Die Dramaturgie geht vor
Derzeit boomt die Inszenierung zeitgeschichtlicher Stoffe im deutschen Fernsehfilm. Damit übernehmen Medienmacher bei der Inszenierung zeitgeschichtlicher Stoffe als TV-Event eine gesellschaftliche Verantwortung. In Loccum diskutierten Fachleute über die Möglichkeiten und Grenzen des Fernsehens bei der Vermittlung dieser Themen.
Wir haben erlebt, wie Dresden im Feuersturm unterging. Wir waren dabei, als die große Flut Hamburg überrollte. Seit an Seit mit einer ostpreußischen Gräfin sind wir auf der Flucht über das vereiste Haff gezogen, haben Adolf Hitler beim "Untergang" im Bunker über die Schulter geschaut. Zeitgeschichte ist zum Greifen nah, ein Fernseh- und Kinoereignis – und gerade deshalb unerreichbarer denn je, behauptet der Konstanzer Historiker Rainer Wirtz:
"Von der 'Luftbrücke' bis 'Lengede' bis 'Wunder von Bern', all diese zeithistorischen Filme, die reduzieren Geschichte auf solche Events. Und insofern kommt Geschichte in kleinen Häppchen daher, in Spasmen. Und das dazwischen ist Nebel. Das heißt, wer sich aus solchen Häppchen ein Geschichtsbild zusammenbastelt, ist geschichtslos, weil er nicht Entwicklungen sieht."
Anstelle der schulfunkartigen "Dokumentationen" sind fertig ausgemalte, spektakuläre Geschichtspanoramen getreten. Durchaus anhand von Quellen recherchiert, aber letztlich fiktiv, weil dramaturgisch schmackhaft gemacht. Denn nur mit Herz erreicht man das Hirn der Zuschauer, resümiert Horst Königstein, zusammen mit Heinrich Breloer Erfinder des "Dokudrama".
"Und so sehen wir Geschichte: Sentimentalität und Leidenschaft, didaktisches Stroh und die Empfindung aufrichtiger lebendiger Wahrheit – manchmal. Und erstaunend nehmen wir zur Kenntnis, dass Dreiecksgeschichten der Schlüssel zu unserer deutschen Geschichte zwischen Flucht und Mauerbau, Dresden und Berlin sein können."
Bleibt die Frage, ob das Publikum nur emotional mitgerissen oder auch zum einfühlsamen, genauen Hinsehen animiert wird. Die neuen Geschichtsfilme, so kritisieren Historiker, bieten nicht nur Unterhaltung, sondern formen eine Erinnerungsgemeinschaft. Verfestigen das kollektive, manipulativ verfälschte Gedächtnis all jener, die nach dem Fernsehmehrteiler "Die Flucht" überwältigt zustimmen: "Ja, so war es!"
Historiker fürchten, dass ihr Fachwissen mit dem Boom der gefälligen Fernseh-History eines Guido Knopp oder Kinoerfolgen wie "Der Untergang" einem nach kommerziellen Vorgaben einheitlich gestrickten Geschichtsbild zum Opfer fallen könnte. Dahinter, so vermutet der Filmhistoriker Fabio Crivellari, steckt aber auch nur ein Klischee, das Phantasma vom Volk als Haufen willenloser couch potatoes:
"Die Vorstellung, das Publikum sitze im Sofa und erfahre eine allein durch das Fernsehen geprägte Welt als einzig zugängliche, ist ein beliebtes Bild, empirisch hingegen in keiner Weise begründet und auch nicht begründbar."
Aber die Wissenschaft hat dazugelernt. Und so kann Michael Elm vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut freilegen, was mythisch und märchenhaft in den Kinobildern vom "Untergang" mitschwingt, wenn etwa sieben junge Sekretärinnen wie verschreckte Rehe durch den finsteren Wald zu Hitlers "Wolfsschanze" geführt werden. Vom "Führer" ausgewählt wird Traudl Junge, deren persönliche Geschichte diesem Geschichtsfilm eine Struktur gibt:
"Die Rettung der Heldin an der Hand jenes Jungen, der gerade noch mit der Panzerfaust tötete und von Hitler persönlich ausgezeichnet wurde. 'Der Untergang' schildert das Ende des Krieges nicht als Befreiung, sondern als tragische Abfolge von Selbstzerstörung, Opfer und Wiedergeburt. Das ist eine große Lüge – selbst wenn sie aus lauter kleinen Wahrheiten zusammengesetzt ist."
Die akribische Recherche, auch die Beratung durch Wissenschaftler wird ausgebaut – aber die Erkenntnisse "der" Geschichte müssen immer wieder zurücktreten zugunsten einer "runden" und möglichst bruchlosen Story aus einem Guss. Da kann der Laie sich nicht einmal mehr wundern, bedauert Rainer Wirtz.
"Facts und Fiction, gefunden und erfunden: Die Zuschauer haben keine Chance, zwischen historischer Realität und dem Beiwerk zu unterscheiden. Der Filmplot siegt über den historischen Verlauf."
Mehr noch: Geprägt werden diese Filme nicht mehr durch die historischen Ereignisse, sondern durch Schauspieler; große Stars, die große Figuren verkörpern. Selbst Personenähnlichkeit spielt da keine Rolle mehr, Heino Ferch etwa gibt in "Troja" einen Heinrich Schliemann ohne Bart – weil er nur so als Markenzeichen zu erkennen und der Film entsprechend zu vermarkten ist.
Und schließlich muss in Interviews zur NS-Diktatur oder über Flucht und Vertreibung Hitler-Darsteller Bruno Ganz als Experte herhalten oder die Schauspielerin Maria Furtwängler als Augenzeugin des Trecks über das zugefrorene Haff. Und der Geschichtsfilm selbst wird zur historischen Quelle. Aber darauf, so Rainer Wirtz, sollten die Historiker gelassen reagieren:
"Die Geschichtswissenschaft muss sich dieser Bildmengen annehmen, die Archive und die Selektion vornehmen. Und möglicherweise auch bald in Bildern Geschichte präsentieren können."
Bis dahin ist es allerdings ein weiter und gewundener Weg. Auf der Tagung in Loccum nämlich musste Horst Königstein zugestehen, dass selbst Heinrich Breloer, dieser integre Dokumentarist, im Zweifel der Dramaturgie den Vorrang gibt, die sperrige Geschichte zugunsten spannender Geschichten zurechtbiegt. Irmgard Möller, einzige Überlebende der in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen, kommt im "Todesspiel" über den "heißen Herbst" 1977 gar nicht vor, weil der Regisseur diese Figur für "dramaturgisch unpraktisch" hielt.
Und eine sehr bedeutsame 30-Sekunden-Pause aus einem Interview mit Helmut Schmidt wurde umgeschnitten, um Manfred Zapatka aufzuwerten, der in den Spielszenen den Part des Bundeskanzlers während der Schleyer-Entführung übernommen hatte:
"Dokumentarisch schrecklicher Fehler, darf man eigentlich nicht machen, ist Manipulation der fiesesten Sorte. Diese 30 Sekunden Stille haben wir an eine ganz andere Stelle, wo sie aber dramaturgisch hundertprozentig saß, gepackt. Damit war Helmut Schmidt geholfen, damit war vor allem Manfred Zapatka geholfen – und die Geschichte erzählte sich richtig.
"Von der 'Luftbrücke' bis 'Lengede' bis 'Wunder von Bern', all diese zeithistorischen Filme, die reduzieren Geschichte auf solche Events. Und insofern kommt Geschichte in kleinen Häppchen daher, in Spasmen. Und das dazwischen ist Nebel. Das heißt, wer sich aus solchen Häppchen ein Geschichtsbild zusammenbastelt, ist geschichtslos, weil er nicht Entwicklungen sieht."
Anstelle der schulfunkartigen "Dokumentationen" sind fertig ausgemalte, spektakuläre Geschichtspanoramen getreten. Durchaus anhand von Quellen recherchiert, aber letztlich fiktiv, weil dramaturgisch schmackhaft gemacht. Denn nur mit Herz erreicht man das Hirn der Zuschauer, resümiert Horst Königstein, zusammen mit Heinrich Breloer Erfinder des "Dokudrama".
"Und so sehen wir Geschichte: Sentimentalität und Leidenschaft, didaktisches Stroh und die Empfindung aufrichtiger lebendiger Wahrheit – manchmal. Und erstaunend nehmen wir zur Kenntnis, dass Dreiecksgeschichten der Schlüssel zu unserer deutschen Geschichte zwischen Flucht und Mauerbau, Dresden und Berlin sein können."
Bleibt die Frage, ob das Publikum nur emotional mitgerissen oder auch zum einfühlsamen, genauen Hinsehen animiert wird. Die neuen Geschichtsfilme, so kritisieren Historiker, bieten nicht nur Unterhaltung, sondern formen eine Erinnerungsgemeinschaft. Verfestigen das kollektive, manipulativ verfälschte Gedächtnis all jener, die nach dem Fernsehmehrteiler "Die Flucht" überwältigt zustimmen: "Ja, so war es!"
Historiker fürchten, dass ihr Fachwissen mit dem Boom der gefälligen Fernseh-History eines Guido Knopp oder Kinoerfolgen wie "Der Untergang" einem nach kommerziellen Vorgaben einheitlich gestrickten Geschichtsbild zum Opfer fallen könnte. Dahinter, so vermutet der Filmhistoriker Fabio Crivellari, steckt aber auch nur ein Klischee, das Phantasma vom Volk als Haufen willenloser couch potatoes:
"Die Vorstellung, das Publikum sitze im Sofa und erfahre eine allein durch das Fernsehen geprägte Welt als einzig zugängliche, ist ein beliebtes Bild, empirisch hingegen in keiner Weise begründet und auch nicht begründbar."
Aber die Wissenschaft hat dazugelernt. Und so kann Michael Elm vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut freilegen, was mythisch und märchenhaft in den Kinobildern vom "Untergang" mitschwingt, wenn etwa sieben junge Sekretärinnen wie verschreckte Rehe durch den finsteren Wald zu Hitlers "Wolfsschanze" geführt werden. Vom "Führer" ausgewählt wird Traudl Junge, deren persönliche Geschichte diesem Geschichtsfilm eine Struktur gibt:
"Die Rettung der Heldin an der Hand jenes Jungen, der gerade noch mit der Panzerfaust tötete und von Hitler persönlich ausgezeichnet wurde. 'Der Untergang' schildert das Ende des Krieges nicht als Befreiung, sondern als tragische Abfolge von Selbstzerstörung, Opfer und Wiedergeburt. Das ist eine große Lüge – selbst wenn sie aus lauter kleinen Wahrheiten zusammengesetzt ist."
Die akribische Recherche, auch die Beratung durch Wissenschaftler wird ausgebaut – aber die Erkenntnisse "der" Geschichte müssen immer wieder zurücktreten zugunsten einer "runden" und möglichst bruchlosen Story aus einem Guss. Da kann der Laie sich nicht einmal mehr wundern, bedauert Rainer Wirtz.
"Facts und Fiction, gefunden und erfunden: Die Zuschauer haben keine Chance, zwischen historischer Realität und dem Beiwerk zu unterscheiden. Der Filmplot siegt über den historischen Verlauf."
Mehr noch: Geprägt werden diese Filme nicht mehr durch die historischen Ereignisse, sondern durch Schauspieler; große Stars, die große Figuren verkörpern. Selbst Personenähnlichkeit spielt da keine Rolle mehr, Heino Ferch etwa gibt in "Troja" einen Heinrich Schliemann ohne Bart – weil er nur so als Markenzeichen zu erkennen und der Film entsprechend zu vermarkten ist.
Und schließlich muss in Interviews zur NS-Diktatur oder über Flucht und Vertreibung Hitler-Darsteller Bruno Ganz als Experte herhalten oder die Schauspielerin Maria Furtwängler als Augenzeugin des Trecks über das zugefrorene Haff. Und der Geschichtsfilm selbst wird zur historischen Quelle. Aber darauf, so Rainer Wirtz, sollten die Historiker gelassen reagieren:
"Die Geschichtswissenschaft muss sich dieser Bildmengen annehmen, die Archive und die Selektion vornehmen. Und möglicherweise auch bald in Bildern Geschichte präsentieren können."
Bis dahin ist es allerdings ein weiter und gewundener Weg. Auf der Tagung in Loccum nämlich musste Horst Königstein zugestehen, dass selbst Heinrich Breloer, dieser integre Dokumentarist, im Zweifel der Dramaturgie den Vorrang gibt, die sperrige Geschichte zugunsten spannender Geschichten zurechtbiegt. Irmgard Möller, einzige Überlebende der in Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen, kommt im "Todesspiel" über den "heißen Herbst" 1977 gar nicht vor, weil der Regisseur diese Figur für "dramaturgisch unpraktisch" hielt.
Und eine sehr bedeutsame 30-Sekunden-Pause aus einem Interview mit Helmut Schmidt wurde umgeschnitten, um Manfred Zapatka aufzuwerten, der in den Spielszenen den Part des Bundeskanzlers während der Schleyer-Entführung übernommen hatte:
"Dokumentarisch schrecklicher Fehler, darf man eigentlich nicht machen, ist Manipulation der fiesesten Sorte. Diese 30 Sekunden Stille haben wir an eine ganz andere Stelle, wo sie aber dramaturgisch hundertprozentig saß, gepackt. Damit war Helmut Schmidt geholfen, damit war vor allem Manfred Zapatka geholfen – und die Geschichte erzählte sich richtig.