Die Europäische Libyenpolitik

Von Peter Philipp |
Na, da wird Muammar al Gaddafi sich nun aber wirklich Sorgen machen müssen: Die Regierungschefs der EU fordern ihn zum sofortigen Rücktritt auf. Dies ist der zentrale Punkt der Abschlusserklärung eines EU-Sondergipfels, bei dem man nach einer geeigneten Reaktion auf die Vorgänge in Libyen suchte.
Die möglichen Alternativen reichten von der Verhängung einer Flugverbotszone über die Anerkennung der "Interim-Regierung" der Rebellen bis hin zur Möglichkeit eines direkten militärischen Eingreifens.

Gaddafi zum sofortigen Rücktritt aufzufordern, scheint von allen die schwächste Version. Und das nicht nur, weil der Gescholtene sich hierbei gar nicht angesprochen fühlt: In einer seiner jüngsten Reden hatte er Rücktrittsforderungen seiner Opponenten mit der Begründung zurückgewiesen, er sei nicht Präsident oder Regierungschef, sondern Revolutionsführer. Und der könne gar nicht zurücktreten.

In Brüssel scheint es aber in erster Linie darum gegangen zu sein, wenigstens etwas zu beschließen. Und mit solchem "Minimal-Aktivismus" zu übertünchen, dass Europa – wie der Westen generell – ratlos bleibt gegenüber der Krise in Libyen, die sich immer mehr zum offenen Bürgerkrieg ausweitet. Dass ein Regime gewaltsam gegen die Opposition vorgeht, das kommt an allen Enden der Welt vor. Nicht überall werden dabei Waffen und Strategien eingesetzt, die die Europäer gegen harte Devisen geliefert haben. Aber das ist ja auch nicht der Hauptgrund für die europäische Beunruhigung. Diesen Grund konnte man – kaum kaschiert, aber reichlich abstrus – kürzlich aus dem Mund von Umweltminister Röttgen hören, als er den E-10-Biosprit unterstützte: Man wolle doch nicht das ganze Ölgeld Gaddafi geben ...

Libyen beschäftigt besonders die Europäer so intensiv, weil es der nächste Öllieferant – praktisch direkt vor der Haustür – ist. Dies war ja wohl auch der Hauptgrund dafür, Gaddafi so schnell die Absolution zu erteilen für seine Verstrickung in internationale Terroraktionen. Wie es in Libyen selbst aussah, interessierte dabei niemanden.

Wer Krieg gegen sein eigenes Volk führe, der könne nicht Partner der EU sein, war aus den Reihen der Teilnehmer am Brüsseler Sondergipfel zu hören. Richtig. Aber wer will – von einigen Portugiesen, Griechen und vielleicht noch Herrn Berlusconi abgesehen – denn heute schon Partner des Libyers sein? Der Frust darüber wird Gaddafi allerdings kaum zum Einlenken und zum Rücktritt bewegen. Im Gegenteil: Wenn er die Europäer nicht in seiner nächsten Rede verhöhnt, dann wird er weiter die Öleinrichtungen seines Landes bombardieren: Wenn schon er keinen Nutzen davon hat, dann sollen seine Gegner erst recht keinen haben. Weder die innerlibysche Opposition noch die Europäer.

Die Extrem-Alternative zum Beschluss von Brüssel wird in Paris und ansatzweise auch in London empfohlen: Gezielte Angriffe in Libyen könnten erforderlich werden, um Gaddafi loszuwerden. Die Mehrheit war dagegen, weil man damit einen neuen Krieg vom Zaun bräche, den selbst die libyschen Gaddafi-Gegner nicht wollen. Diese bitten um die Verhängung einer Flugverbotszone, aber das läuft möglicherweise auf dasselbe hinaus: Um Einsätze der libyschen Luftwaffe zu unterbinden, wird die Aufforderung allein kaum reichen. Flugfelder und Luftabwehr müssen zerstört werden, und das wäre eben genau der Kriegseinsatz, den man nicht will.

Es sei denn, die Vereinten Nationen, die Arabische Liga und die Afrikanische Union stimmten dem aus humanitären Gründen zu. Das werden sie aber kaum tun. Araber und Afrikaner haben nicht das geringste Interesse an einem direkten Eingreifen des Auslands und die UNO wird – besonders nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan – kaum in der Lage sein, ohne russisches oder chinesisches Veto einen solchen Einsatz anzuordnen.

Seit über drei Wochen dauern die Kämpfe in Libyen nun an und ein Ende ist nicht abzusehen. Wie auch nicht abzusehen ist, dass der Westen eine vernünftige und effektive Strategie für diesen und ähnliche Fälle entwickelt. Der Westen hat den Aufstand gegen Gaddafi nicht gestartet, er kann und will ihn offenbar aber auch nicht unterstützen. Eine belämmernde Erkenntnis für Oppositionsgruppen in anderen Ländern der Region: Sollten sie mit ihren Protesten für Demokratie in Schwierigkeiten geraten, dann können sie auf den Westen nicht zählen. Ihre Revolutionen müssen sie selber machen.


Der arabische Aufstand - Sammelportal