Die Erfindung der intimen Landschaft

Von Ulrike Gondorf |
Maler packen ihre Sachen und suchen sich einen Arbeitsplatz in der Natur: Diese Arbeitsweise verbindet man mit dem Impressionismus. Dass es schon zwei Künstlergenerationen früher Freilichtmalerei gegeben hat, ist hierzulande weniger bekannt. Barbizon heißt das Dorf im Wald von Fontainebleau, das Pariser Künstler in eine Künstlerkolonie verwandelt haben. Das "Abenteuer Barbizon" rollt jetzt eine Schau im Wuppertaler von-der-Heydt-Museum auf.
1849 wurde die Eisenbahnlinie von Paris nach Melun eröffnet. Schon zehn Jahre zuvor hatte Daguerre sein fotografisches Verfahren vorgestellt. Und ungefähr zu der derselben Zeit kam ein findiger Farbenhändler auf die Idee, seine Produkte nicht mehr in Schweinsblasen, sondern in Tuben aus dünnem Blech zu verpacken. Drei interessante Details aus der Geschichte des technischen Fortschritts – zusammen genommen waren sie die Wegbereiter einer Revolution in der Kunst:

Die Freilichtmalerei in der Natur wurde möglich durch das schnelle und billige Verkehrsmittel der Eisenbahn, durch leicht und sicher transportable Farben, und sie wurde angespornt im produktiven Wettstreit mit dem neuen Medium der Fotografie, das unmittelbare, wahrhaftige Bilder der Wirklichkeit lieferte. In Barbizon, das etwa 80 Kilometer südöstlich von Paris direkt an der Bahnstrecke und doch nahe beim wild romantischen, unwegsamen Wald von Fontainebleau liegt, nahm das neue Konzept Gestalt an.

"Die Künstler gingen aufs Land und wollten in der Natur direkt malen. Sie wollten den Grashalm ehren, sie wollten unbedingt den Waldrand, die Felsen, ‚nen kleinen Tümpel malen und diese Naturverbundenheit, das ist der Geist von Barbizon."

Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh zeigt in seiner groß angelegten Schau im von-der-Heydt-Museum ganz unterschiedliche Aspekte dieses Aufbruchs. Zum ersten Mal werden dabei Gemälde und frühe Fotografien in einer Ausstellung gleichberechtigt nebeneinander gestellt. 18 Museen zwischen Paris und Warschau, Hamburg und Wien gehören zu den Leihgebern. Außerdem sind zahlreiche und ebenfalls hochkarätige Werke aus Privatbesitz in Wuppertal für kurze Zeit in der Öffentlichkeit zu sehen.

Ein silbrig-blauer Himmel spiegelt sich in der ruhig-glatten Oberfläche eines Teichs, ein Boot scheint in der Mitte stillzustehen, der Ruderer schaut träumend in die Ferne, wo der Waldrand einen dunklen Saum um den See zieht. Nur die knorrigen Äste der Bäume im Vordergrund werden von einer leichten Brise bewegt.

Camille Corot hat diesen magischen Augenblick festgehalten, ohne Zweifel der strahlendste Stern der Plejade, wie die sieben bedeutendsten Maler von Barbizon genannt wurden. Aber auch die Arbeiten von Charles Daubigny, Theodore Rousseau und dem vorrangig an der Menschendarstellung interessierten Jean-Francois Millet versprechen dem Besucher schon im ersten Saal ein Fest der Malerei. Da ist das "Abenteuer Barbizon" aber erst zu erahnen. Dass man hier wirklich dem Anfang der Moderne gegenübersteht, begreift man dann von Saal zu Saal besser.

"Sie haben einen neuen Bildtypus erfunden, die paysage intime, die intime Landschaft, das heißt eine Nahsicht auf die Natur--- und diese kleinen Bilder --- wurden komplett in der Natur gemalt, signiert, an den Markt weitergegeben und verkauft."

Eine Umwälzung auf dem Kunstmarkt, die endgültig aufräumt mit der Vorherrschaft der akademischen Historienmalerei und die realistische Landschaft auch beim Kunstpublikum durchsetzt. Bemerkenswert daran ist aber vor allem, wie modern der Begriff ist, den die Künstler von Barbizon – Maler wie Fotografen – sich von der Natur gemacht haben. Auf den zweiten Blick nämlich ist der Wald von Fontainebleau gar nicht immer idyllisch. Manipulation und Gefährdung der Umwelt werden ein wichtiges Thema der Bilder.

Wie klaffende Wunden strecken abgeholzte Stämme dem Betrachter die Schnittflächen entgegen; gefällte Baumriesen beherrschen in ihrer Totenstarre ganze Bildformate; schockierend recken sich rohe Aststümpfe im Kahlschlag.

"Dieses Waldgebiet sollte eigentlich abgeholzt werden, denn man brauchte Holz für die Eisenbahnschwellen --- und sie haben so ‚ne art Bewegung initiiert, zum Beispiel haben sie die alten Eichen mit Namen belegt. Und dann konnte man sagen: Man doch jetzt Karl den großen nicht abhacken."

"Und das hat Touristen angezogen. Also einmal die schöne Landschaft und dieser Erlebnischarakter, dass man da einem bestimmten Baum begegnen kann oder einen Feenteich besucht. Das hat pro Jahr 100.000 Leute nach Barbizon gezogen, und als die Regierung das gemerkt hat, hat sie sich entschlossen, daraus ein Naturschutzgebiet zu machen mit ungefähr 600 Hektar.

Zukunftweisend ist schließlich auch die enge Kooperation von Malerei und Fotografie, von der beide Künste profitieren. In direkten Gegenüberstellungen kann man die thematische und ästhetische Nähe in Wuppertal immer wieder erleben. Der Blick des Malers, die Kompositionsgesetze des Gemäldes prägen die frühe Fotografie.

Umgekehrt lassen sich die Maler von der neuen Technik inspirieren, wenden beispielsweise in der Druckgrafik Foto- Verfahren an und experimentieren mit geritzten und belichteten Glasplatten. Und nutzen auch die Motiv-Vorlagen, die das neue, schnelle Medium liefert. Vor allem, wenn es um das Licht geht, das große gemeinsame Thema in dieser Zeit. Ziehende Wolken, flüchtige Stimmungen, dramatische Beleuchtungswechsel erarbeiten sie sich malerisch oft anhand von Fotografien.

"Es war ein großes gemeinschaftliches Zusammenarbeiten, ein sehr reger Austausch zwischen den verschiedenen Künsten, und da ist auch was Großes rausgekommen. Nicht nur die Kunst von Barbizon ist sehr bedeutend, sondern auch das nachfolgende, der Impressionismus, der ohne Barbizon gar nicht zu denken wäre."


Service:
Die Ausstellung "Abenteuer Barbizon. Landschaft, Malerei und Fotografie von Corot bis Monet" ist bis zum 5. Juni 2007 im Von der Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen.