Die Evolutionstheorie beleuchten

Von Johannes Kaiser |
Die philosophische Debatte über Darwins Evolutionstheorie ist auch in unserer Zeit aktuell. Für einige christliche Gruppen in den USA ist sie Teufelswerk. Der englische Philosoph John Dupré hat sich in seinem Buch noch einmal mit ihr auseinander gesetzt.
John Dupré ist ein Verteidiger der Evolutionstheorie von Darwin. Seiner Ansicht nach sprechen die Fakten für sich: Die heute existierenden Lebensformen basieren auf früheren, lassen sich aus ihnen ableiten. Keine andere Theorie kann vernünftig und schlüssig erklären, wie sich die Welt bisher entwickelt hat. Strittig ist allerdings weiterhin, inwieweit einige der Grundprinzipien der Evolution wie die natürliche Auslese, das Überleben der Fittesten, konkret funktionieren.

Warum haben zum Beispiel Giraffen lange Hälse, fragt er, denn die sind mit erheblichen Nachteilen verbunden? Schlüssige Antworten fehlen bislang auf eine ganze Reihe von Fragen der Arten und genetischen Vielfalt. Gibt es zum Beispiel egoistische Gene, die einzelnen Individuen Vorteile im Überlebenskampf gegenüber ihrer Gruppe verschaffen oder ertüchtigen die Gene eher eine ganze Art in ihrem Existenzkampf?

Energisch weist John Dupré die Versuche einiger Soziobiologen und Evolutionspsychologen zurück, das Verhalten des Menschen vor allem aus seiner genetischen Grundstruktur erklären zu wollen. Hier geht es um die alte Grundsatzdebatte, ob der Mensch Herr seines Willens ist oder nur ein triebgesteuertes Tier, das seinen evolutionär programmierten Genen folgt.

Für den englischen Philosophen ist keineswegs einsichtig und schlüssig, dass Männer eine genetische Veranlagung zur Vergewaltigung besitzen, nur weil es in der Natur vorkommt, dass sich männliche Tiere Weibchen gewaltsam gefügig machen. Biologische Erklärungen sozialer Fakten dienen oftmals der Rechtfertigung asozialen Verhaltens.

Zu Unrecht, so der englische Philosoph. So sehr der Mensch auch Ergebnis der Evolution der Gene ist, so unterscheidet er sich doch durch seine besondere Entwicklung von allen anderen Lebewesen. Vor allem die Sprache prägt sein gesamtes Handeln, erlaubt es ihm, hochkomplexe soziale Strukturen zu bilden und mithilfe der Sprache ethische Regeln festzulegen, die zur Grundlage menschlichen Handels werden. Die Sprache ermöglicht zudem eine ständige Weiterentwicklung der Menschheit ganz ohne biologische Evolution.

So sehr auch John Dupré Darwin verteidigt, versagt für ihn die Evolutionstheorie dort, wo sie versucht, Antworten darauf zu finden, dass wir sind, wie wir sind. Allerdings vermag auch er nicht zu sagen, wo die Grenzen liegen, inwieweit zum Beispiel unsere evolutionär erklärbaren besonderen Gehirnstrukturen bestimmte Denkmuster und Verhaltensformen hervorbringen oder behindern. Hier ist noch Forschungsarbeit zu leisten, fehlen noch viele Erklärungen.

Insofern rennt John Dupré viele offene Türen ein, ohne einige geschlossene öffnen zu können. Als Einstieg in die philosophische Debatte der Evolutionstheorie ist das Buch durchaus geeignet, doch 'Die Bedeutung der Evolution für die Gegenwart des Menschen' – so sein Untertitel – wird nur angedeutet. Das ist ein bisschen dürr.

Der intellektuelle Ertrag: wissen und verstehen. Und das ist ja auch schon etwas.


John Dupré: "Darwins Vermächtnis"
Übersetzt von Eva Gilmer
Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2005
145 Seiten, 19,90 €