Die Erfinderschule

Von Christiane Habermalz |
Die Heinrich-Hertz-Oberschule in Berlin-Friedrichshain ist ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium – das heißt: Mehr Unterricht in diesen Fächern als an anderen Berliner Schulen, Experimentierfreude im wahrsten Sinne des Wortes. Das zeigt Wirkung: diverse Auszeichnungen bei "Jugend forscht" und bei Internationalen Physik- und Chemie-Olympiaden haben die Schüler bereits gewonnen. In diesem Jahr nehmen sie mit sieben Beiträgen an "Jugend forscht" teil.
"Müssen wir uns das irgendwie überlegen mit dem Verfolgen.
- Ja. Mit dem Feature-Tracking. "
(Mausklicken). "Na über die Schnittpunkte der Kanten vielleicht..."

Eine kleine Dachkammer in Berlin-Karow. Thomas und Tobias sitzen über einen Computer gebeugt. Draußen ist schönstes Frühlingswetter, aber die beiden 16-jährigen haben keine Zeit, sich in der Sonne zu aalen. In zwei Wochen ist der Landeswettbewerb von Jugend forscht, und bis dahin haben sie noch ein neues Computerprogramm zu entwickeln. Damit soll es möglich sein, aus einem Film einzelne Objekte herauszugreifen und als 3D-Modelle im Rechner zu rekonstruieren. Praktisch für Architekten zum Beispiel, sagt Thomas.

"10 Pixel werden schon nötig sein.
- Was ne Frage wäre, ob wir diese relative Bewegung nur vom letzten Bild nehmen oder von den letzten zehn Bildern. So 'ne Durchschnittsbewegung..."

Tobias' E-Gitarre steht verwaist in ihrem Ständer, direkt unter dem Jimi-Hendrix-Plakat. Neben Thomas liegt ein Buch aus der Universitätsbibliothek. Darin: Formeln und Gleichungen, die einem Nicht-Mathematiker spontan den Schweiß auf die Stirn treiben. Numerische Algorithmen, sagt Thomas, die brauchen wir, für das Programm. Kein Schulstoff, klar. Viel zu speziell. Aber sie haben sich eingearbeitet. Die Sonne scheint durch das geöffnete Dachfenster. Thomas beschattet den Bildschirm mit der Hand, kneift die Augen hinter der Brille zusammen. An ihrer Schule, dem Heinrich-Hertz-Gymnasium, ist das Erfinden nichts Besonderes, fügt er hinzu.

"Bei uns fällt es eher auf, wenn man als Schüler nicht wenigsten einmal an einem "Jugend forscht"-Wettbewerb teilnimmt."

Große Pause. Spurensuche. Auf dem Schulhof der Heinrich-Hertz-Oberschule in Berlin-Friedrichshain wird gerade nicht erfunden, sondern Pingpong gespielt. Schüler toben herum, einige stehen in Grüppchen und rauchen. Nasenringe, Grufti-Look, cool oder edel, Jugendliche wie überall.

Drinnen innen ist es hell, gelbe Flure, grün gestrichene Türen. An den Wänden: Urkunden, Preise, Siegerehrungen. Bundeswettbewerb Mathematik, Internationale Physik- und Chemie-Olympiaden, und: "Jugend forscht"-Wettbewerbe. Natürlich. Die Hertz-Schülerinnen und Schüler sind überall dabei.

Physikunterricht in der 7. Klasse. Der Lärmpegel ist beträchtlich, denn die Schüler experimentieren. Wie seit drei Wochen schon, freies Arbeiten am Stück. Heute geht es um Wärme. Die Schüler sollen begründen, warum etwa Pinguine auf dem Eis immer in Pulks eng zusammenstehen. Oder wieso Eis im Wasser oben schwimmt.

"Wat brauchste? Infrarotlampe kriegste, jawoll. Ihr könnt ruhig schon anfangen mit den Geräten, ja? Da hast du die Pinguine. "

Physiklehrer Bünger balanciert ein Tablett mit Reagenzgläsern durch den Klassenraum: Die Modellpinguine. Er ist ein großer Mann mit spärlichen, zauseligen Haaren, das ihm rechts und links von der Halbglatze in kleinen Büscheln vom Kopf absteht. Bünger macht den Eindruck, als würde er jedes Experiment seiner Schüler am liebsten selber machen.

Bünger: " Also jetzt ist was ganz Tolles passiert, die haben 'ne Eismischung gemacht, die ist dermaßen gut, dass der Kolben innen gefroren ist. Die haben 'ne Temperatur, die müssen wir mal messen..."
Schüler: "Minus 16 Grad). "
Bünger: " Da müsst ihr mal den Finger rein halten, das ist richtig böse kalt!"

Die Hertz-Oberschule ist ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium – das heißt: Mehr Unterricht in diesen Fächern als an anderen Berliner Schulen. Deswegen können wir hier tiefer in die Materie eindringen, erklärt Bünger. Keine Lösungen präsentieren, sondern Probleme. Und den Schülern vermitteln, dass sie diese Probleme lösen können, wenn sie nur ein bisschen darüber nachdenken.

Bünger: " Wenn das in den Köpfen drin ist, dann geht man glaube ich auch mit Problembewusstsein durch die normale Welt. Und dann sieht man eben Dinge, die so sind, wie man sie eigentlich nicht haben möchte, und dann fragt man sich, kann man diese Dinge nicht vielleicht lösen."

Und schon sind sie mittendrin im Erfinden. Bünger ist stolz auf den Entdeckergeist seiner Schüler. Dieses Jahr sind sie gleich mit sieben Projekten im "Jugend forscht"-Wettbewerb dabei. 2002 waren sie auf der Berlin-Brandenburgischen Erfindermesse Patentica, mit einem selbst entwickelten Diesel sparenden Müllauto. Hochaktuell, sagt Bünger. Von wegen Feinstaub. In den Pausen und nach der Schule sitzen er und seine Kollegen häufig noch im Physikarbeitsraum, diskutieren mit Schülern über Experimente oder Ideen für eigene kleine Forschungsprojekte.

"Es sind manchmal nebensächliche Fragen oder halbe Schnapsideen, einmal war's 'ne Schülergruppe, die hat gefragt, ob man ein Luftschiff bauen könnte, das richtig fliegt. Ob sie das könnten. War 'ne 9. Klasse. Und denn haben wir nur gesagt, probiert's doch mal aus. Das war dann hier ein Riesending, vier Meter lang, mit vier Propellern, und der wurde dann vom Boden aus über Funk ferngesteuert und schwebte dann so über den Teilnehmern. "

Es ist Nachmittag. Die Gänge leeren sich. Doch im ersten Stock, Raum 210, findet noch eine merkwürdige Veranstaltung statt: Die TRIZ-Arbeitsgruppe.

Zehn Schüler aus dem 13 Jahrgang – acht Jungs, zwei Mädchen - sitzen hier freiwillig am Nachmittag, um sich von Professor Orloff in der Kunst des Erfindens unterrichten zu lassen. Orloff spricht russisch, hat seinen Übersetzer mitgebracht. TRIZ heißt die Methode, die in Russland entwickelt wurde, und mit der man lernt, so zu denken wie ein Erfinder: Kreativ, intuitiv, effektiv. Die Methode: Re-Inventing. Die Schüler bekommen die Aufgabe, Dinge nachzuerfinden, die bereits von einem klugen Kopf erdacht wurden – um zu lernen, wie ein Genie arbeitet.

Professor Orloff ist noch lange nicht fertig. Draußen vor der Schule hängen ein paar Oberstufenschüler auf den Stufen der Treppe zum Haupteingang herum. O Gott, sagt einer. Ich könnte mich nur hinlegen und schlafen und trinken. Wie schön. Auch Genies sind ganz normale Jugendliche. Jedenfalls nach Schulschluss.