Die Evolution neu verstehen
Am Vorabend des 200. Geburtstags von Charles Darwin unterzieht der Freiburger Medizinprofessor Joachim Bauer die Theorien des Darwinismus einer Überprüfung. Seine wesentliche These: Lebewesen wollen nicht bloß ihre Gene verbreiten, sondern sie gestalten die Evolution. Lebende Systeme kooperieren, kommunizieren und sind kreativ. Gute Argumente, solide Forschungsergebnisse und eine leichte Feder machen das Buch zu einem spannenden Lesevergnügen.
Soziobiologie ist Mode: Lebewesen wollen nichts anderes, als im Kampf gegeneinander ihre Gene in die Welt zu setzen. Das ist Ideologie, die vor den Forschungsergebnissen der modernen Genetik nicht standhält, meint Joachim Bauer in seinem neuen Buch. Die Entschlüsselung des Erbguts nämlich lasse die Evolution neu verstehen.
Am Vorabend des 200. Geburtstags von Charles Darwin unterzieht er die Theorien des Darwinismus einer Überprüfung. Seine wesentliche These: Lebewesen gestalten die Evolution, indem sie in Reaktion auf Umweltereignisse inneren Gesetzen folgend ihre Gene umbauen.
Die moderne Genetik hat herausgefunden, dass das Erbgut der Lebewesen, das Genom, molekulare Werkzeuge enthält, mit deren Hilfe es seine Architektur verändern kann. Die Gene selbst machen nur 1,2 Prozent der Erbmasse aus.
Rund 40 Prozent hingegen entfallen auf so genannte "Transpositionselemente". Sie besitzen die Fähigkeit, Gene zu verdoppeln, umzusetzen, mit anderen Genen zusammenzufügen oder sie auszulöschen. Meist sind sie nicht aktiv, aber sie können es werden, wenn starke äußere Stressoren auf die Zelle einwirken.
Dann lasse die Zelle diese Elemente von der Leine, und es beginne ein kreativer Prozess der Selbstveränderung des Genoms. In den Augen von Bauer liegt darin "die bedeutendste Voraussetzung für die Entstehung neuer Arten". Auch hat man mittlerweile eine sogenannte "Micro-RNA" als Bestandteil des Genoms entdeckt, mit deren Hilfe die Zelle die Tätigkeit des Genoms kontrollieren und an sich verändernde Bedingungen anpassen kann. Diese Micro-RNA ist daran beteiligt, die Aktivität der Transpositionselemente zu regeln.
Der Darwinismus behauptet, dass Gene sich zufällig verändern - die Mutation - und sich dann diejenigen Abwandlungen im Überlebenskampf behaupten, die einen Überlebensvorteil haben. Schon die Entstehung des Lebens kann dieses Modell nicht erklären, meint Bauer. Denn am Anfang des Lebens stand Kooperation: Ribonukleinsäuren und Proteine gingen chemische Verbindungen ein, aus denen die ersten Einzeller entstanden. Gene entstanden, als die RNS-Moleküle Kopien ihrer selbst in der Zelle ablegten.
Die Evolution ging auch nicht kontinuierlich vonstatten, als Folge zufälliger Veränderungen, wie der Darwinismus meint. Bauer berichtet von großen Schüben, die jeweils geologischen Großereignissen wie einer vollständigen Vereisung der Erde vor 650 bis 635 Millionen Jahren folgten. Nach einer weiteren Vereisung kam es später zur "kambrischen Explosion", bei der binnen 50 Millionen Jahren eine Vielzahl mehrzelliger Lebewesen und die grundlegenden Baupläne für tierische Körper entstanden.
Neue Arten entstanden dabei durch genetische Umbauprozesse. Bisher konnte keine Art nachgewiesen werden, die durch Mutation der Gene entstanden wäre, wie Darwin vermutete. Der Prozess der Evolution war, meint Bauer, ein kreativer Prozess der lebenden Systeme, der sich in den von ihnen selbst vorgegebenen Bahnen entwickelte.
Arten gingen auch anders unter, als Darwin vermutete, der im Kampf ums Überleben den wesentlichen Grund dafür sah. Fünfmal kam es seit der kambrischen Explosion zu einem schubweisen Massensterben, bei dem zum Beispiel vor 250 Millionen Jahren etwa 95 Prozent aller Meereslebewesen untergingen, wahrscheinlich als Folge einer Verschiebung von Erdplatten, schweren Vulkanismus oder gigantischer Meteoriteneinschläge. Auch neue Arten bildeten sich in deren Folge, die Säugetiere wahrscheinlich durch eine Erderwärmung während der Kreidezeit vor etwa 146 Millionen Jahren.
Lebende Systeme kooperieren, kommunizieren und sind kreativ - das ist die neue antidarwinistische Botschaft von Bauer. Menschen sind keine "Überlebensmaschinen", die Gene verbreiten wollen, wie der Soziobiologe Richard Dawkins behauptet.
Bauer vertritt seine systemische Theorie der Evolution des Lebens mit guten Argumenten, soliden Forschungsergebnissen und mit einer leichten Feder, die das Buch zu einem spannenden Lesevergnügen macht.
Rezensiert von Ulfried Geuter
Joachim Bauer: Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus
Hoffman und Campe Verlag 2008,
240 Seiten, 19,90 Euro
Am Vorabend des 200. Geburtstags von Charles Darwin unterzieht er die Theorien des Darwinismus einer Überprüfung. Seine wesentliche These: Lebewesen gestalten die Evolution, indem sie in Reaktion auf Umweltereignisse inneren Gesetzen folgend ihre Gene umbauen.
Die moderne Genetik hat herausgefunden, dass das Erbgut der Lebewesen, das Genom, molekulare Werkzeuge enthält, mit deren Hilfe es seine Architektur verändern kann. Die Gene selbst machen nur 1,2 Prozent der Erbmasse aus.
Rund 40 Prozent hingegen entfallen auf so genannte "Transpositionselemente". Sie besitzen die Fähigkeit, Gene zu verdoppeln, umzusetzen, mit anderen Genen zusammenzufügen oder sie auszulöschen. Meist sind sie nicht aktiv, aber sie können es werden, wenn starke äußere Stressoren auf die Zelle einwirken.
Dann lasse die Zelle diese Elemente von der Leine, und es beginne ein kreativer Prozess der Selbstveränderung des Genoms. In den Augen von Bauer liegt darin "die bedeutendste Voraussetzung für die Entstehung neuer Arten". Auch hat man mittlerweile eine sogenannte "Micro-RNA" als Bestandteil des Genoms entdeckt, mit deren Hilfe die Zelle die Tätigkeit des Genoms kontrollieren und an sich verändernde Bedingungen anpassen kann. Diese Micro-RNA ist daran beteiligt, die Aktivität der Transpositionselemente zu regeln.
Der Darwinismus behauptet, dass Gene sich zufällig verändern - die Mutation - und sich dann diejenigen Abwandlungen im Überlebenskampf behaupten, die einen Überlebensvorteil haben. Schon die Entstehung des Lebens kann dieses Modell nicht erklären, meint Bauer. Denn am Anfang des Lebens stand Kooperation: Ribonukleinsäuren und Proteine gingen chemische Verbindungen ein, aus denen die ersten Einzeller entstanden. Gene entstanden, als die RNS-Moleküle Kopien ihrer selbst in der Zelle ablegten.
Die Evolution ging auch nicht kontinuierlich vonstatten, als Folge zufälliger Veränderungen, wie der Darwinismus meint. Bauer berichtet von großen Schüben, die jeweils geologischen Großereignissen wie einer vollständigen Vereisung der Erde vor 650 bis 635 Millionen Jahren folgten. Nach einer weiteren Vereisung kam es später zur "kambrischen Explosion", bei der binnen 50 Millionen Jahren eine Vielzahl mehrzelliger Lebewesen und die grundlegenden Baupläne für tierische Körper entstanden.
Neue Arten entstanden dabei durch genetische Umbauprozesse. Bisher konnte keine Art nachgewiesen werden, die durch Mutation der Gene entstanden wäre, wie Darwin vermutete. Der Prozess der Evolution war, meint Bauer, ein kreativer Prozess der lebenden Systeme, der sich in den von ihnen selbst vorgegebenen Bahnen entwickelte.
Arten gingen auch anders unter, als Darwin vermutete, der im Kampf ums Überleben den wesentlichen Grund dafür sah. Fünfmal kam es seit der kambrischen Explosion zu einem schubweisen Massensterben, bei dem zum Beispiel vor 250 Millionen Jahren etwa 95 Prozent aller Meereslebewesen untergingen, wahrscheinlich als Folge einer Verschiebung von Erdplatten, schweren Vulkanismus oder gigantischer Meteoriteneinschläge. Auch neue Arten bildeten sich in deren Folge, die Säugetiere wahrscheinlich durch eine Erderwärmung während der Kreidezeit vor etwa 146 Millionen Jahren.
Lebende Systeme kooperieren, kommunizieren und sind kreativ - das ist die neue antidarwinistische Botschaft von Bauer. Menschen sind keine "Überlebensmaschinen", die Gene verbreiten wollen, wie der Soziobiologe Richard Dawkins behauptet.
Bauer vertritt seine systemische Theorie der Evolution des Lebens mit guten Argumenten, soliden Forschungsergebnissen und mit einer leichten Feder, die das Buch zu einem spannenden Lesevergnügen macht.
Rezensiert von Ulfried Geuter
Joachim Bauer: Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus
Hoffman und Campe Verlag 2008,
240 Seiten, 19,90 Euro