Die digitale Zukunft des Kinos

Von Robert Brammer · 13.02.2007
Video-on-Demand, der DVD-Verleih im Internet oder das High Defintion TV: Man kann es sich heute zu Hause gemütlich machen und die DVDs per Videobeamer im Großformat auf die weiße Wand projizieren. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die US-Filmindustrie allein durch den Verkauf von DVDs Umsätze in Höhe von 40 Milliarden Dollar.
Die großen Hollywood -Studios treiben aber auch die Digitalisierung der Lichtspielhäuser voran. Der Film der Zukunft, so viel ist sicher, wird digital projiziert und die gewaltigen Datenströme werden via Satellit direkt an die Vorführtheater übertragen.

Gundolf Freyermuth, Professor an der Internationalen Filmhochschule Köln, schreibt zur Zeit an einer Kulturgeschichte der Digitalisierung.

"Man könnte das so sagen: Im Theater hat man wirkliche Menschen auf der Bühne und im Publikum. Im Kino hatte man schon keine wirklichen Menschen mehr auf der Bühne, sondern Schatten, wie das die Zeitgenossen des Stummfilms ja auch beklagten und im Zuschauerraum saßen noch wirkliche Menschen.

Wir erleben, glaube ich nun im Augenblick mit dem Web 2.0 und dem 3D Internet, dass sich auch das Publikum virtualisiert, das so etwas wie eine virtuelle Öffentlichkeit entsteht. Es gibt ja auch keinen ganz wirklichen Grund, warum sich ganz wirkliche Menschen versammeln müssen, um Schatten zuzusehen an einem Ort außerhalb ihrer eigenen Wohnung. Gleichwohl kennen wir aus der Geschichte der Medien natürlich, dass wenig verschwindet. Einst große Künste wie Theater oder Film werden ein wenig marginalisiert, wenn neue wie Fernsehen oder jetzt das Internet kommen. Aber ganz verschwinden tut ja ganz selten etwas."

Noch werden die großen, schweren Filmkartons durch die halbe Welt verschickt, um Kinos und Festivals mit Filmkopien zu versorgen. Doch diese Art des Kinos wird es bald nicht mehr geben.

Nutznießer der Digitalisierung sind in jedem Fall die Filmproduzenten. Sie sparen bei der Herstellung, beim Lagern und beim Versand. Und auch die Filmstarts lassen sich so künftig weltweit koordinieren.

Doch auf die Kinobetreiber kommen riesige Investitionen zu.

Warren N. Lieberfarb leitete mehr als 20 Jahre die Home-Video-Sparte von Warner, gilt als "Vater der DVD" und zählt zu den wichtigsten Visionären der Filmbranche.

"Das ist das Problem mit der digitalen Kinotechnik. Die Vorteile liegen beim Verleih und Vertrieb, während fast alle Kosten beim Kinobetreiber anfallen. Kinoprojektoren haben sich in der Regel nach zehn Jahren amortisiert. Und während es Filmprojektoren gibt, die auch nach hundert Jahren noch funktionieren und dabei nichts von ihrem Gebrauchswert verlieren, weiß doch niemand heute, wie lange die digitalen Geräte halten werden. Und solange es noch keine Mittler gibt, die bereit sind, den Kinobetreibern die digitale Umstellung zu finanzieren, solange wird es mit der Einführung des digitalen Kinos auch nur langsam vorangehen."

Noch sind die hohen Investitionskosten das größte Hindernis für die Verbreitung digitalen Kinos. Während ein 35-Millimeter-Projektor für rund 50.000 Euro zu kaufen ist, kosten digitale Kino-Systeme leicht das Vierfache. Und Kulturstaatsminister Bernd Neumann fürchtet um das Kino als Gemeinschaftserlebnis:

"Für die Kinos ist es inzwischen nicht mehr die Frage, ob die digitale Distribution kommt, sondern nur wann. Wann und wie. Zweierlei ist dabei aus Sicht des Kultur- und Medienpolitikers wichtig. Erstens darf die digitale Distribution nicht dazu führen, dass die Vielfalt in den Kinoprogrammen verloren geht, und wir am Ende nur noch amerikanische Blockbuster zu sehen bekommen. Zweitens darf der finanzielle Investitionsbedarf nicht dazu führen, dass die kleinen und mittleren Kinos schließen müssen und damit in Deutschland die flächendeckende Versorgung mit Kinowänden leidet. Wir wollen ja, dass die Menschen ins Kino gehen. Und wir wollen, dass sie unter vielen, besonders vielen europäischen Filmen die Wahl haben."

Hier kommen die so genannten Intermediäre ins Spiel. Intermediäre finanzieren und bauen die digitale Infrastruktur auf und vermieten diese an Kinos und Verleihe. Besonders aktive Akteure in diesem Bereich sind die deutsche Telekom und der Flugzeug- und Rüstungskonzern Boeing.

Ihr vermeintlich lukratives digitales Angebot lautet: Sport- Konzert oder Kulturveranstaltungen lassen sich künftig live und flächendeckend in die Kinosäle übertragen. Das Kino wird so zum "Eventhaus der Zukunft" erklärt.

Unterdessen ist der Suchmaschinenanbieter Google mit seinem Videodienst seit letztem Sommer in Deutschland aktiv. Jeder kann jetzt bei Google seinen eigenen Film hochladen und ihn anderen zur Verfügung stellen.

Bei Google spricht man von einer schier unglaublichen Nachfrage der Benutzer, sich selber auszudrücken, und von einem riesigen Bedürfnis nach authentischer Selbstdarstellung. Und auch der Kölner Medienwissenschaftler Gundolf Freyermuth prophezeit eine Explosion benutzererzeugter Inhalte.

"Was wir jetzt seit zehn Jahren etwa, seit das World Wide Web, seit Real-Audio, seit es die Möglichkeit gibt, Bilder und Töne im Internet zu erfahren: wir sehen die Möglichkeit zunächst der Distribution. Das zweite aber ist: Seit ungefähr 2000, 2001 sind Laptops zu Multimedia- Laptops geworden, sind sozusagen kleine Filmstudios, kleine Schneidestudios. Und insofern werden Einzelne plötzlich sozusagen ermächtigt, Filme zu machen und zu distribuieren. Das ist verführerisch. Gleichwohl muss man sehen, dass der Umstand, dass jeder eine Schreibmaschine hatte, oder jeder Papier hatte, oder jeder Farbe hatte, uns nicht alle zu Schriftstellern und Malern gemacht hat. Und so werden wir auch nicht alle zu Videokünstlern werden. Aber man muss sehen, dass dieser audiovisuelle Content diese Besonderheit des Dokumentarischen auch hat. Und da ist es ein großer Reiz, sich selber, das eigene Leben und so weiter auszustellen."