Die ersten 100 Tage

Von Almuth Knigge |
Der ersten schwarz-grünen Landesregierung in Hamburg stellen die beteiligten Politiker drei Monate nach deren Amtsantritt ein positives Zeugnis aus. Die Partner haben ein klares, rational-pragmatisches Programm und arbeiteten sorgfältig miteinander und das vor allen Dingen im Bildungsbereich. Die unterschiedlichen Auffassung im Bereich Atomenergie sind für das Regieren in der Hansestadt politisch nicht relevant, spielen aber in Bezug auf die Bundestagswahlen im nächsten Jahr und für ein eventuelles Bündnis der beiden Parteien eine wichtige Rolle.
Hamburg-Eppendorf, Isemarkt, der längste Straßenmarkt Deutschlands im Schatten weißer Gründerzeithäuser. So stellt man sich bürgerliches Großstadtleben vor. Quadratmeter-Mietpreise um die 15-20 Euro. CDU-Land, Wahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl 42 Prozent. Hier startet CDU-Fraktionschef Frank Schira seine Sommertour. Bei Gabriellas Schälblitzen muss er kurz stehen bleiben. Die resolute Marktfrau hat einen Zeitungsartikel mit Schira an ihrem Stand aufgehängt

"Wie geht's? Gut und selbst? Sehr gut, ich habe das nämlich gerade heute hier aufgehängt, und das war so ganz lustig, weil ich immer erzähle, dass unser Bürgermeister den auch hat und die meisten Kunden, die glauben mir das gar nicht, vom Bürgermeister kommt der auch noch dahin und von dem Herrn, der hat ihn auch noch in der Hand, er hat einen schwarzen gekauft, haben sie schon geschält damit, nee, ich hab den erstmal meiner Mutter geschenkt, das ist ganz einfach , dass die Schale nicht mehr hängenbleibt, das ist ein Weltpatent, das hat ein Freund von mir entwickelt, ein deutscher Ingenieur vor fünf Jahren... das Beste, was auf dem Markt ist, gibt es den nicht in Grün, grün haben wir nicht."

Frank Schiras will heute keinen Schälblitz kaufen, er hat Zettel in der Hand, die er verteilen will. Der Koalitionsvertrag in neun Punkten. Die Sommertour fällt in eine Zeit, in der eine erste Bilanz gezogen wird, wie CDU und Grüne die Hansestadt regieren.

"Ich freu mich, dass sie noch mal wiederkommen, wie gut dass ich Sie angesprochen habe, irgendwie sind Sie mir aufgefallen, weil sie so sympathisch sind, da denke ich, sprech´ ich ihn doch mal an, von Tausenden von Leuten hat man die Gabe, ist ja manchmal so, einen von der Politik, das sollte so sein, das fand ich ganz toll, ich wünsch Ihnen was, machen Sie es gut, ach so, wissen Sie, wer Sie kennt, von Frau Tanzen der Sohn."

Am Ende des Ise-Marktes steht Karl-Heinz mit seinem Taxi. Seine nächste Tour führt ihn in die Innenstadt.

"Viele sagen ja, dass es gut ist, wenn die Grünen jetzt was in die Hand nehmen, der Meinung bin ich auch. Zum Beispiel in der Schulpolitik, warum soll das Schulsystem nicht geändert werden, wir wissen doch, dass wir da international ernorm Nachholbedarf haben. Diese kaiserlichen, altväterlichen Zeiten sind nun mal vorbei , ne So gibt sich das."

Rückblick:

PRÄAMBEL: CDU und GAL legen mit diesem Vertrag ihr Regierungsprogramm für Hamburg vor, das sich auf die Schwerpunkte und neuen Akzente der gemeinsamen Regierungsarbeit konzentriert. CDU und GAL sind durch unterschiedliche politische Erfahrungen und Ideen geprägt. Wenn sie dennoch zusammenarbeiten, müssen und wollen sie sich auf Neues einlassen. Unterschiede müssen nicht zu Widersprüchen zugespitzt werden, sie können auch zu Ergänzungen verbunden werden, die neue Lösungen ermöglichen."

"So jetzt können wir beginnen zu unterschreiben ... Ja, unterschreiben wir mal. Ein Vertrag über die Zusammenarbeit in der 19. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft zwischen den christlich-demokratischen Union Landesverband Hamburg und Bündnis90/Die Grünen, Landesverband Hamburg GAL, die Vorsitzenden beginnen mit der Unterschrift."

Ole van Beust: "Die Wirksamkeit unserer heutigen Unterschrift steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der zuständigen Gremien."

Die Gremien, Landesmitgliederversammlung der Grünen und der kleine Parteitag der CDU winkten den Koalitionsvertrag noch ohne Murren durch. Vor allem bei den Grünen herrschte eine fast euphorische Stimmung.

"Ich bin auch froh darüber, dass wir wirklich ein Stadium erreicht haben, wo wir jetzt nicht gucken, welchem Lager gehören wir an, sondern, mit welcher Partei können wir am meisten durchsetzen.

"Also ich denke, positiv für Hamburg auf jeden Fall, positiv für die Grünen, das wird maßgeblich daran liegen, wie dann diese Koalition läuft. Wenn man dann geschluckte Kröten als Leckereien verkauft, dann wird sich das negativ für die Grünen auswirken, ich glaube, daran wird es wirklich liegen, mit welcher Haltung das durchgezogen wird."

"Es wird die Entscheidung zu Moorburg geben, die ist aber, im Börsenjargon würde man sagen, die ist jetzt schon eingepreist, also, die wird nicht zu einem wesentlichen Ausschlag an der politischen Börse führen, weil wenn es tatsächlich so sein wird, dass genehmigt wird, dann wird das ein großes Geschrei geben, einerseits, auf der einen Seite Triumph, auf der anderen Seite lautes Heulen, es werden diejenigen, die sowieso immer schon wussten, dass das abgekartet und durchgezockt ist, die wissen das jetzt auch schon, es wird keine neue Verteilung dadurch geben."

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Krista Sager, die schon im Wahlkampf schwarz-grün zwischen den Zeilen ins Gespräch gebracht hat, blickt zufrieden darauf, wie die Parteifreunde im politischen Alltag zurechtkommen:

"Ach, ich habe einen guten Eindruck, gerade auch, was unsere grünen Senatorinnen und Senatoren angeht, es ist ja ganz klar, dass jetzt schon mal neue Lehrerstellen gekommen sind, die Weichen auch gestellt sind für vier neue Ganztagsschulen, für kleinere Klassen im Grundschulbereich, ich finde das sehr gut, dass sie alle ihre Politik kommunikativ anlegen, die Anja Hajduk lässt sich von Vattenfall nicht den Schneid abkaufen, und das ist für uns Grüne ja auch wichtig."

Allein die Christdemokraten scheinen bisweilen noch verwirrt. Parteichef Michael Freytag, gleichzeitig auch Finanzsenator der Stadt und heimlicher Kronprinz von Ole von Beust, hatte maßgeblichen Anteil am Zustandekommen von schwarz-grün.

"Wenn es uns gelingt, und den Beweis müssen wir tatsächlich antreten, dass wir unser gemeinsames Regierungsprogramm in die Wirklichkeit umsetzen, dann ist dies heute der Beginn einer wunderbaren Freundschaft."

"Wir kommen nun zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung, die Wahl des Parteivorsitzenden."

Auf dem Parteitag Ende Juni, als er sich zur Wiederwahl stellte, straften ihn die Parteifreunde mit dem Stimmzettel ab.

"Abgegebene Stimmen, 214, davon waren gültig 213, auf Dr. Michael Freytag entfielen 151 Ja-Stimmen, Oh, 56 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen. Schönen Dank, für die, die es interessiert, das ist ein Wahlergebnis von 72,95 Prozent."

"Beim letzten Mal hat er 93 Prozent, ich denke, das ist ein bisschen das Ergebnis der Art und Weise, wie man die Koalitionsverhandlungen und Ergebnisse anschließend verkauft hat, ne."

Versteinerte Mine, eingefrorenes Lächeln beim Parteichef:

"Also ich denke, es ist heute ein Ventil gewählt worden, wo das erste Mal die Möglichkeit auch bestand, zu sagen, wir finden das zwar gut, was gemacht wird - schwarz-grün - aber wir sind halt nicht mit allem einverstanden. Natürlich gibt es Passagen, wenn man nicht mehr allein regiert mit einem grünen Partner, der nicht allen gefällt, und da haben einige, das finde ich menschlich, gesagt, das müssen wir mal irgendwie zum Ausdruck bringen."

Was aber heißt das Ergebnis für schwarz-grün? Man weiß es nicht, denn bei der Aussprache meldete sich niemand. War das Ergebnis eine Abstimmung über den Vertrag oder ein Denkzettel für den Vorsitzenden? Vor allem die Schulpolitik macht dem CDU-Wähler zu schaffen.

"Ehrlich gesagt, ist mir da auch noch nicht klar, wofür schwarz-grün da steht."

Die Unterschrift unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht trocken, da gab es schon zwei Volksinitiativen gegen die ambitionierte Schulreform.

"Es ist ja so, dass, wenn man Koalitionsverhandlungen führt, insbesondere mit einem Partner, der ja in manchen Punkten meilenweit von der eigenen Position entfernt ist, dann muss man Kompromisse schließen. Hier hätte ich mir gewünscht, dass man in der CDU auch offener über die Zugeständnisse an den Koalitionspartner gesprochen hätte, gleichwie es ja auch bei unserem Koalitionspartner geschieht, in deren Reihen man ja auch die Dinge, die man nicht so gerne übernommen hat, auch kritisch diskutiert werden, hier hab ich manches Mal den Eindruck, dass es nicht so gerne gewollt ist, dass innerhalb der CDU die Dinge diskutiert werden, die aus Sicht der CDU eigentlich nicht so ganz die CDU-Politik widerspiegeln, um es mal vorsichtig auszudrücken."

"Mir hat offen gestanden die Koalition mit Herrn Schill mehr Kopfzerbrechen bereitet als diese jetzt, und wenn ich mich hier jetzt kritisch geäußert hätte, dann hätte ich gesagt, die Führung war gut, die Diskussionskultur könnte noch besser sein, nech."

Frank Schira will von Knirsch in der Partei nichts hören. Auf seiner Sommertour lächelt er die Widersprüche bei der CDU weg.

"Da hab ich nichts gelesen von Knirsch... ja, was denn?"

Die liberale Haltung des neuen grünen Justizsenators ist CDU-lern ein Dorn im Auge, Haushaltspolitik, Bildung. Der Präses der Handelskammer sprach gar von einem bevorstehenden heißen Herbst.

Schira: "Ja, das ist ja kein Knirsch, also ne Diskussion ... Also, das ist ja die Frage, was wollen Sie denn. Wollen Sie 'ne lebendige Diskussion in der CDU, dann sagen sie Knirsch, haben Sie keine Diskussion in der CDU, dann sagen Sie, ja das ist ja alles eine Meinung, das geht ja gar nicht. Das rührt doch gar nicht an den Grundfesten der Koalition."
Schira nennt das die Diskussion um die Auskleidung von Politik, gleichzeitig macht er aber auch klar, dass die CDU-Fraktion noch lange nicht alles abnicken wird, was der neue Senat möchte.

"Na ja, man muss ja auch sehen, zum Beispiel Diskussionskultur bei den Grünen, die ist ja sehr ausgeprägt, ne und bei uns möchte ich mal sagen, ist sie nicht ganz so ausgeprägt wie bei den Grünen, aber man kann ja auch vom Koalitionspartner lernen, nech, dass man eben sagt hey, natürlich, das sind spannende Prozesse und das finde ich gut für unsere Partei insbesondere."

Taxifahrer : "Ich seh' sie positiv, weil der Ole von Beust hat genau kapiert, dass er mit den Grünen Dinge machen kann, die er mit der SPD nie hätte machen können. Die SPD hätte alles mögliche blockiert, aber die Grünen haben gesagt, da sind sie dafür und da und da und hierfür geben wir Geld aus, und da hat er gesagt, ja warum denn nicht, wenn die Straßenbahn durch die Stadt günstig ist statt einer U-Bahn, nach dann probieren wir das doch, und mit den Grünen können sie das machen. also ich seh das sehr positiv, und da ist bestimmt auch für die Stadt Gutes zu holen."

Karl Heinz, der Taxifahrer, ist auch irgendwie schwarz-grün. Während er durch die Stadt fährt, schimpft er auf die GAL, die das Steinkohlekraftwerk Moorburg verhindern wollen, gleichzeitig will er aber auch mehr Radwege und lobt die neue Schulpolitik.

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ökologische Tragfähigkeit dürfen insbesondere in Zeiten des Klimawandels nicht länger als Widerspruch behandelt werden.

Auf diesem schmalen Grat muss vor allem Hamburgs neue Supersenatorin, die Grüne Anja Hajduk, Politik machen. Sie ist Umwelt- und Stadtentwicklungssenatorin und verantwortlich für das Genehmigungsverfahren zum umstrittenen Steinkohlekraftwerk Moorburg, Was ein Hauptthema im Wahlkampf war, bekam im Koalitionsvertrag gerade mal zwölf Zeilen.

Gesang: /"Wir üben das Regieren, es ist nicht immer alles einfach - es gilt nur der Koalitionsvertrag, die SPD ...(gibt in nichts nach)"

Als die Grünen vor knapp einem Jahr das 25. Jubiläum der Hamburger Bürgerschaftsfraktion feierten, da schien sie mit ihrem Bühnenoutfit, Schwarzes Kleid und grüne Federboa, die neue politische Farbenlehre schon vorwegzunehmen.

Hajduk: "Dass ich 'ne grüne Federboa hatte, das müssen sie so verstehen, Frau Götsch hatte die rote Federboa zum schwarzen Kleid, und da hab ich gesagt, na gut, dann nehme ich die grüne Federboa, weil das schwarze Kleid war dem entsprechenden Auftritt geschuldet."

GESANG: "Der Schritt war richtig, es war an der Zeit, wir haben's gewollt, wir waren bereit, die List war gut, der Schritt war schwer, beim nächsten Mal wollen wir mehr ..."

Hajduk: "Wenn Sie mich jetzt fragen: Frau Hajduk, Sie wollten mehr, haben Sie mehr bekommen? Dann kann ich sagen, wir haben in diesem Koalitionsvertrag wirklich sehr, sehr wichtige grüne Ziele erreicht, so dass wir diese für uns ja ungewohnte und unerwartete Koalition überhaupt eingegangen sind und die wurde an diesen inhaltlichen Maßstäben gemessen."

GESANG: "We did it our way..." Applaus

Der Weg durch den Krötentunnel, zur ersten schwarz-grünen Landesregierung, dauerte gut 25 Jahre. Am Anfang waren die Grünen vor allem für die CDU der Höhepunkt des Ausstiegs aus der Wirklichkeit. Als der Senat in Hamburg Anfang der 80er den Hafen erweitern wollte, wedelten die Grünen mit degenerierten Aalen vor den Kamera herum. Berührungspunkte mit der CDU gab es erst recht nicht. Die Schlipsträger wohnten in den feinen Stadtteilen, die flippigen auf St. Pauli und in den Szenevierteln.

Hajduk: "Also ich würde das jetzt nicht überhöhen, diese Unterschiedsdebatte, der Ausgangspunkt ist immer, dass die Koalition zwischen CDU und Grünen für viele gar nicht vorstellbar war, und wir haben sie geschlossen und deswegen müssen wir manchmal erklären warum, und dann sage ich, weil wir vor dem Hintergrund des inhaltlichen Verhandlungsergebnisses sagen können, dass ist gut und das sollten wir umsetzen und so sollten wir unsere Verantwortung als Grüne auch wahrnehmen."

Anja Hajduk legt großen Wert darauf, dass die schwarz-grüne Koalition kein Prima-Klima-Club ist - ein Eindruck, der nach den ersten 100 Tagen durchaus aufkommen kann - und gekuschelt werde erst recht nicht. Zu groß sind die Unterschiede, zum Beispiel in der Energiepolitik:

"Ich finde das auch gut, dass die Stimmung der Zusammenarbeit auch getragen ist von einem sehr freundlichen und respektvollen Ton, das finde ich gut, ich bin aber auch eine, die immer Wert darauf legt zu sagen: Auch mal ein bisschen sachlich bleiben, nüchtern bleiben, Politik heißt auch Probleme lösen und deswegen werden wir auch als Koalition Probleme zu lösen haben und da sollte man es mit dem Klima und die Bewertung einer Koalition, wie sie klimatisch tickt, nicht übertreiben."

Denn schließlich, all die schönen Vorhaben, von der Stadtbahn über die soziale Stadtentwicklung, Ausbau des Kita-System, längeres gemeinsames Lernen, große Klimarettungshauptstadt der Bundesrepublik zu werden und, und, und - das alles muss bezahlt werden. Ein erster Einschnitt - die Kürzung der Solarförderung - die Umweltverbände murren.

BUND: "Das passt überhaupt nicht zu dem groß angekündigten Klimaschutzprogramm des Hamburger Senats, wenn Hamburg Vorreiter im Klimaschutz werden will, dann kann man nicht die Menschen enttäuschen und zugesagte Förderung im laufenden Jahre zurücknehmen."

Im Haushalt klafft ein Milliardenloch - Umschichtung, Steuererhöhung oder neue Schulden - hinter den Rathaus-Kulissen und beim Bürger macht sich Unzufriedenheit breit

Hajduk: "Die nächste große Baustelle wird die Entscheidung über den Doppelhaushalt sein."

Dialog am CDU-STAND: "Sagen sie mal, kann ich nicht erwarten, wenn ich 50 -60 Milliarden innerhalb von fünf Jahren einnehme, dass Sie endlich aufhören, weiter Schulden zu machen, kann ich nicht erwarten, dass Herr von Beust einhält hier in Hamburg, keine Schulden zu machen, jetzt wollen Sie die Steuern erhöhen, weil Sie den Grünen etwas versprochen haben, nein, Herr von Beust verabschiedet sich aus der Politik in vier Jahren."
"Das steht noch nicht fest, da können wir 'ne Wette eingehen ..."

"In Hamburg leben - wie in jeder Stadt - reiche und arme Menschen zusammen. Das Zusammenleben in der Stadt ist aber nur fruchtbar, wenn die ärmeren Menschen nicht nur Entwicklungs- und Arbeitsmöglichkeiten finden. Sie müssen auch teilnehmen können am öffentlichen Leben in der Stadt. Deswegen wird diese Koalition umfassende Unterstützung bereitstellen, um damit Hilfe zur Selbsthilfe zu geben sowie das Engagement von Menschen, Verbänden und Vereinen in den Quartieren zu fördern."

Karl Heinz ist mit seinem Taxi fast am Ziel angekommen. Altstädter Twiete. Die zweite Station auf der Sommertour von Frank Schira. Redaktionsbesuch bei Hinz und Kunzt, dem Obdachlosenmagazin. Schira war sozialpolitischer Sprecher der Fraktion, soziale Themen liegen ihm ehrlich am Herzen. Allerdings ist es auch nicht schlecht, wenn mitten im Sommerloch auch die Zeitung dabei ist.

"Wenn's einem guten Zweck dient."
"Sie haben immer an mir vorbeigeschaut."
"Gut, dann gucke ich Sie noch mal an, einmal gemeinsam lesen…"
"Ja, ja - kleines Stück höher und zu mir beide, in die Kamera direkt, so jetzt haben wir es, Herr Schira, Kaffee trinken."

Die Leute von Hinz und Kunzt haben vor der Wahl einen offenen Brief an alle Parteien geschrieben und vor der sozialen Spaltung in der Stadt gewarnt. Das Ergebnis des Koalitionsvertrages stimmt die Chefin, Birgit Müller, vorsichtig optimistisch

"Also, was ich toll finde: Es gibt ja in der Stadtentwicklungsbehörde 'ne neue Öffnung dahin, dass man versucht, ganz viele Politikfelder zusammenzufassen und so ein Sozial-Monitoring zu machen, zu gucken, was eigentlich sozial so passiert, das hört sich toll an, wenn das klappen würde, wäre das toll und wenn wir da beitragen können, wäre das auch ganz prima."

Kein Wachstumsfetischismus mehr, solche Töne von Ole von Beust in Interviews nach seiner Wahl erstaunen auch Birgit Müller. Schira erklärt:

"Wachstum ist die Grundlage auch von sozialpolitischem Erfolg, aber Wachstum um jeden Preis sicherlich nicht, es gibt andere Werte, wie Nachhaltigkeit und Umweltpolitik im Sinne von Konservativ, also Schöpfung zu bewahren ist ja auch ein zutiefst konservativer Ansatz."

Nur ein paar Schritte entfernt liegt das Hamburger Rathaus. Hoch über dem herrschaftlichen Gebäude weht seit ein paar Tagen die Regenbogenfahne.

Jens Kerstan: "Das erste Projekt, das wir jetzt relativ schnell umgesetzt haben, ja."

In den Räumen der Grünen Fraktion war vorher die Schill-Fraktion. Dieser Teil des Rathauses ist hermetisch gesichert, Besucher kommen nicht ohne weiteres hinein. Noch haben sich die Grünen hier nicht ganz eingerichtet. An den Wänden des Besucherzimmers lehnen Bilder, die noch aufgehängt werden müssen. Eines ist sehr düster, schwarz-weiß. Es scheint, als hocke ein Mensch im Dachfenster und wolle jederzeit springen. Ein Missverständnis, Jens Kerstan klärt auf:

"Das Bild heißt 'Nachdenker', also insofern hoffe ich nicht, dass der Mensch nachdenkt und nach abgeschlossenem Denkprozess vom Dach stürzt, also da haben wir Grüne doch 'ne positivere Einstellung zur Welt und sind ja auch sicher, dass wir da was verändern können im positiven Sinne."

Vieles ist eben erst auf den zweiten Blick zu verstehen. Auch, wie die schwarz-grüne Politik zusammenpasst:

Hajduk: "Ich glaube, man muss auch realistisch sein, wir werden auch mal den einen oder anderen Streit haben, also wird sich diese Koalition auch erstmal bewähren müssen, wie ist das denn, wenn es mal einen Konflikt gibt, wie löst man den denn, ja da würde ich sagen, das muss man erst mal abwarten, deswegen muss man ein bisschen vorsichtig sein in der Beschreibung der Koalition an sich, sie geht 100 Tage und sie hat einen guten Anfang genommen."

Kerstan: "Und was es auch immer wieder möglich macht, zu einem Kompromiss zu kommen, mit dem wir Grünen auch leben können, ist schon, das wir den Eindruck haben, dass die CDU anerkennt, dass wir auch unseren Erfolg brauchen, um in dieser Koalition bestehen zu können, auch vor unseren Wählern."

"In diesem Sinne werden die Koalitionspartner in den nächsten vier Jahren auf der Grundlage dieses Vertrages vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ohne eigene Überzeugungen der beiden Parteien aufzugeben, wollen wir das Gemeinsame suchen und versuchen. Bei bestehenden Divergenzen werden wir entweder versuchen, diese zu überbrücken oder sie im fairen Umgang miteinander den Interessen der Stadt unterzuordnen."

Taxifahrer Karl-Heinz steht inzwischen wieder am Isemarkt. Die Händler räumen zusammen. 13 Prozent haben bei der letzten Wahl auch Grün gewählt in Eppendorf. Ein Überproportionales Ergebnis. Die typische schwarz-grüne Ehe. Das ist die Analyse von Karl-Heinz. Mutti wählt grün, Vati schwarz.

"Inzwischen haben die ja gelernt, die Grünen haben ja gelernt, gegenüber zum ersten Mal, da waren sie noch sehr, sehr kleinlich, na wie sagt man, kleinkariert, und jetzt plötzlich setzten sie Richtlinien, höhöhö, Richtlinien, das ist natürlich gut, das hat Vorteil, oje, oje, oje!"
Anja Hajduk (GAL), Michael Freytag (CDU), Christa Goetsch (GAL) und Ole von Beust (CDU) (v.l.n.r.)
Nach der Vertragsunterzeichnung: Anja Hajduk (GAL), Michael Freytag (CDU), Christa Goetsch (GAL) und Ole von Beust (CDU) (v.l.n.r.)© AP
Anja Hajduk, Haushaltsexpertin von Bündnis90/Die Grünen
Die Hamburger Umwelt- und Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (Grüne)© AP Archiv