Die Erkundung der Hohlräume

Von Almuth Knigge |
Das staatliche Museum Schwerin präsentiert erstmals in Deutschland eine Einzelausstellung der Künstlerin Rachel Whiteread. In der Ausstellung "Rachel Whiteread - Plastiken und Zeichnungen" zeigt die britische Bildhauerin, die durch die Erkundung der Hohlräume in den 80er Jahren bekannt wurde, ganz banale Dinge, das Unspektakuläre, das Typische.
Das staatliche Museum Schwerin zeigt erstmals in Deutschland eine Einzelausstellung der Künstlerin Rachel Whiteread. In der Ausstellung "Rachel Whiteread - Plastiken und Zeichnungen" zeigt die britische Bildhauerin, die durch die Erkundung der Hohlräume in den 80er Jahren bekannt wurde, ganz banale Dinge, das Unspektakuläre, das Typische.

Das Objekt verwirrt, es sieht aus wie ein Bücherregal, drei Böden, man sieht die Abdrücke des Schnittes - sogar den Stempel einer Bibliothek - das muss es sein. Und doch ist etwas anders - verkehrt - an diesen Dingen, die wir sehen, die die britische Künstlerin Rachel Whiteread geschaffen hat, und man denkt und grübelt, was nicht stimmt an diesem Bild.

"Wenn man die Stücke sieht, hat man ja gar nicht den Eindruck, dass man auf etwas Bekanntes schaut. Man hat den Eindruck, man kennt es. Aber man weiß nicht, was es ist, und diese Rückübersetzung, das ist eine Betrachtungsleistung, die wir nicht mehr so gut gewohnt sind, und weil es uns aber so bekannt ist, dass wir nicht loskommen, fangen wir an, gedanklich zu fummeln, bis es gelingt, und das heißt sie hat uns wirklich am Kanthaken, sie zieht uns in die Betrachtung hinein, ob wir es wollen oder nicht."

Kornelia von Berswordt-Wallrabe, Direktorin des staatlichen Museums Schwerin, hat erstmals für eine Einzelausstellung die britische Bildhauerin Rachel Whiteread nach Deutschland geholt. Die Schweriner Ausstellung zeigt ganz banale Dinge - das Unspektakuläre, das Typische. Das Alltägliche.

"Und sie sucht sich dann solche Gegenstände aus wie einen Tisch und der Raum, der unter dem Tisch ist. Wenn wir zwei jetzt an diesem Tisch sitzen, dann ist der Raum unter dem Tisch durch Beine verdrängt, sie würde jetzt den Tischraum unter dem Tisch abformen und unsere Beine wären da drin - oder eben der Stuhl, der da drunter steht - solche Arbeiten hat sie auch gemacht."

Das heißt, Rachel Whiteread hat aus Absenz eine Präsenz geschaffen.

"Und damit gibt sie uns eine Raumvorstellung von dem, was wir grundsätzlich nicht sehen können, wir können Raum immer nur denken, als ein Ding und nicht so sehr als einen Luftraum."

Die Erkundung der Hohlräume begann Ende der 80er Jahre - erst waren es Körperteile von ihr selbst, dann Schränke, Badewannen, der Raum unter Tischen und Stühlen.
Berühmt wurde Whiteread, als sie 1993 ein ganzes Haus abformte - und dafür den renommierten Turner-Preis erhielt. Die damals 30-jährige Künstlerin hatte das Haus, so auch der Titel der Arbeit, einfach mit Zement ausgegossen. Bei dem Ausguss handelte es sich um das letzte noch stehende Gebäude einer Häuserzeile, die eigentlich zum Abriss freigegeben war. Als die Außenmauern weg waren blieb das Hausinnere übrig als Negativ aus der alltäglichen Umgebung. Ihre Kunst, das sagt sie selbst, sei das Erinnern vergänglicher Räume, das Gedenken an die leere die bleibt, wenn etwas vergangen ist.

"Und genau da ist sie eine großartige Künstlerin, weil genau das je weiter ab vom menschlichen Sein, das bislang war, ist es so verwunderlich, dass wir uns so freiwillig damit befassen wollen."

Diese großen Objekte, ganze Räume und Treppen, lichtdurchlässige Berge von abgegossenen Umzugskartons, die seit kurzem in London für Furore sorgen, sind in Schwerin nicht zu sehen. Hier sind es Alltagsegenstände, so wie die Arbeit "In-Out - VIII" aus dem letzten Jahr, die das Schweriner Museum für seine Sammlung moderner Kunst erwerben konnte. Oder die Wärmflasche und die Matratze beziehungsweise deren negativer oder positiver Abguss im Mittelpunkt.

"Sie befasst sich im Grunde mit dem - wir können das jetzt mal platt mit dem Menschlichen, allzu Menschlichen bezeichnen, in dem sie eben berichtet von einer Geschichte, die sie gehört hat, sprich, sie hat sie im Fernsehen gesehen, das ist das lapidarste, das man jeden Tag hat. Auch wir schauen Fernsehberichte jeder Art, aber sie ist jemand, der sich betreffen lässt, jemand der anders schaut."

So inspirierte sie eine Geschichte aus einem Boulevardmagazin zu den Matratzen, die in Schwerin zu sehen sind. Eine Geschichte, die auch in Deutschland schon passiert ist und jederzeit passieren kann. Ein alter Mann ruft bei der Polizei an, weil er seinen Nachbarn schon seit geraumer Zeit weder gesehen noch gehört hat. Als die Polizei eintrifft, findet sie den Nachbarn tot im Bett. So lange muss er schon dort gelegen haben, dass die Matratze schon fast zu einer Gruft geworden ist.

"Und natürlich ist die Matratze, die sie eben auch als ein sehr großes Thema in der Nähe zum Körper sieht, worin die Babies geboren werden, worin eben auch jemand stirbt, dass diese Prozesse des Lebengebens oder des Sterbens in den Matratzen sind, und das geht nicht um die spektakuläre Matratzen, sondern es geht eigentlich um unsere Erinnerungen und jeder, die seinen über die Konstellationen in seiner Erinnerung über die Frage, was ist dort passiert."

Und was soll das Ganze, fragt vielleicht der Skeptiker, angesichts der verwirrenden Objekte aus banalem Gips oder Kunstharz? Es soll, es kann den Blick auf den Alltag verändern, es ist eine Aufforderung, die Welt von einem neuen, einem verrückten Standpunkt aus zu betrachten. Das Begreifen der Umkehrung der Dinge könnte eine neue Form der Erkenntnis bringen.


Die Ausstellung ist vom 5.11.2005 - 15.01.2006 zu sehen.