Die Diskussion um das Bundeswehr-Denkmal

Von Werner Sonne |
Ja, man kann dort Männer weinen sehen. Dort, wo Washington am schönsten ist, am westlichen Ende der so genannten Mall, einem großen Park zwischen dem Capitol und dem Lincoln-Denkmal, ist der Ort der Tränen. Dort liegt das Ehrenmal für die Gefallenen des Vietnam-Krieges.
Kein Denkmal setzt so viele Gefühle frei wie diese V-förmige Wand aus schwarzem Marmor, in die die Namen von rund 55.000 Gefallenen eingraviert sind. Immer wieder sieht man dort ehemalige Kameraden, Freunde und Familienangehörige der toten Soldaten, die ihren Emotionen freien Lauf lassen. Hinter der Trauer steckt auch die Suche nach dem Sinn für den Tod so vieler in einem Krieg, den die Weltmacht Amerika verloren hat.

Der Vietnam-Krieg hat die Nation gespalten, und das tut zunehmend auch der Krieg im Irak. Aber unumstritten ist das Gedenken an die Gefallenen. Nicht weit von diesem Vietnam-Ehrenmal liegt auf der anderen Seite des Potomac der Soldatenfriedhof von Arlington, wo mit einem aufwändigen militärischen Zeremoniell täglich der toten Helden gedacht wird. Ja, richtig, der Helden, denn wer für Amerika sein Leben gibt, der ist ein Held, egal, wie die Umstände seines Todes oder die Art des Krieges waren.

Und wir? Wie gehen wir mit denen um, die als deutsche Soldaten ihre Leben verlieren?

Das ist, seien wir ehrlich, nicht so einfach. Denn wir haben ein Jahrhundert hinter uns mit zwei fürchterlichen Kriegen, die von deutschem Boden ausgingen und die die Welt in Brand gesetzt haben.

Noch heute kann man in manchem Dorf die Denkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges sehen. Das ist offenbar noch hinnehmbar. Zum einen ist es zeitlich weit weg, und zum zweiten ist dieser Krieg zumindest nicht mit dem Trauma des Holocaust verbunden.

Doch spätestens hier wird klar, warum wir uns so schwer tun, den Tod deutscher Soldaten angemessen zu betrauern. Für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs kennen wir nur die nicht enden wollenden Reihen weißer Kreuze oder schlichter Gedenksteine auf den Soldatenfriedhöfen. Vor allem in Osteuropa hat es lange gedauert, bis es dazu überhaupt kam, und wer an den Skandal um den Auftritt von Ronald Reagan und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg zurückdenkt, der weiß, dass es hier um politisch vermintes Gelände geht. Denn unter den Gefallenen in Bitburg waren, wie man zu spät entdeckte, auch solche der SS.

Machen wir uns also nichts vor: Die deutsche Geschichte wirft immer noch einen langen Schatten, auch wenn es darum geht, wie man junger Soldaten gedenken soll, die mit dieser unheilvollen Vergangenheit wahrlich nichts mehr zu tun haben.

Wie verkrampft wir immer noch an dieses Problem herangehen, zeigt schon die Wortwahl. Wenn ein deutscher Soldat in Afghanistan bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kommt, spricht die Bundeswehr immer noch von einem Unfall.

Gott sei dank, der Tod durch Feindeinwirkung ist immer noch die Ausnahme. Meistens sind es wirklich Unfälle, auch bei den 69 Soldaten, die bisher bei Auslandseinsätzen gestorben sind.

Und dennoch: es ist hohe Zeit, dass wir uns den Fakten stellen. Dazu gehört, dass die Politik die Bundeswehr immer stärker zum Instrument deutscher Außenpolitik macht. Damit wächst die Gefahr, dass zur Durchsetzung dieser Interessen auch deutsche Soldaten sterben. Das sind keine Unfälle, das ist der Tod im Einsatz, den die Politik zwar nicht will, aber doch zunehmend in Kauf nimmt. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zahl der Särge steigt.

Deshalb ist es überfällig, wenn jetzt eine Diskussion darüber geführt wird. Dabei hat Verteidigungsminister Jung freilich die Grundsatzfrage längst entschieden. Ein Ehrenmal wird kommen, es geht, wenn überhaupt, nur noch um die Frage des Wo.

Im Bundestag ist plötzlich ein Murren zu hören, weil Jung das Ehrenmal auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums aufstellen will. Jetzt erst melden sich die Parlamentarier zu Wort, einige rufen danach, es müsse in die Nähe des Parlaments, schließlich sei es der Bundestag, der das letzte Wort beim Einsatz der Bundeswehr im Ausland hat.

Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass das Parlament dieses heikle Problem im besten Fall verdrängt oder aber schlicht und einfach verschlafen hat. Es ist richtig, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, und deshalb hätte man in der Tat erwarten können, dass die Initiative für ein Ehrenmal aus dem Bundestag gekommen wäre.

Dann hätte man dort auch mit sehr viel mehr Überzeugung fordern können, dass ein solches Ehrenmal ganz sichtbar in die Nähe des Parlaments gehört. Denn dort gehört es tatsächlich hin, auch als Stein des Anstoßes. Einen Heldenmythos brauchen wir nicht. Ein Ehrenmal für tote Soldaten soll der Trauer Ausdruck geben, soll Respekt erweisen, aber es muss auch immer wieder zum Nachdenken anregen, ob und warum die Politik und damit wir alle diese Soldaten in den Tod schicken.

Eine intensive Debatte darüber ist also durchaus angemessen, nicht um es zu verhindern, sondern um uns darüber klar zu werden, warum es an der Zeit ist, dass wir ein solches Ehrenmal tatsächlich brauchen.

Werner Sonne, 1947 in Riedenburg geboren, arbeitete zunächst beim Kölner Stadt-Anzeiger, war dann Korrespondent für United Press International in Bonn und ging 1968 zum Westdeutschen Rundfunk. Er absolvierte Studienaufenthalte am Salzburg Seminar for American Studies sowie an der Harvard University. Unter anderem war er Hörfunk-Korrespondent in den ARD-Studios Bonn und Washington. 1981 wechselte Werner Sonne zum Fernsehen, war unter anderem ARD-Studioleiter in Warschau, Korrespondent in Bonn und Washington und im ARD-Hauptstadtstudio Berlin sowie Moderator der Sendung "Schwerpunkt" im ARD/ZDF-Informationskanal Phoenix. Derzeit arbeitet er als Berliner Korrespondent für das ARD-Morgenmagazin. Werner Sonne ist Co-Autor der Romane: "Es war einmal in Deutschland" (1998), "Allahs Rache" (1999), "Quotenspiel" (1999) und "Tödliche Ehre" (2001).