Die Esche "wurde dafür verehrt, dass sie ein ewiges Leben hat"

Hansjörg Küster im Gespräch mit Britta Bürger · 28.11.2012
Neben der Buche und Eiche gilt die Esche als das wichtigste Laubnutzholz Mitteleuropas, das hervorragend zur Herstellung von Werkzeugen und Sportgeräten geeignet ist. Doch jetzt gibt es viele kranke Bäume und der Bestand ist bedroht, wie Hanjsörg Küster, Pflanzenökologe an der Leibniz-Universität in Hannover, erklärt.
Britta Bürger: Neben der Buche und Eiche ist die Esche das wichtigste Laubnutzholz Mitteleuropas: hervorragend geeignet zur Herstellung von Werkzeugen und Sportgeräten. Das Eschenholz ist nämlich besonders fest und zugleich elastisch, also ideal für ein Beil ebenso wie für einen Barren. Doch jetzt ist Europas Eschenbestand durch das Falsche Weiße Stengelbecherchen bedroht.

Nachdem dieser aggressive Pilz erstmals vor 20 Jahren in Polen aufgetaucht ist, hat er es jetzt schon bis nach Großbritannien geschafft. In Dänemark sind bereits 90 Prozent des Eschenbestandes vernichtet, und auch in Deutschland sind Bäume erkrankt.

Der Biologe Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie an der Leibniz-Universität in Hannover, hat sich in vielen Veröffentlichungen mit der Geschichte und Entwicklung des Waldes befasst. Guten Morgen, Herr Küster!

Hansjörg Küster: Ja, guten Morgen!

Bürger: Es gibt die Gemeine Esche, die Gewöhnliche Esche, die Hohe Esche – sind diese Arten alle gleichermaßen betroffen?

Küster: Also zunächst einmal ist das eine Art. Also es gibt nur eine Esche in Europa, die kann man Gemeine Esche nennen, womit man eigentlich meint Gewöhnliche Esche, die Hohe Esche - es gibt sonst noch eine Manna-Esche, die sehr schön blüht, aber die kommt eigentlich nur am Mittelmeer vor.

Wir haben nur die eine Eschenart hier in Mitteleuropa, wobei manche Leute denken, es gibt vielleicht auch verschiedene Formen von Eschen, es ist nämlich so merkwürdig, es gibt einerseits Eschen in feuchten Auenwäldern, und auf der anderen Seite auch auf sehr trockenen Kalkböden, also das ist sehr unterschiedlich eigentlich, wo diese Eschen wachsen, und es ist schon immer wieder vermutet worden, dass es da auch verschiedene Sorten oder Unterarten oder Varietäten gibt.

Bürger: Woran erkennt man die Erkrankung?

Küster: Da werden einfach die Blätter welk, so kann man eigentlich sagen, sie kriegen Flecken, und dann stirbt der Baum allmählich ab. Das geht nicht ganz schnell, und vielleicht lässt sich das auch wieder aufhalten, aber es ist auf jeden Fall so, dass das zu einem Absterben des Baumes führt.

Bürger: Warum ist dieser Pilz in den letzten 10, 20 Jahren erst so gefährlich geworden? Spielen da auch Umwelteinflüsse eine Rolle?

Küster: Das glaube ich nicht, das ist sehr schwer zu sagen. Es ist immer so, wenn man so einen Pilz erst seit 20 Jahren kennt, dann ist noch nicht alles über sein ganzes Wesen geklärt, und so ist das auch bei diesem Falschen Weißen Stengelbecherchen, und es ist auch gar nicht ganz klar, ob es eigentlich wirklich diese Form dieses Pilzes ist, die das Eschensterben verursacht, oder ob es nicht nur einige Formen davon sind, einige Unterformen, es ist nämlich das Ganze sehr schwer zu erkennen.

Man muss also erst molekularbiologische Untersuchungen machen, um diesen Pilz überhaupt zu identifizieren, das heißt, man muss also genau die DNA-Abfolge, also das Erbmaterial - ganz genau untersuchen, und erst dann weiß man, es ist eine bestimmte Form des Falschen Weißen Stengelbecherchens, die mutmaßlich oder wahrscheinlich dieses Eschensterben auslöst. Also so ganz einfach ist das nicht, es können immer auch solche aggressiven Formen eines Pilzes auch neu entstehen.

Es entstehen ja immer wieder auch neue Arten, neue Arten vom Pilzen, neue Arten von Bakterien, neue Bakterienstämme, deswegen müssen auch Impfungen ja immer wieder neu gemacht werden, weil neue Bakterienstämme entstehen, es können auch neue Pflanzen und neue Tiere entstehen, das geht aber natürlich bei so kleinen Organismen vielleicht etwas schneller als bei größeren Organismen, und da nimmt man es eher wahr.

Bürger: Und wenn man diesen Pilz dann nachgewiesen hat, gibt es ein Gegenmittel?

Küster: Nein, das haben wir bisher noch nicht, und es ist möglich, dass man ... es gibt so Verhaltensmaßregeln, die gesagt werden. Man soll alle Eschen, die befallen sind, sofort verbrennen, und man soll das Laub, was von den Eschen herunterfällt, sofort verbrennen, aber es ist gar nicht gesagt, ob das wirklich hilft, denn solche Pilzsporen, die werden überall hin vom Wind verweht, die sind ja mikroskopisch klein, und es sind ja Abermillionen von Sporen in der Atmosphäre enthalten, auch in jedem kleinen Quantum von Luft, es fliegt überall herum, und wir können gar nicht sagen, wo sich das alles ausbreitet.

Bürger: In Großbritannien versucht die Regierung ja gerade, den Befall mit der Axt einzudämmen. 100.000 infizierte Bäume hat man dort bereits gefällt in der Hoffnung, den Befall so einzudämmen, halten Sie das also gar nicht für sinnvoll?

Küster: Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist. Ich meine, die werden schon irgendwelche Gründe dafür haben, aber ich würde eher davon ausgehen, dass solche Pilzsporen eben überall in der Luft herumfliegen und gar nicht zu packen sind, weil die so klein sind. Ich bin da skeptisch.

Bürger: Welche Funktion hat die Esche eigentlich im Ökosystem Wald? Für wen und was ist sie wichtig?

Küster: Ja, das kann man bei einem Ökosystem manchmal gar nicht so ganz genau sagen. Es ist einfach ein Baum der zweiten Baumschicht, das sagen wir so, es gibt immer noch höhere Bäume, die noch größer werden, gerade auch in einem Auenwald, dort stehen dann auch ja meinetwegen Stieleichen herum oder Bergulmen, verschiedene Ahornarten, und in einem solchen Auenwald, das ist für mitteleuropäische Verhältnisse ein relativ vielseitiges Ökosystem mit vielen verschiedenen Baumarten, mit einer relativ großen Biodiversität.

Es gibt dann natürlich immer wieder einzelne Tiere, die auf Eschen spezialisiert sind, aber wenn man das so sagt, sind das natürlich auch alles wieder Tiere, die einen Baum eher schädigen. Das gibt es aber bei jedem Baum, dass es bestimmte Tiere gibt, die also wirklich nur an diesem einen Baum dann auch fressen, also beispielsweise der Eichenwickler nur an der Eiche.

Bürger: Europaweit sterben die Eschen, jener Baum, aus dessen Holz unter anderem Werkzeuge und Sportgeräte hergestellt werden. Darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Biologen Hansjörg Küster von der Leibniz-Universität in Hannover. Die Kastanien sind durch die Miniermotte bedroht, die Eichen durch den Prozessionsspinner und nun die Eschen durch das Stengelbecherchen. Kommt einem das jetzt nur so vor, oder nehmen diese Erkrankungen insgesamt deutlich zu.

Küster: Ich glaube nicht, dass sie zunehmen. Es ist aber so, dass, wenn wir in den Wäldern immer nur wenige Baumarten haben, wenn wir dann einen Schädling haben, der sich da drin ausbreitet, der natürlich immer genau an der betreffenden Pflanzenart auch frisst - und da ziehe ich jetzt mal die Pilze mit dazu -, dann ist es gleich immer eine ganz große Katastrophe, weil wir nur diese eine Pflanzenart haben und nur diesen einen Schädling, der natürlich dort, wo seine typische Nahrungspflanze vorkommt, sich wirklich paradiesisch ernähren kann und paradiesisch vermehren kann. Das ist ja für die das Allerbeste, was man sich so vorstellen kann, wenn man das mal so ein bisschen vermenschlicht, dass also die Nahrung in Hülle und Fülle zur Verfügung steht.

Bürger: Die Esche spielt ja auch in der Mythologie eine tragende Rolle, dort taucht sie als Weltenbaum der Germanen auf. Wofür wurde die Esche denn verehrt?

Küster: Also sie wurde dafür verehrt, dass sie ein ewiges Leben hat – also gerade das, was jetzt gerade bedroht ist –, die Esche kann nämlich eigentlich eines sehr gut überstehen: Man konnte sie in früherer Zeit immer wieder schneiteln, das heißt, man hat ihre Äste abgeschnitten, ihre belaubten Äste abgeschnitten, die hat man dann getrocknet und im Winter dem Vieh vorgeworfen, das war ein sehr beliebtes Viehfutter, und daraufhin hat die Esche wieder ausgetrieben, und deswegen war sie ein Symbol für das ewige Leben.

Das wird auch zum Ausdruck gebracht durch den lateinischen Namen des Baumes, es heißt nämlich frangere auf lateinisch brechen, und der lateinische Name der Esche ist Fraxinus, es ist also der Brechbaum, also den Baum, den man immer wieder brechen kann, und der immer wieder weiterlebt und immer wieder neu austreibt, und deswegen pflanzt man die Esche auch sehr gerne auf Friedhöfe oder setzt sie vor Kirchen, das ist also in Skandinavien besonders weit verbreitet.

Und die Geschichte mit der Weltenesche Yggdrasil, das kommt vielleicht daher, dass dieser Baum auch wieder ausgetrieben ist nach einem Meteoriteneinschlag in Estland, der das sagenhafte Thule vielleicht verursacht hat, das ist auf der Insel Saaremaa in der Ostsee geschehen: Vor etwa 3000 bis 4000 Jahren hat ein Meteorit die Erde getroffen, und da sind auch Menschen dabei sicher umgekommen, wir wissen das alles nicht ganz genau, aber an dieser Stelle, wo der Meteorit eingeschlagen ist, dort wachsen Eschen, und das ist in der Gegend dort etwas ungewöhnlich, dass dort so große Eschen zu sehen sind. Und man hat vielleicht deswegen den Baum mit dieser mythologischen Vorstellung auch dort verehrt.

Bürger: Sie sind ja nun Naturwissenschaftler. Halten Sie solche Mythen trotzdem für hilfreich, um den Wert einer Pflanze in Erinnerung zu rufen?

Küster: Ich halte sie für hilfreich insofern, weil die Menschen diese Mythen kennen und man über diese Mythen den Menschen klarmachen kann, was man einem Baum für eine besondere Wertschätzung entgegen bringt. Das ist nun gar nicht irgendetwas Esoterisches, sondern es ist einfach ein realer Umgang mit einem Baum, der natürlich nicht nur durch die Qualitäten des Holzes bestimmt wird oder durch das Aussehen des Baumes, sondern auch durch die Geschichten bestimmt wird, die man sich von diesem Baum erzählt.

Bürger: Der Weltenbaum ist in Gefahr. Über das Sterben von Europas Eschen hat uns der Biologe und Pflanzenökologe Hansjörg Küster von der Leibniz-Universität in Hannover aufgeklärt. Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Küster!

Küster: Bitte sehr!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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