Die englische "Winterreise"

Moderation: Jan Brachmann · 28.05.2014
Robert Louis Stevenson, der berühmte schottische Autor der "Schatzinsel", hinterließ bei seinem Tod 1894 auf Samoa im Südpazifik eine Sammlung von 44 Gedichten mit dem Titel "Songs of Travel". Neun dieser Reiselieder vertonte Ralph Vaughan Williams zwischen 1901 und 1904 und schuf damit einen Liederzyklus, der heute zu den beliebtesten des englischen Repertoires zählt und sogar in Deutschland immer mehr Interpreten findet. Michael Kennedy nannte diese "Songs of Travel" einmal sogar "die englische Winterreise".
Reiselieder sind ein altes Genre, die Figur des Wanderers war zumal in der europäischen Romantik sehr beliebt. Fast immer haben diese künstlerischen Gestalten des Unterwegsseins mit der Erfahrung zu tun, sozial oder religiös nicht mehr geborgen zu sein. Auch der Vagabund in den "Songs of Travel" lässt alle menschlichen Bindungen hinter sich, um unbehaust zu leben. Die Vorstellung, einen gotterfüllten Himmel über sich zu haben, mag ihm anfangs noch Vertrauen zu seinem Aufbruch geben. Doch nach Liebe und Trennung erfährt er seine Verlorenheit in einem vollkommenen Niemandsland. Wohin ist dieser Wanderer unterwegs? Kommt er jemals an? Während Stevenson die Größe der Sprache feiert, die den Einzelnen in sich aufnimmt, beschreibt Vaughan Williams in seiner Musik die Schönheit der heimischen Natur und des traditionellen Volkslieds.

Jan Brachmann stellt verschiedene Aufnahmen der "Songs of Travel" mit britischen und deutschen Interpreten vor und beleuchtet auch die kulturgeschichtliche Landschaft, die diese Reiselieder durchqueren.