Die falschen Lehren aus der Geschichte
Das Hitler-Syndrom bezeichnet eine von Zwang geprägte, reflexartige Reaktion der westlichen Außenpolitik auf Diktatoren seit dem Zweiten Weltkrieg. Denn die Erfahrung von 1939 sagt, dass Hitler hätte verhindert werden können, wenn die Gefahr richtig eingeschätzt worden und eine Koalition der Willigen bereit gewesen wäre, die Nazis niederzukämpfen, so lange dies noch möglich war.
Aber auch in den dreißiger Jahren, so Eric Frey, war der Blick der internationalen Außenpolitik bereits getrübt vom vorhergegangenen Krieg: Das Trauma des Ersten Weltkrieges führte zur Beschwichtigung, der Appeasement-Politik, die einen Interessenausgleich um jeden Preis auf diplomatischem Wege herbeiführen wollte - Hitler gegenüber war dies die falsche Strategie, eine Fehleinschätzung, die 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Bis heute, so argumentiert das Buch, werde jeder Konflikt durch die Brille des vorhergegangenen gesehen, sei es nun der Nahost-Konflikt, der Jugoslawien-Krieg oder die Golfkriege - und damit falsch eingeschätzt.
Das Hitler-Syndrom führt zu einem "transatlantischen Dialog der Schwerhörigen”,
sagt Frey, denn die US-Amerikaner und die Europäer verstehen sich einfach nicht. Während die USA auf militärische Drohgebärden und Kriege setzen, um die Demokratie zu verteidigen, auch wenn dies die Probleme nicht löst, sondern verschärft, leiden die Europäer unter dem "München-Syndrom”. Sie wollen, wie 1938 der britische Premierminister Chamberlain, das Primat des gewaltlosen Handelns um jeden Preis, was im Falle des Jugoslawien-Krieges und eines Diktators wie Milosevic der falsche Weg gewesen sei. Hier hätten erst US-amerikanische Bomben den Frieden erzwungen.
In den siebziger Jahren übrigens litten die US-Amerikaner nach dieser Logik noch unter dem "Vietnam-Syndrom”, das es ihnen verbot, sich international zu engagieren, auch wenn dies nötig und richtig gewesen wäre.
Der 1963 geborene Eric Frey ist als Kind jüdischen Eltern in Österreich aufgewachsen, seine Familie überlebte den Holocaust nur, weil sie - anders als die Realpolitiker der dreißiger Jahre - die Lage stets richtig deuteten, rechtzeitig flohen oder sich versteckten. Frey hat viele Jahre als Gastprofessor in den USA verbracht. Heute ist er Journalist beim Standard in Wien. Er plädiert in seinem Buch für eine gemeinsame Außenpolitik Europas und der USA, die die unterschiedlichen Erfahrungen aus der Geschichte nicht leugnet, sondern sie als Stärke interpretiert.
Das Buch ist leicht zu lesen und klar strukturiert, manchmal sogar unterhaltsam. Darunter leidet allerdings die Genauigkeit der Analyse. Denn Frey lässt sich dazu hinreißen, eigene Ansichten als Fakten darzustellen: Wenn er zum Beispiel behauptet, im Bosnien-Krieg hätten allein die Serben durch Terror versucht, ihre territorialen Maximalforderungen durchzusetzen, so beschreibt das den Blickwinkel des Autors, ist aber keine objektive Darstellung. Der umfangreiche Apparat von Sekundärliteratur allein vermag Wissenschaftlichkeit nicht zu simulieren, wenn die Argumentationsketten des Autors dies nicht hergeben. Dennoch ist das Buch lesenswert für den, der sich seine eigene Kritikfähigkeit erhalten hat.
Eric Frey verabschiedet sich hier von einem Geschichtsbild, das allein die Ökonomie als Triebfeder politischen Handelns anerkennt. Viel einflussreicher auf den Gang der Welt sind demnach Ideen, Anschauungen, kulturelle Prägungen und Erfahrungen - auch wenn aus ihnen die falschen Schlüsse gezogen worden sind.
Eric Frey: Hitler-Syndrom - Über den Umgang mit dem Bösen in der Weltpolitik
Eichborn/Frankfurt am Main
240 Seiten, 19,90 Euro
Bis heute, so argumentiert das Buch, werde jeder Konflikt durch die Brille des vorhergegangenen gesehen, sei es nun der Nahost-Konflikt, der Jugoslawien-Krieg oder die Golfkriege - und damit falsch eingeschätzt.
Das Hitler-Syndrom führt zu einem "transatlantischen Dialog der Schwerhörigen”,
sagt Frey, denn die US-Amerikaner und die Europäer verstehen sich einfach nicht. Während die USA auf militärische Drohgebärden und Kriege setzen, um die Demokratie zu verteidigen, auch wenn dies die Probleme nicht löst, sondern verschärft, leiden die Europäer unter dem "München-Syndrom”. Sie wollen, wie 1938 der britische Premierminister Chamberlain, das Primat des gewaltlosen Handelns um jeden Preis, was im Falle des Jugoslawien-Krieges und eines Diktators wie Milosevic der falsche Weg gewesen sei. Hier hätten erst US-amerikanische Bomben den Frieden erzwungen.
In den siebziger Jahren übrigens litten die US-Amerikaner nach dieser Logik noch unter dem "Vietnam-Syndrom”, das es ihnen verbot, sich international zu engagieren, auch wenn dies nötig und richtig gewesen wäre.
Der 1963 geborene Eric Frey ist als Kind jüdischen Eltern in Österreich aufgewachsen, seine Familie überlebte den Holocaust nur, weil sie - anders als die Realpolitiker der dreißiger Jahre - die Lage stets richtig deuteten, rechtzeitig flohen oder sich versteckten. Frey hat viele Jahre als Gastprofessor in den USA verbracht. Heute ist er Journalist beim Standard in Wien. Er plädiert in seinem Buch für eine gemeinsame Außenpolitik Europas und der USA, die die unterschiedlichen Erfahrungen aus der Geschichte nicht leugnet, sondern sie als Stärke interpretiert.
Das Buch ist leicht zu lesen und klar strukturiert, manchmal sogar unterhaltsam. Darunter leidet allerdings die Genauigkeit der Analyse. Denn Frey lässt sich dazu hinreißen, eigene Ansichten als Fakten darzustellen: Wenn er zum Beispiel behauptet, im Bosnien-Krieg hätten allein die Serben durch Terror versucht, ihre territorialen Maximalforderungen durchzusetzen, so beschreibt das den Blickwinkel des Autors, ist aber keine objektive Darstellung. Der umfangreiche Apparat von Sekundärliteratur allein vermag Wissenschaftlichkeit nicht zu simulieren, wenn die Argumentationsketten des Autors dies nicht hergeben. Dennoch ist das Buch lesenswert für den, der sich seine eigene Kritikfähigkeit erhalten hat.
Eric Frey verabschiedet sich hier von einem Geschichtsbild, das allein die Ökonomie als Triebfeder politischen Handelns anerkennt. Viel einflussreicher auf den Gang der Welt sind demnach Ideen, Anschauungen, kulturelle Prägungen und Erfahrungen - auch wenn aus ihnen die falschen Schlüsse gezogen worden sind.
Eric Frey: Hitler-Syndrom - Über den Umgang mit dem Bösen in der Weltpolitik
Eichborn/Frankfurt am Main
240 Seiten, 19,90 Euro