Die Feierabend-Dichter

Von Jens P. Rosbach |
Immer häufiger bieten Volkshochschulen Kurse im "Kreativen Schreiben" an. Bei den Hobbyliteraten dort gilt das ungeschriebene Gesetz, dass niemand in Grund und Boden kritisiert wird. Lachen, Schweigen oder Nachfragen ist erlaubt - aber manchmal gibt's auch kollektives Stirnrunzeln.
Frau liest: "Herbstgedanken. Rotbraune Blätter in allen Schattierungen. Auch meine Seele ist rotbraun."

Ein Klassenzimmer in einer Grundschule - mit einer Tafel, Schultischen und Blümchengardinen. Auf den Stühlen: zehn Erwachsene.

Frau liest: "Die Natur verändert sich. Langsam fallen die Blätter zu Boden. Die Bäume lichten sich. Bei mir lichtet sich das Bindegewebe und der Po sinkt tiefer und tiefer."

19.30 Uhr, beim Volkshochschulkurs "Lust am Schreiben - kreatives Schreiben".

Frau liest: "Der Herbst kündigt sich an mit morgendlichem Frost und Nebelschwaden. Vorbei die schönen Abende draußen beim Italiener. Bei mir kündigen sich die Wechseljahre an. Vorbei die schönen Abende m i t dem Italiener?" (Lachen Kursteilnehmer)

Die Aufgabe an diesem Abend: Stichworte über den "poetischen Herbst" zu notieren und einen Text daraus zu basteln. Und zwar innerhalb von 20 Minuten. Dann die Lesestunde. Rebekka trägt etwas Lustiges übers Altwerden vor und Ingeborg etwas Trauriges über eine Trennung.

Ingeborg: "Ich hab gedacht: Wie beschreib ich die Leere? Es war absolut nichts! Das Nichts oder die Leere.. hab ich gedacht…"

Sonja: "Also heißt das, dass Herbst für dich nur Leere ist?"

Ingeborg: "Nein, dass ist entstanden durch die Stichworte komischerweise. Durch Spinnen am Fenster. Und Möwengeschrei und grauer Himmel, tiefliegend. Das haben wir alles gesehen. Aber auch gebratene Äpfel oder gut duftende Äpfel. Aber das setzte sich nicht durch."

Auch der Kursleiter, Klaus Mischon, dichtet mit. Der studierte Germanist schreibt gegen die weit verbreitete Herbst-Depression an.

"Lasst also die Kirche im Dorf mit Eurem Sonnenhunger! Jetzt sind die Pilze dran! Jetzt wird gehustet und es werden Gespräche geführt. Der Herbst ist da! Ich habe ihn gesehen. Der Herbst übrigens ist eine Frau."

Teilnehmerin 1: "Was ist nicht alles eine Frau, was ich nicht schon alles gehört habe, ja!"

Teilnehmerin 2: "Ich bin eine Frau, aber ich bin nicht der Herbst!" (Lachen).

Teilnehmerin 3: "D i e Herbst ist eine Frau, habe ich gesagt!"


Zimmermann: "Ich arbeite in der Pharmazeutischen Industrie und bin da in der Forschung tätig und da geht's um sehr trockene Materie. Dürre, trockene Sachprosa, Sachverständigengutachten, Prüfpläne, also wenig Raum für Phantasie. Und das ist hier befreiend, ist was Schönes, die eigene Phantasie befreien und rauslassen."

Jens Zimmermann ist 45 Jahre alt und seit sechs, sieben Jahren Volkshochschul-Stammgast. Meistens ist er in den Kursen allein unter schreibenden Frauen. Hahn im Korb, meint er grinsend, sehr angenehm.

Zimmermann: "Tja, also ich bin schon publizistisch tätig geworden, wenn auch im kleineren Kreis, für die Firmenzeitschrift hab ich Glossen geschrieben. Manchmal ist es auch einfach Therapie. Ich bin notorischer Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel, ich sage immer: Schreiben ist besser als schlagen und wenn man denn ne kritische Situation erlebt hat, die verarbeite ich dann auch häufig literarisch. Wenn einer mal ein bisschen rumgepöbelt hat oder ging ein bisschen laut her oder man hat sich um einen um einen Sitzplatz gerangelt und da ist der Dampf auch nachher raus, und es ist dann für alle Beteiligten besser, wenn ich was geschrieben habe, als wenn da die Fetzen geflogen wären."

Mischon: "Okay, ja Sonja!"

Sonja: "Also während wir uns unterhielten über den Herbst, da kam mir halt irgendwann so der Ausdruck: Das Herbstgesicht ist ein Kürbis und darum hab ich`s ein bisschen personifiziert: Herr Herbst besucht uns immer im Oktober. Er ist meistens pünktlich und bleibt dann immer bis Ende November."

Sonja Alexa Schmitz hat Spanisch und Französisch studiert. Die 30-Jährige schreibt seit 15 Jahren Tagebuch - im "stillen Kämmerlein". Nun, in der Volkshochschule, will sie lernen, ihre Texte in eine "gesellschaftsfähige Form" zu bringen, wie sie sagt. Den Traum, Schriftstellerin zu werden, hat sie aber nicht.

Schmitz: "Weil ich hab die Befürchtung, wenn ich irgendwelche ehrgeizigen Pläne hätte, dass ich dann anfange, unter Druck zu arbeiten und dann nicht mehr … dass die Freude verloren geht dabei. Also ich möchte es mir nicht versauen, ich möchte es eigentlich liebe für mich, für mein Vergnügen machen, und wenn dann was bei raus kommt, wunderbar, aber erstmal nicht."

Die meisten Kursteilnehmer texten nur für den privaten, für den Hausgebrauch. Oder um beruflich "fit" zu bleiben, erklärt eine Deutschlehrerein. Dennoch, berichtet Seminarleiter Mischon stolz, dennoch produzierten seine Leute manchmal echte Perlen.

Mischon: "Ich hatte auch schon Teilnehmer in so Kursen, die haben Texte, die sie hier geschrieben haben, publiziert, das gibt es auch. Also es gibt Leute, die haben die Fähigkeit, in 20 Minuten einen Text zu fabrizieren, ihn dann an die Frankfurter Rundschau zu schicken. Hinten dann auf der letzten Seite, da gibt’s ja Spaß, Satire, Ironie, da wurden also Texte von Uwe Zabel, den kann ich nennen, die wurden da auch schon nahtlos aus einer Schreibwerkstatt auch gedruckt."

Frau: "Poetischer Herbst - und bei mir ist ein Krimi entstanden." (lacht)" Johans machte noch seine letzte Ansage an die Polizisten, die im Wald nach der Frau suchten…"

Das ungeschriebene Gesetz bei den Hobbyliteraten: Niemand wird in Grund und Boden kritisiert. Lachen, Schweigen oder Nachfragen ist erlaubt - aber manchmal gibt’s auch kollektives Stirnrunzeln.

Mischon: "Vor Jahren gab's hier mal einen Mann, der hat sehr provokative Texte geschrieben. Sehr postmodern, sexuell angehaucht, durchsetzt. Und da waren einige Frauen nicht damit einverstanden. Haben ihm das auch zurückgegeben, und er ist dann auch weggeblieben dann. Die letzten drei Mal ist er nicht mehr gekommen."

Schneller schreiben, "dichter" schreiben, ohne Füllwörter schreiben; fließende, nicht holpernde Texte verfassen - das haben wir hier gelernt, bilanzieren Kursteilnehmer, die schon länger dabei sein. Und wie fühlen sich die Feierabend-Poeten, wenn sie das Buch eines Profis in der Hand halten? Eins, das so richtig unter die Haut geht?

Umfrage: "Es hat so was, es macht Lust. Es hat so was, von ...ahhh! Ahh, das möchte ich auch!/Ansporn und Bewunderung!/Ja, also Bewunderung auf jeden Fall. Aber ich glaube, ich muss so ehrlich sein und sagen: Ein bisschen Neid ist auch dabei. Also wenn ich so einen Hesse lese, dann denke ich mir einfach: Es ist so großartig, also eigentlich spricht er mir so aus der Seele, warum könnte ich das jetzt nicht so formulieren! "