Die erste Architektin Israels

Von Sigrid Brinkmann · 30.03.2009
Neben Weimar als Geburtsort von Bauhaus ist vor allem eine Stadt von Bauhaus stark geprägt: Tel Aviv. In den 1930er bis 1950er Jahren wurden hier über 4000 Häuser von Bauhaus-Schülern errichtet, eine einzigartige Dichte, die der Stadt 2003 den Titel des Weltkulturerbes beschert hat. Eine der israelischen Architekturpioniere war Lotte Cohn, über deren Leben und Werk zurzeit eine Ausstellung im Bauhaus Center Tel Aviv zu sehen ist.
Lotte Cohn war Berlinerin und eine der ersten Frauen, die in Preußen zu einem technischen Studium zugelassen wurden. Aufgewachsen in einem zionistischen Elternhaus, war der Schritt zur Auswanderung nach Palästina 1921 für sie und ihre zwei Schwestern schnell vollzogen.

Lotte Cohn war die erste graduierte Architektin im damaligen britischen Mandatsgebiet. Als Assistentin des Stadtplaners Richard Kauffmann arbeitete sie zunächst in Jerusalem an der Grundlegung neuer Siedlungsstrukturen. Sie zeichnete Pläne für die ersten jüdischen Gartenvorstädte. 1925 lässt sie die erste landwirtschaftliche Mädchenschule in Nahalal, der ältesten israelischen Genossenschaftssiedlung, bauen.

Ines Sonder: "Das ist bis heute eine Inkunabel der frühen Siedlungsbewegung (...) Der Bau war damals wirklich supermodern, weniger in seiner Architektur als in der Tatsache, dass mitten in einem Landwirtschaftsgebiet eine Schule für Mädchen zur Ausbildung als Landwirte errichtet wurde - und es war das erste Gebäude in Emek Jesre'el, wie die Gegend heißt, das einen Wasseranschluss hatte. Man hat ja da noch in Baracken und sehr primitiv gewohnt zu der Zeit, und die Mädchen hatten dann ein sehr komfortables Lehr- und Schlafgebäude."

Eine Wirtschaftskrise im Jahr 1927 zwang Lotte Cohn kurzzeitig zur Rückkehr nach Deutschland. Sie arbeitete bei Arthur Korn, der Mitglied der berühmten Berliner Architekturvereinigung "Der Ring" war. Dort traf sie Mies van der Rohe, Hans Scharoun und Walter Gropius.

"Als sie dann 1930 nach Palästina zurückkehrt und als erste Frau in Tel Aviv ihr Architekturbüro eröffnet, die ersten Bauten, die dann entstehen, die sind wirklich modern - eindeutig im Vergleich zu den anderen, und da, denke ich, ist der Einfluss wie vieler Architekten, die zu der Zeit in Europa studiert haben, die kommen mit diesen neuen Ideen zurück und bauen dann dort so. Das ist tatsächlich ein einzigartiges Zusammentreffen zwischen der Stadterweiterung Tel Avivs in den 30er Jahren und dem Kommen der modernen Architekten, das dort so ein einzigartiges Ensemble entsteht."

Ein Ensemble, das Tel Aviv den Namen "weiße Stadt" einbrachte. Die ornamentlosen Fassaden wurden mit hellem Muschelsand verputzt. Die Architektur passte sich den extremen klimatischen Bedingungen im Land an: mit verkleinerten Fensterfronten, Sonnenblenden und große Balkonen. Ein typisches Merkmal Tel Avivs sind die Säulen, auf denen viele Häuser errichtet wurden. Die Luft zirkulierte besser, und im Schatten unter den Häusern konnten Pflanzen üppig wachsen.

Lotte Cohn starb 1983. 50 Jahre lang hat sie die Baugeschichte Israels aktiv mitgeschrieben. Sie hat soziale Wohnsiedlungen entworfen, die nach der 1948 einsetzenden Masseneinwanderung nötig wurden, sie hat Geschäftshäuser gebaut, das erste Kibbuz-Kinderhaus, das heute als Bibliothek dient und die berühmte Tel Aviver Pension Käthe Dan.

Manche Bauten der Lotte Cohn stehen unter Denkmalschutz, andere sind akut vom Abriss bedroht - so wie Cohns eigenes Wohnhaus im Jerusalemer Stadtteil Rehavia, den die europäischen Juden die "preußische Insel im orientalischen Meer" nannten. Der Religionsphilosoph Gershom Sholem hat Cohns Haus von 1936 bis zu seinem Lebensende bewohnt.

"Die Gästeliste liest sich eigentlich wie das who is who des damaligen Jischuv - von Martin Buber bis Else Lasker-Schüler. David Ben Gurion und andere sind dort ein- und ausgegangen. Die Erinnerungen werden jetzt vielleicht im Katalog, die paar Aufnahmen, die letzten sein, die man von dem Haus sieht. Und ein Blick in Scholems Wohnung mit den verwaisten Bücherregalen ist schon faszinierend."

Rund hundert Bauten sind nach Plänen von Lotte Cohn in Israel verwirklicht worden. Im Unterschied zu anderen Architekten hat sie ihr eigenes Werk nicht vollständig gesammelt. Der biographische und architektonische Nachlass ist weit verstreut und teils verloren gegangen. Ines Sonder hat zweifellos Pionierarbeit geleistet. Sie stellt im Bauhaus-Center Tel Aviv den ersten Werkkatalog vor und versteht ihren Beitrag als Angebot an israelische Architekturhistoriker, die Suche nach Dokumenten fortzusetzen.

Service:
Die Ausstellung "Lotte Cohn - Architekturpionierin in Israel" ist vom 26.3. bis 28.5.2009 im Bauhaus Center Tel Aviv zu sehen.
Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv
Gebäude im Bauhaus-Stil in Tel Aviv© AP Archiv