Die Diktatur entlässt ihre Kinder

Von Thomas Franke |
Weißrussland gilt als die letzte Diktatur in Europa. Weiterhin werden Oppositionelle verfolgt und verhaftet, die Presse zensiert. Inzwischen befindet sich ein großer Teil der kritischen Intelligenz der Weißrussen im Ausland - aus Selbstschutz vor Verhaftungen und Verfolgungen.
Der Zeichentrickfilm ist subversiv. Am Steuer einer "grünen Minna" juckelt der Diktator Alexander Lukaschenko auf einer Landstraße in Richtung Europäische Union. Auf einmal wird der Gefängniswagen von einem Grenzbeamten in Uniform gestoppt.

Der Diktator steigt aus, lächelt breit, präsentiert einen Automaten. "Neu", steht darauf, "freie Wahlen. Fällen Sie ihre Entscheidung und wählen sie einen der Kandidaten!" Demonstrativ startet die Wahlmaschine.

Doch ein Kabel ist manipuliert. Auf dem Display erscheint – wie sollte es anders sein: "Kandidat Lukaschenko hat gewonnen". Der Grenzbeamte wundert sich kurz, dann stempelt er den Pass des Diktators ab. Der fährt weiter in Richtung EU. Das letzte Bild zeigt die Insassen des Gefängniswagens: Drei traurig schauende Figuren mit den Ansteckschildern "Kultur", "Medien" und "Jugend".

Macher des Films ist Pavel Marozau aus Minsk. Der 31-jährige Filmemacher wird in Weißrussland und Russland mit Haftbefehl gesucht, lebt deshalb seit drei Jahren in Tallinn, der Hauptstadt Estlands. Zurück kann er nicht. Gegen ihn lief in Weißrussland ein Verfahren, weil er einen anderen regierungskritischen Zeichentrickfilm gemacht hat.

Dann bekam er eine Vorladung zum Gespräch beim Staatsanwalt. Darin stand, dass die Beweisaufnahme abgeschlossen sei und er seine Anwältin mitbringen solle. Die war aber gerade im Ausland. Die Behörden gaben ihm etwas Zeit, um einen anderen Anwalt zu finden. Die nutzte er, um über die offene Grenze nach Russland zu fliehen und von dort nach Estland.

"Ich denke, zusätzlich zur der ursprünglichen Strafe von zwei bis vier Jahren Freiheitsentzug für die Verleumdung des Präsidenten würden sie mir, wenn ich nach Weißrussland fahre, sicher noch etwas draufgeben dafür, dass ich mich dem Verfahren entzogen habe."

In Tallinn schreibt Marozau Artikel für estnische Zeitungen, organisiert Ausstellungen für weißrussische Künstler, macht Zeichentrickfilme. Und er macht Oppositionspolitik.

Straßburg, im Frühsommer. Ein Konferenzraum des Europarates, grauer Teppich, graue Stühle, Neonlicht. Die Tische stehen im Kreis.

Im Europarat sind alle Staaten Europas Mitglied, außer Weißrussland. Der Europarat hat sich den Menschenrechten verschrieben, Weißrussland hält die nicht ein, deshalb ist das Land nicht dabei. An diesem Tag versammelt sich die junge Elite der weißrussischen Opposition in Straßburg.

Mehr als 30 sind gekommen, einige im Anzug, wie Marozau, sie kommen aus Brüssel, aus Warschau, dem Baltikum. Aber auch aus Minsk und selbst aus dem weißrussischen Vitebsk sind junge Oppositionelle gekommen, streng beäugt vom Botschafter des Diktators. Man kennt sich, die Szene ist überschaubar. Auch Marozau ist aus Tallinn angereist.

"Man muss beachten, dass diejenigen, die unmittelbarem Druck ausgesetzt sind, weder nach Straßburg noch nach Brüssel fahren. Die sitzen entweder in Weißrussland im Gefängnis, oder sie bekommen keine Reisedokumente."

Marozau scherzt sogar mit dem Botschafter.

"Mit der Zeit versteht man, dass die beiden großen Lager früher oder später miteinander umgehen müssen. Und wenn zum Beispiel wie heute ein positives Thema auf der Tagesordnung steht, wie die Annäherung Weißrusslands an die EU oder Sachgespräche über Menschenrechte, dann muss man natürlich mit ihnen reden. Das ist wichtig. Sonst gibt es keine Veränderungen."

So gern, wie Marozau mit westlichen Journalisten spricht, so verschlossen ist der Botschafter. Ein paar ältere Herren fallen auf, Politiker aus anderen europäischen Staaten, aus den Niederlanden, aus Großbritanien, aus Zypern. Sie sind diejenigen, die sich um die Annäherung an Europa kümmern und um Menschenrechte. Zum Beispiel Christos Pourgourides, ein Abgeordneter aus Zypern. Ziel seiner Politik sind Veränderungen in Weißrussland.

"Ich möchte, dass eine klare Botschaft an die Regierung von Weißrussland gesendet wird: Dass wir den Kontakt wollen, aber gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen. Nicht viele, aber zumindest minimale, wie das Moratorium über die Anwendung der Todesstrafe. Für uns ist das sehr wichtig. Außerdem muss das Wahlverfahren geändert werden, so dass die Wahl von Oppositionsmitgliedern gesichert ist. Weiterhin muss alles weg, was geeignet ist, unangebrachten Druck auf die Opposition auszuüben."

Wie gespalten die Demokratien in Europa sind, wenn es um den Umgang mit dem Diktatorischen Regime in Weißrussland geht, wurde im Frühjahr deutlich. Die Tschechen hatten den Präsidenten Weißrusslands, Alexander Lukaschenko zum Gipfel nach Prag eingeladen.

Im Vorfeld gab es bereits eine Diskussion, wer ihm die Hand schüttelt und wer nicht. Der Diktator kam nicht. Die EU beendete trotzdem die Isolation Weißrusslands und nahm den Staat in ihr Programm zur Ost-Partnerschaft auf. Wenn auch unter Vorbehalten. Deshalb fuhr die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner im Juni nach Minsk und traf den Diktator, betonte aber, dass die EU tiefgreifende Reformen erwarte.