Die Europa-Rede von Angela Merkel

Von Sabine Adler |
Europa hat eine Denkpause eingelegt, keine Pause vom sondern zum Denken, wenngleich man sich in Frankreich mindestens bis zur Wahl im Sommer nächsten Jahres wohl eher über die nationalen denn europäischen Probleme die Köpfe zerbricht. Deutschland hat nicht nur die Wahlen hinter sich, sondern vor allem die EU-Ratspräsidentschaft und den G8-Vorsitz vor sich, da ist es genau richtig, ein paar Früchte des Denkprozesses zur Diskussion zu stellen.
Die Kanzlerin hat Recht, wenn sie nach der historischen Erfolgsgeschichte der Europäischen Union nach einer neuen Begründung für Europa verlangt, denn nur wer Ansprüche formuliert, weiß, wer er eigentlich selbst sein oder werden möchte, kann steuern, wohin die Entwicklung geht. Weiß, wozu er eine Verfassung braucht und was drin stehen muss.

Europas Vorteile liegen auf der Hand und Angela Merkel, wie auch andere Abgeordnete taten gut daran, beim derzeitigen Schlechtgerede der EU an sie explizit zu erinnern: 50.000 neue Arbeitsplätze sind in Deutschland durch die Osterweiterung entstanden. 450 Millionen Menschen der Europäischen Union können Einfluss nehmen auf den Welthandel, können internationale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll auf den Weg bringen, können eine intelligente, weil arbeitsteilige Entwicklungshilfe leisten, haben insgesamt mehr Gestaltungskraft in der globalisierten Welt als jeder europäische Nationalstaat allein.

Die Gemeinschaft als ganzes und jedes einzelne Mitglied darin müssen gestärkt werden. Um zum Beispiel Giganten wie China und Indien gewachsen zu sein. Ausufernde Bürokratie, Überregulierung schwächen, Rückfälle in Nationalismen ebenso.

Die Grüne Renate Künast hat Recht, wenn sie zudem fordert, dass auch eine neue Energiepolitik, weg vom Öl, nur gemeinsam zu managen ist. Das schafft weniger Abhängigkeiten, zum Beispiel von Russland und entzerrt Konflikte, wie mit dem Iran.

Europa, und darauf ist die Kanzlerin nur andeutungsweise eingegangen, steht mitten in der Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus, der uns, dem Westen, das Existenzrecht verweigert. In diesem Kampf müssen wir uns Verbündete suchen, auch in der islamischen Welt.
Es stimmt, dass es vor dem Fall des Eisernen Vorhangs an der Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft, Demokratie und Freiheit keinen Zweifel gab. Heute aber, da sich niemand mehr am Sozialismus misst, die westlichen Länder mit Arbeitslosigkeit, geringem Wirtschaftswachstum, Sozialabbau, schrumpfender Bevölkerung und inneren Konflikten unter anderem mit Migranten zu kämpfen haben, fallen Schatten auf das einst so glänzende Modell, droht es, seine Anziehungskraft zu verlieren.

Für die Kanzlerin gehören Europas christliche Wurzeln für das Selbstverständnis der Gemeinschaft dazu. Nicht nur in Hinblick auf die Türkei muss die EU diese Debatte führen. Die Integrationsprobleme von Moslems in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, die Anschläge in Madrid und London zeigen, wie nötig diese Auseinandersetzung ist. Sie vor lauter Angst zu vermeiden, birgt, wie bei der Verfassung, die Gefahr in sich, dass die Menschen die Politiker erneut überraschen, weil sie nicht gefragt und nicht gehört wurden. Nachdenken vermeidet, Fehler zu wiederholen, neue zu begehen. Denken wir weiter und reden darüber. Um dann zu handeln, aber richtig.