nichts wissen. Briefe blieben unbeantwortet. Auf Mahnungen reagierte er einfach nicht. Auch Vollstreckungsbescheide, vom Gerichtsvollzieher überbracht, liefen ins Leere. Das Verfahren gipfelte – wie in solchen Fällen üblich – in einer eidesstattlichen Versicherung, doch er behauptete dreist, der GmbH liegen weder Unterlagen noch Rechnungen vor. Quälend langsam zog sich der Fall monatelang hin, bis Rechtsanwalt Decker vor fast genau einem Jahr Strafanzeige erstattete.

Wolfgang Decker: " Es löst dann ja Strafbarkeiten irgendwann mal aus, wenn er die Eidesstattliche abgibt und keine Insolvenz anmeldet. Also das ist der Hintergrund, dass wir sagen, wenn wir schon hier kein Geld kriegen, schöpfen wir wenigstens alle Möglichkeiten aus zu einer Bestrafung zu kommen. Hier bei dieser Strafanzeige war es ja sehr schön signifikant mit dieser eidesstattlichen Versicherung ohne jegliche Aussagekraft. Das hat den ganzen Umfang auch beleuchtet. Und deswegen sage ich, dass es im Ergebnis doch erfreulich ist: Man hat zwar kein Geld bekommen, und doch etwas bewegt. "

Die 50.000 D-Mark hat sein Mandat längst abgeschrieben. Der Baustofflieferant hofft nun auf Genugtuung vor Gericht. Es muss sich herumsprechen, dass man für so was ins Gefängnis kommen kann, fordert sein Rechtsanwalt. Nur das diene der Abschreckung. Das Kommissariat 242 in München hat die Ermittlungen übernommen; noch im Laufe des Jahres wird die Staatsanwaltschaft wohl Anklage erheben.
Dieser Erfolg ist selten genug. Kommissar Johann Pürzer weiß, wovon er spricht. Den Firmenbestatter der IWK GmbH München ist er seit dem Jahr 2002 auf der Spur.

Johann Pürzer: " Das ist eine staubige Arbeit. Das glaubt man gar nicht. (Lacht.) Man sollte sich manchmal die Hände waschen. "

Der Kommissar kramt mal wieder in einer Kiste voller Papier. Es sind Rechnungen, Lieferscheine, Kundenaufträge, Angebote, Bankauszüge – ein heilloses Durcheinander, das Blatt für Blatt gesichtet werden muss. Drei, teilweise vier Kisten übereinander sind die Flurwand entlang gestapelt. Grob geschätzt stehen rund 100 Umzugskartons auf dem Gang vor den Büros. Der Brandschutz macht ihm bereits Ärger.

Johann Pürzer: " Wobei es schon verträglicher ausschaut. Es war schon wesentlich voller alles. Insgesamt, wenn man beide Komplexe zusammennimmt, haben wir sicherlich vier Lkw voll. Es sind pro Lkw sicherlich so 150, 200 Kisten. Puh, das ist ja ein Aufwand! Ja, das ist ein Riesenaufwand, das ist klar. Das Aktenordner oder lose Blattsammlungen, Geschäftsunterlagen. Da waren auch jede Menge PCs. Wenn wir von den entsprechenden Firmen die Computer gefunden haben, haben wir die natürlich mitnehmen müssen. Wir wissen ja nicht, ob die Daten ausgedruckt sind oder nicht. Also haben wir auch sehr oft Datenträger. Disketten oder CDs. Wir haben auch Kellerräume, wo alles voller Akten ist. Wir haben noch in einem anderen Gebäude große Räume, wo noch Akten drin sind, wo wir nach Bedarf, Akten, die man bearbeitet hat, wieder hinschaffen. "

So manche Staatsanwaltschaft – so der Eindruck der Münchner Kommissare - lässt lieber die Finger von solchen Ermittlungen, weil sie in viel Arbeit ausarten und häufig doch mit Freispruch enden. Der Fall in München beschäftigt mittlerweile fünf Ermittler. Auf jede Kiste ist ein Zettel geklebt, darauf sind fein säuberlich Firmen und Ortsnamen aus dem ganzen Bundesgebiet vermerkt. Die Firmenbestatter waren dick im Geschäft, daran zweifelte Kommissar Pürzer nicht. Jedoch fehlte es lange an Beweisen. Bis ihm eine Adresse zugespielt wurde: Eine alte Villa in München. Der Besitzer ist ein dubioser Kaufmann, ein gelernter Pilot. Im Keller der Villa wurden die Ermittler fündig: Kistenweise stapelten sich in einem Lagerraum - 70 Quadratmeter groß - Unterlagen. Geschäftspapiere beerdigter Firmen, die noch nicht – wie sonst üblich - vernichtet waren. Der Kommissar ist sich sicher, einen dicken Fisch an der Angel zu haben. Im Villenbesitzer sieht er den Drahtzieher im Hintergrund.

Johann Pürzer: " Der das Ganze gemanagt hat. Der wiederum eine Reihe von Leuten aus seinem Bekanntenkreis als Strohgeschäftsführer eingesetzt hat, die also ihren Namen hergeben mussten. Er selber ist namentlich nie in Erscheinung getreten. Und ist bei Bedarf halt zu den Besprechungen dazugekommen, wenn es ums Eingemachte, sprich um das verdienende Geld gegangen ist, wie wird es gemacht und wie viel kostet es. Er streitet es vehement ab, im Gegenteil: er bezichtigt alle anderen ihn über den Tisch gezogen zu haben. "

Was dazu führte, dass die nun wiederum fleißig plaudern. Der Münchner Fall wird bundesweit mit Interesse verfolgt, weiß der Kommissar aufgrund der Anfragen vieler Kollegen aus anderen Städten. Man wartet gespannt auf die Anklage: Konkursverschleppung, Betrug, Hehlerei, Untreue, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung – die Liste der Vorwürfe könnte lang werden. Im Übrigen kommen auch die Alt-Eigentümer nicht ungeschoren davon.