Die falschen und die richtigen Töne

Von Martin Becker · 11.01.2011
Die deutschsprachige Literatur wird in Tschechien immer wichtiger. Einer, der sich in den letzten Jahren sehr um die Popularität deutscher Romane und Erzählungen in der Tschechischen Republik bemüht hat, ist der Übersetzer und Lektor Tomáš Dimter.
"Also, unser Verlag ist ungefähr 200 Meter von der größten Rettungsstation hier in Prag platziert, und man hört wirklich fast jede Minute einen Krankenwagen, der einen toten oder fast-toten Patienten mitbringt. Und wenn man mit den Büchern hier arbeitet, dann sagen wir uns auch manchmal: Ja, das ist fast wie die Arbeit mit Leichen, mit toten Autoren. Es ist ein bisschen schwierig, aber signifikant."

Ein Bürokomplex am Stadtrand von Prag, der Sitz von "Mladá fronta", einem der größten Verlage Tschechiens. Dichter Verkehr vor dem Fenster, Straßenbahnen fahren vorbei. Tomáš Dimter steht vor dem hohen Bücherschrank mit den literarischen Neuerscheinungen. Der 1974 geborene Lektor und Übersetzer ist athletisch und groß, und trägt ein lässiges T-Shirt. Freundlich ist er, dabei aber sehr ironisch. Wenn er erzählt, dann lächelt er oft verschmitzt.

"Momentan bin ich einer der zwei Lektoren in der tschechischen Verlagsbranche, die Deutsch sprechen und die sich irgendwie um die deutsche Literatur kümmern. Und ich glaube, ich hab einen sehr guten Geschmack, Literaturgeschmack, und deshalb wollte ich das ja auch versuchen: Nicht nur als Übersetzer zu arbeiten, sondern eben auch als Verlagslektor."

Während der 36-jährige Tscheche telefoniert, wandert sein Blick über den Schreibtisch: Dicke Mappen mit Papieren, deutsche Bücher, tschechische Bücher, korrigierte Druckfahnen. Seit drei Jahren leitet Dimter die belletristische Abteilung seines Verlags und ist für rund 40 Neuerscheinungen pro Jahr zuständig.

"Also, die Tastatur sieht man doch, oder? Den Bildschirm auch, das Telefon ist auch hier zu sehen, ich würde schon sagen, das ist ein ganz ordentlicher Redakteursarbeitsplatz."

Aufgewachsen ist Tomáš Dimter in der Provinz, in einem Dorf namens Adršpach an der Grenze zu Polen. Seine Mutter ist vor einigen Jahren verstorben, seinen Vater hat er nie kennen gelernt. Diese Spalte in der Geburtsurkunde ist leer geblieben, wie Dimter selbst sagt. Zur deutschen Sprache hat er schon früh Kontakt gehabt. Sein Großvater war Sudetendeutscher und hat eine Slowakin geheiratet – deshalb musste seine Familie das Dorf nach Kriegsende nicht verlassen.

"Ich komme aus einer deutschsprachigen Familie, obwohl bei uns nie Deutsch gesprochen wurde. Der Großvater ist mit 60 gestorben, ich habe ihn nicht erlebt. Aber meine Mutter hat mit meiner Oma nur Deutsch geredet, wenn sie sich gestritten haben. Das war der einzige Grund, Deutsch zu benutzen."

Einfach, aber glücklich – so beschreibt der Übersetzer seine Kindheit in Adršpach, wo er heute oft in völliger Abgeschiedenheit viel Zeit verbringt. Schon auf dem Gymnasium las Dimter alle Werke von Tolstoj und Dostojewski und war völlig fasziniert. Früh gehörte Literatur zu seinem Leben dazu, ebenso wie seine andere Leidenschaft: der Sport.

"Bis 16 habe ich in der ersten Volleyballliga gespielt. Ich hatte lange Haare, Fußballerhaare, sozusagen, vorne kurz, hinten lang. Ich hab jeden Tag Sport getrieben, entweder Volleyball gespielt oder Tischtennis, Tennis. Fußballer habe ich immer gehasst und hasse ich immer noch. Also, wir haben wirklich sehr viel Sport getrieben, das war so üblich auf dem Lande. Das war das Einzige, womit man sich gegen das Regime irgendwie wehren konnte: Bisschen besser laufen."

Nach dem Abitur studiert Dimter Germanistik und Philosophie in Prag, Salzburg und Berlin. Mit 21 übersetzt er die "Idee der Phänomenologie" von Edmund Husserl ins Tschechische. Jahre später, während einer Übersetzerwerkstatt im Literarischen Colloquium in Berlin, entdeckt der junge Tscheche seine literarische Passion. Er macht es sich zur Aufgabe, die in seiner Heimat schwer verkäufliche, deutschsprachige Literatur nicht nur zu übersetzen, sondern bekannt zu machen. Heute ist Tomáš Dimter ein gefragter Übersetzer, dessen Übertragungen von Thomas Bernhard oder Terézia Mora mit Preisen ausgezeichnet wurden.

"Das Gute ist: Ich hab Philosophie studiert. Und dann habe ich gelernt, die falschen Töne im Schreiben zu sehen und zu hören. Bei vielen Autoren merkt man das wirklich gleich: Der kann nicht schreiben. Der hat keinen guten Lektoren gehabt. Weil die Übersetzer sind die besten Leser."

Der Übersetzer lebt spartanisch: In einer kleinen Wohnung auf 30 Quadratmetern, dafür aber mit 5000 Büchern. Seine freie Zeit verbringt er mit seiner Freundin, die auch Übersetzerin ist – oder er geht schwimmen, oft zwei Mal am Tag. Mehr Raum für sein Privatleben gibt es kaum. Denn neben der Arbeit als Lektor und dem Übersetzen, das Dimter lächelnd als sein größtes Hobby bezeichnet, unterrichtet er am Institut für Translatologie der Karlsuniversität. Auch schreibt er seit Jahren an einer umfangreichen Chronik über sein Heimatdorf Adršpach. Wenn man als Kulturschaffender in der tschechischen Hauptstadt irgendwie überleben will, geht es gar nicht anders: Man muss einfach mehrere Jobs gleichzeitig haben, sagt Dimter lächelnd, das sei doch ganz selbstverständlich.

"Das tut hier doch jeder. Wenn man im Verlag arbeitet, dann hast du nicht genug Geld für das Leben in Prag. Das deckt nur die Kosten, vielleicht. Es ist wirklich schwierig, in der Kulturbranche nur von einem Job zu leben. Das ist wirklich schwierig."