Die Erforschung der Emotionen

Von Ulfried Geuter · 27.07.2008
Freitag ging der größte Psychologiekongress aller Zeiten mit 9000 Teilnehmern aus über 100 Ländern in Berlin zu Ende. Ein Schwerpunkt dabei war die Erforschung der Emotionen. Auf dem Kongress wurde Professor Klaus Scherer, Direktor des Zentrums für die wissenschaftliche Erforschung der Affekte an der Universität Genf von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie geehrt.
Lange war das Fühlen für die psychologische Forschung kein Thema. Über Jahrzehnte wurden Menschen wie perfekte Denkmaschinen betrachtet, bei denen Gefühle allenfalls als Anhängsel von Gedanken vorkamen oder sogar störten. Als Metapher für das Seelenleben galt die Informationsverarbeitung eines Computers. Zuerst waren es die Wirtschaftswissenschaftler, die die Vorstellung aufgaben, menschliches Verhalten sei rein rational gesteuert. Nun ist die Psychologie nachgezogen, sagt Klaus Scherer, Professor an der Universität Genf:

" Weil doch die Emotionalität in unserem täglichen Leben so stark verbreitet ist und eine solch starke Rolle zum Beispiel zur Authentizität unseres Gegenübers hat, dass wir ohne sie nicht auskommen. Dass eben Information, nackte kognitive Information zwar wichtig ist, aber alleine nicht aussagefähig ist."

Informationen über andere Menschen oder über einen selbst sind immer auch emotionaler Natur. Meist werden sie nicht bewusst verarbeitet, was auch nicht ökonomisch wäre angesichts der Fülle von Wahrnehmungen, die ständig das Gehirn erreichen - man denke nur, wie viele Eindrücke man haben kann, wenn man durch eine Kantine geht. Ein Weg, Emotionen zu verarbeiten, ist der Körperausdruck, meint der japanische Psychologe Genji Sugamura aus Osaka. Er bat Menschen ins Forschungslabor und versetzte sie dort in eine niedergedrückte Stimmung:

" Wenn man sie jedoch eine expansive, stolze Körperhaltung einnehmen ließ, erholten sie sich davon. Ihre Gefühlslage wurde neutral. Nahmen die Versuchsteilnehmer hingegen eine gebeugte Körperhaltung ein, änderte sich die negative Stimmung nicht. Daher denke ich, wenn wir uns depressiv fühlen, sollten wir eine aufrechte, expansive Körperhaltung einnehmen."

Genji Sugamaru erforschte auch die Hirnaktivität der Versuchspersonen. In der gebeugten Körperhaltung wurde der präfrontale Kortex weniger durchblutet, die Gehirnregion, in der zentral Handlungen gesteuert und Gefühle reguliert werden und Informationen aus vielen Hirnteilen zusammen laufen. Dazu gehören auch Informationen über die Körperhaltung:

" Das Denken ist nicht immer der Grund unseres Fühlens und Verhaltens. Bewegungen haben die Funktion, uns an die Umwelt anzupassen. Die gebeugte Haltung kann seit langer Zeit schon dem Überleben dienen, weil dann ein Feind uns nicht angreift. Sie zeigt Unterwerfung. Auch heute stehen die Körperhaltungen in Bezug zu Gefühlen."

Klaus Scherer bezweifelt allerdings, dass Körperhaltungen alleine Gefühle verändern können. Vielleicht hat Genji Sugamura die Stimmung seiner Versuchspersonen eingefangen. Klaus Scherer bemüht sich, Emotion, Gefühl und Stimmung begrifflich zu unterscheiden. Stimmungen sind nicht an Ereignisse gebunden. Emotionen hingegen bedürfen eines Ereignisses, das einen Menschen ängstlich, ärgerlich, traurig oder neugierig macht. Ereignisse werden einer inneren Bewertung unterzogen, einem Denkprozess. Zum Beispiel, wenn wir vor einem Bären erschrecken oder wütend sind, weil uns jemand beleidigt:

" Wir müssen die Bedeutung dieses Ereignisses erkennen und das ist ein weitgehend kognitiver Prozess, auch wenn er nicht bewusst ist. Wir müssen die Informationen verarbeiten, wir müssen wissen: Was bedeutet das für uns? Und daraus entwickeln sich dann physiologische Veränderungen, weil natürlich die Emotionen eine Handlungsfunktion haben. Sie sollen uns in die Lage versetzen, schnell zu reagieren. "

Der Ärger lässt das Blut in die Peripherie schießen, damit ein Mensch zu Flucht oder Kampf bereit ist. Die Angst lässt einen erstarren, damit der Feind sich abwendet. Diese emotionalen Reaktionen werden zum Gefühl, wenn man sich ihrer bewusst wird.

" Ich nenne das immer ein Monitoring-System, ein Überwachungssystem, wo das Großhirn alle Aspekte dieser sehr kritischen Episode überwacht, um dann auch eingreifen zu können, um zum Beispiel Panikreaktionen zu verhindern, die dann auftreten könnten. Das ist das Gefühl. "

Emotionen, so heftig und plötzlich sie auch einschießen mögen, sind nicht eindeutig, meint Klaus Scherer weiter. Denn sie sind auch keine Instinkte, weil ein Instinkt ein Verhalten bei einem bestimmten Reiz reflexartig auslöst. Emotionen aber führen nicht zu einer zwangsläufig ablaufenden Handlung. Wer sich über einen anderen Menschen ärgert und merkt, dass der Andere mindestens genauso ärgerlich ist und auch noch stärker als man selbst, der wird versuchen, seinen emotionalen Ausbruch zu mildern.

Emotionen kommen und gehen, und wie der Prozess einer emotionalen Reaktion abläuft, ist niemals vorherzusagen. Die Computerwissenschaftler wissen das schon, wenn sie versuchen, menschenähnliche Wesen in der virtuellen Welt zu konstruieren. Emotionale Reaktionen beim Menschen sind überaus komplex und ständig im Fluss, und daher auch so schwer zu programmieren.