Die Endlichkeit der Welt

Von Anette Schneider · 12.11.2011
Auf der Ausstellung "The Oil Show" in Dortmund sind aktuelle Arbeiten von Künstlern zu sehen, die sich mit den geopolitischen, gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen unserer Abhängigkeit vom Erdöl beschäftigen.
Dass sich Kunstausstellungen heutzutage gesellschaftlich relevanten Themen widmen, geschieht eher selten. Wenn sie es doch einmal riskieren, dann meist auf rein formal-ästhetischer Ebene, was die Probleme beträchtlich verharmlost. So gerade geschehen in Kiel mit der "Müll-Ausstellung" und in Wolfsburg mit der über "Entschleunigung".

Dabei geht es auch anders! In Dortmund zeigt man - beziehungsweise Frau - angesichts des drängenden Themas "Erdöl" Künstler, die sich kritisch mit dem schwarzen Gold beschäftigen: "The Oil Show" setzt auf Inhalte:

"'The Oil Show' ist nicht nur ein Ausstellungstitel, sondern ist eigentlich eine Beschreibung unserer Welt, in der wir leben, weil so viel auf Öl basiert und eben auch so viele Kriege um Öl geführt werden, was noch mal verdeutlicht, wie wichtig uns dieser Rohstoff ist."

… erklärt Kuratorin Inke Arns. Und so stellt der Hartware MedienKunstVerein zahlreiche Arbeiten vor, die aufgrund ihrer Wirklichkeitsbezogenheit Erkenntnisse vermitteln über gesellschaftliche Zusammenhänge und politische Interessen, und - im besten Fall - die Einsicht über deren Veränderbarkeit.

Der Auftakt ist unspektakulär: Aus einem großen Ölfleck an einer Wand wächst ein Diagramm. Unübersehbar ist der Höhepunkt der Erdölförderung überschritten. Von nun an geht es mit ihr abwärts. Was wir eigentlich auch alle wissen - und dennoch konsumieren wir weiter wie bisher. Anlass genug, dies und die Folgen vorzuführen:

"Das geht wirklich von der Auseinandersetzung mit dem Bau einer Ölpipeline von Aserbaidjan in die Türkei, über Immobilienprojekte in St. Petersburg und Dubai - 'The World' in Dubai oder der Gazprom-Turm, der geplante, im historischen Zentrum von Petersburg - bis hin zum Nigerdelta."

Auffällig ist der parteiische Blick, der sich in vielen Arbeiten spiegelt, und der die Ausstellung so anregend macht: Christian von Borries etwa zeigt in seiner Collage "Dubai in me" den Alltag der asiatischen Bauarbeiter, die die Stadt erschaffen. Konsequent filmt er Dubai aus ihrer Perspektive: Ständig versperren Mauern und Zäune den Blick, die die Armen ausgrenzen und die Reichen absichern. Dazwischen montiert Borries offizielle Dubai-Werbe-Hochglanzvideos, in denen Superreiche in ihren Wohntürmen europäische Lebensart zelebrieren.

Man trifft in der Ausstellung auf nackte Fakten über Ölvorkommen und Ölverbrauch, auf Computerspiele über den Handel mit Rohstoffen, und immer wieder auf beeindruckende Foto- und Filmarbeiten: In seiner Zweikanalvideoinstallation erkundet Mark Boulos zum Beispiel die dunkle Seite unseres gesellschaftlichen Reichtums.

Im Nigerdelta, wo seit 50 Jahren internationale Ölkonzerne mit Hilfe des Militärs ihre Interessen verteidigen, sprach er mit Einheimischen. Ihre Erzählungen über Landraub, verseuchte Lebensgrundlagen und den Kampf um Unabhängigkeit stellt Boulos dem Blick in die Chicagoer Börse gegenüber, an der mit Öl gehandelt wird, so Inke Arns:

"Von diesem Ölreichtum bleibt eigentlich fast nichts im Land hängen. Es verdient eine sehr dünne Oberschicht von den Ölexporten. Die Leben halt alle in so Gated Communities auf Lagos Island. Aber der Rest der Bevölkerung lebt halt in sehr, sehr großer Armut. Im Nigerdelta kommt halt noch hinzu: In einer sehr großen Umweltverschmutzung. Die Lebenserwartung ist 40 Jahre."

In ihrem Video "The Tower. A Singspiel" inszeniert die russische Künstlergruppe "Chto Delat?" die Auseinandersetzungen um Gazprom und das mitten in der historischen Altstadt St. Petersburgs geplante Okhta Center als antikes Drama.

Auf einer leeren Bühne mokiert sich eine maßlos gelangweilte herrschende Klasse über die Kritik der Bevölkerung ebenso wie über die des Verfassungsgerichts, und ein Chor aus Arbeitern, Rentnern und Arbeitslosen singt dazu brav das Lied "Die Reichen haben immer Recht", "Die Mächtigen haben immer Recht" - doch wird dabei die Unruhe des Chors immer größer...

Dem Hartware MedienKunstverein ist mit der "Oil Show" eine beeindruckende Ausstellung gelungen: Eine Nummernrevue, die auch vorführt, wie souverän Künstler mittlerweile die neuen Medien und deren ästhetische Möglichkeiten nutzen, um Stellung zu beziehen zur Wirklichkeit.

Carl Michael von Hausswolff und Thomas Nordanstad verwenden dafür drei parallel laufende Videos. Sie zeigen, was aus einst prosperierenden Orten wurde. Darunter ist Hashima, eine japanische Insel im Südchinesischen Meer. Wegen ihrer Kohlevorkommen galt sie bis in die 70er-Jahre als dichtbesiedelster Ort der Welt. Heute ist sie menschenleer:

"Es ist so die Art und Weise, wie Bedrohung im Weltall in Science Fiction-Filmen dargestellt werden: Die Außerirdischen lokalisieren einen Planeten, in dem sich Rohstoffe befinden, kolonisieren die Erde, beuten sie aus, und wenn alles ausgebeutet ist, wird dieser Planet fallengelassen, und man zieht weiter. - Dumm ist nur, dass wir keinen anderen Planeten haben."