Die (fiktive) Silvester-Presseschau von Klaus Pokatzky

Die (fiktive) Silvester-Presseschau befasst sich unter anderem mit Sabine Christiansens Rückkehr auf den Bildschirm, einem neuen Film des Spaßregisseurs Borat und Enthüllungen des Undercover-Autors Günter Wallraff.
"Willkommen Sabine, in der großen Gasprom-Media-Familie. Dobro poschalowatch w bolschoi Gasprom Semja." Die BERLINER ZEITUNG würdigt die neue deutsch-russische Fernseh-Talkshow von Sabine Christiansen nahezu hymnisch. "Ihre Aussprache des Russischen ist gewiss noch verbesserungsfähig", schreibt Helene Doll-Nawara: "bei den Betonungen der Silben und bei manchem Vokal schwächelt Sabine Christiansen noch am meisten – aber insgesamt, unter dem Strich, oder: pod nim prowadil, wie die Russen sagen, kann sich die Sendung mehr als sehen lassen."

Nachdem Sabine Christiansen im Frühjahr 2007 ihre ARD-Unterhaltungssendung an Günther Jauch abgetreten hatte, sah es ja nicht so aus, als ob sie uns so rasch wieder auf dem Bildschirm heimsuchen würde – weit gefehlt, oder: Dalekó njedostajuschtschij wie der Russe sagen würde. "Sie tauchte auf wie der Phoenix aus russischer Asche", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Nachdem der russische Energieriese von Putins Gnaden Gasprom sich in der russischen Medienszene so sehr eingekauft hatte, dass er dort keinen Fernsehsender, keine Radioanstalt, keine Zeitung mehr erwerben konnte, lag es nahe, das Erdgas-Geld im lupenreinen Kapitalismus germanischer Art zu investieren", schreibt Thomas von Webeier über den Coup, der 51 Prozent der Anteile der deutschen Fernsehgruppe ProSieben-SAT1 in die Hände von Gasprom brachte.

"Es hat ein Rüchlein und entbehrt gleichzeitig nicht der Ironie", lesen wir in der Wochenzeitung DIE ZEIT, "dass mit den beiden Vorstandsvorsitzenden von Gasprom Media Germania, also mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem einstigen Vorsitzenden der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag Friedrich Merz, zwei ausgemachte Opfer von Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Spitze des neuen Mediengiganten getreten sind, der sich mit dem Erwerb der Berliner Zeitung auch sein erstes Bein in der Printmedienlandschaft geschaffen hat", schreibt Dagobert von Knackstedt.

Die BERLINER ZEITUNG in ihrer Bilanz der ersten dreizehn Sendungen von "Guten Abend, Christiansen" auf SAT1, "Dobri wetscher Christiansen na Sputnik adin": "Gewiss, am Anfang fragten auch wir uns, ob ein Sendekonzept tragfähig ist, das auf zwei Dauergästen, nämlich Gerhard Schröder und Wladimir Putin und einem wechselnden dritten Gast beruht", meint Helene Doll-Nawara: "Auch war es sicherlich gewöhnungsbedürftig, dass die Dauergäste Putin und Schröder zwar deutsch sprechen, Sabine Christiansen jedoch auf russisch moderiert. Da die deutschen Untertitel-Übersetzungen wiederum in kyrillischer Schrift eingeblendet werden, ist die Herausforderung für den Zuschauer noch größer. Doch, alles in allem, oder W obschtschem selom wie der Russe sagen würde: wir leben in einer globalisierten Welt, in der Russland als unser Handelspartner immer bedeutender wird; also sollten wir alle jede Chance nutzen, unser Russisch aufzubessern."

Mit dem neuen Film des Spaßregisseurs Borat beschäftigt sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Diesmal ist der angeblich kasachische Fernsehreporter doch etwas zu weit gegangen", schreibt Urs-Ruedi Knoppé – nachdem Borat sich als angeblich muslimischer Praktikant bei Radio Vatikan eingeschmuggelt hatte und eine Minikamera immer heimlich laufen ließ. Die NEUE ZÜRCHER: "Viel Neues ist dabei nun wirklich nicht herausgekommen. Dass vatikanische Monsignores über Schwule genauso abfällig reden, wie der Durchschnittsbürger im Mittleren Westen der USA oder wie islamische Fundamentalisten, wussten wir auch vorher. Im übrigen spricht es ja eher auch für die päpstliche Öffnung gegenüber dem Islam, dass Borat so völlig problemlos sein Praktikum im Vatikan-Radio bekommen konnte. Das schlechte Gewissen von Benedikt dem XVI. nach seiner verunglückten Regensburger Rede mag da immer noch eine Rolle spielen."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meldet einen Sieg in eigener Sache. "Die insgesamt 27 Rechtsstreitigkeiten, die dieser Zeitung im Laufe der Zeit vom dem Schriftsteller Günter Grass wegen seiner einstigen Mitgliedschaft in der Waffen-SS aufgezwungen wurden, haben nun ihren Abschluß gefunden", klärt uns Matthias Bommel auf: "Der Vergleich, der dabei herauskam, ist für diese Zeitung tragbar. Diese Zeitung verpflichtet sich, nie zu behaupten, Günter Grass habe seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS frei erfunden, um damit die Auflage seines autobiographischen Werkes "Vom Häuten der Zwiebel" zu steigern. Günter Grass zieht dafür sämtliche Klagen gegen diese Zeitung zurück. Die Gerichtskosten werden geteilt – und von Günter Grass aus den Honoraren der durch seine Enthüllung über seine einstige Mitgliedschaft in der Waffen-SS erhöhten Buchauflage bestritten."

Juristisches Ungemach droht jedoch dem einstigen Undercover-Journalisten Günter Wallraff. "Wir haben ihm ja alles abgenommen, ob es nun der Türke Ali oder der Hans Esser von der Bild-Zeitung war oder der Pförtner bei dem Versicherungskonzern Gerling – aber muss das jetzt sein?", fragt in der Tageszeitung TAZ Bernd Körnle nach dem Buch "Ich bin Sabine Christiansen", das Günter Wallraff im Göttinger Steidl-Verlag von Günter Grass herausgebracht hat. "Ob er nun Sabine Christiansen sein will oder nicht, lassen wir mal dahingestellt", meint in der Tageszeitung DIE WELT Barbara Birner: "Wir behaupten ja auch gar nicht mehr, er habe eine Stasi-Vergangenheit – aber wie ein so eingefleischter Kommunist wie Günter Wallraff sich nun hinstellt und von dem Wallraff-Adepten Borat gerichtlich einen Tantiemen-Anteil von 33 Prozent erstreiten will, weil der die alte Wallraff-Masche der Camouflage-Journaille bei Wallraff abgekupfert habe, zeigt nur wieder, wie alte Kommunisten ganz rasch zu den größten Kapitalisten werden, wenn es um das Eingemachte geht: das Geld, das nicht stinkt. Non olet."

Bleiben wir abschließend beim Geld. Sabine Christiansens Nachfolger – oder vielleicht doch Günter Wallraffs Nachfolger in dessen Rolle als Sabine Christiansen – auf jeden Fall: Günther Jauch beschäftigt den Berliner TAGESSPIEGEL. "Steckt etwa auch hier Gasprom dahinter?", fragt Miriam Mossius, "wenn Günther Jauch nun für ein Millionenhonorar nicht, wie ursprünglich geplant, für Wodka Gorbatschow, sondern für Wodka Moskovskaja Reklame macht, der bekanntlich von einem Unternehmen der Gasprom-Gruppe hergestellt wird?"

Wir sagen nur noch: Na sdorowje!