Die Einzelsocke

Von Heike Schwarzer |
Eines der größten Mysterien des modernen Alltags - der kontinuierliche Schwund von Socken. Michael Baumann vom Dresdner Waschsalon "Crazy" kann belegen, dass nicht gefräßige Waschmaschinen, sondern der Mensch die Ursache für den Sockenschwund ist. 2583 Exemplare wurden seit Juni 2000 in seinem Laden liegen gelassen und hängen nun an der Decke des Salons.
Besucherin: "Ich bin völlig überrascht, weil man guckt ja nicht gleich nach oben, wenn man hier rein kommt. "

Doch das sollte man tun, im Crazy-Waschsalon in der Dresdner Neustadt.

Besucherin: "Also sich auch die Mühe zu machen, jeden einzelnen ... also 500 Socken sind's bestimmt."

Nein. Es sind genau 2583 Socken, die vom Himmel des Waschsalons herunterhängen. Aufgefädelt in elf Stunden geduldiger Arbeit von Michael, dem Chef.

"Also am Anfang hatte ich die Socken aufgehoben, weil ich dachte, die Besitzer melden sich. Aber da hat sich die ganzen fünf Jahre kein Einziger gemeldet und hat nach seiner Socke gefragt.
Ich habe die dann immer aufgehoben und regelrecht gesammelt und gedacht, irgendwann werde ich die mal ausstellen. "

Und nun ist es soweit.

Vor ein paar Tagen hat Michael seinen riesigen blauen Plastiksack geöffnet, alle gesammelten Socken frisch gewaschen.

"Einige rochen doch sehr unangenehm, die sind wahrscheinlich schon vorher runtergefallen, das war nur ein geringer teil. "

Besonders schöne wie die Beethovensocken oder die mit Pinguinen oder Prinzessinnen, mit lila-blauen Zehnen oder rotweiß wie ein Fliegenpilz - die hat er mit Papier ausgestopft,"

" damit die füllig aussehen und nicht so schlaff herunterhängen. "

Und nun baumeln sie am Nylonfaden im siebten Himmel.

Das hat was. Die schönsten Socken hängen der Erde am nächsten."

Alles potentielle Lieblingssocken - deren Verlust besonders schmerzt.

Besucherin: "Es ist wirklich so, die Lieblingssocke bleibt immer hängen. "

Besucherin: "Die bleiben beim Schleudern oben kleben, aber man nimmt nur das raus, was man sieht, wenn man die Trommel dreht, sieht man, dass die dort oben festpappen und sich verstecken. "

Doch Michael hat sie aufgespürt und zwischen Vorwäsche und Schleudergang kann sie nun jeder bewundern: die einsamen Socken, die großen und kleinen, die schwarzen und ergrauten, mit Löchern und Filzknoten, aus Wolle, Seide und weißem Frottee.

Besucher: "Ich finde, das sieht aus wie ein Sockenwald oder ein Sockenregen.

Vor dieser Aktion wusste man gar nicht, wem dieser Laden gehört, es ist auch schön, dass man jetzt merkt, wem das Geld zufließt. Er ist ja total sympathisch. Ich wasch jetzt viel lieber da.

Ich finde es schön, dass man im Alltag überrascht wird und dass sich Leute damit beschäftigen und mit Humor Dinge verwirklichen."

Michael Baumann ist so ein Mensch. Der stille und gewitzte Dresdner hat schon einiges ausprobiert, doch nicht die Kneipe und nicht der Plattenladen, sondern Waschsalons, sind nun sein Leben.

"Mit Sicherheit krisensicher. Wäsche waschen muss jeder. Mich hat immer an anderen Waschsalons gestört, dass die so clean aussahen, einfach nur Maschinen drin standen, ja zum Geld verdienen halt. Ich will mehr den Leuten geben als nur Wäsche waschen. Die Leute sollen sich auch wohl fühlen."

Mit Partys, die es hier schon zweimal gab. Oder Lesungen, die gerade organisiert werden. Oder eben auch mit Kunst, die jetzt der herrenlosen Socke ein zweites Leben und potenziellen Sockensuchern neue Hoffnung schenkt.

"Sicherlich haben die Eigentümer gedacht, sie wären verschwunden, aber sie sind nicht verschwunden, sie sind ja da."

Michael vom Crazy-Waschsalon - ein Retter der Einzelsocke - der auch beweisen will, dass nicht nur die gefräßige Waschmaschine einträchtige Sockenpaare voneinander trennt, sondern auch der ignorante Mensch, für den die profane Socke nichts mehr gilt.

"Früher gab's links und rechts gestrickte, aber das ist ja nicht mehr der Fall. Die Dinger sind doch alle austauschbar, die sind doch alle schizophren, entpersonifiziert.

Wir kaufen immer Socken die alle gleich aussehen. In so 'nem Zehnerpack und da ist es gleich wenn man eine verliert. "

Michael ist es nicht egal. Er zählt auf jede Socke und macht aus den kleinen mickrigen Verlierern eine große verschworene Gemeinschaft.

Besucherin: "Eine Sockenautonomie. Wer weiß, was die Socken mit uns so anstellen werden.

So eine ganz bunte Welt. An eigenen Lebewesen, die sich jetzt verschworen haben. "

Hinweis: Der Crazy-Waschsalon befindet sich auf der Louisenstraße 6 in der Dresdner Neustadt.