Die digitale Zukunft der Literatur

Von Volkhard App · 20.09.2009
Hat das gedruckte Buch angesichts von E-Books und Google-Book eigentlich noch eine Chance? Bieten sich gar neue Absatzwege für den Buchhandel? Und generiert das Internet auch eine neue Form von Literatur? Diese und andere Fragen wurden auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum diskutiert.
Dietrich zu Klampen: "Für Verlage ist zu beobachten, dass es insgesamt einen digitalen Angriff auf unser gutes, altes Buch gibt. Das ist nicht nur festzumachen an dem zunehmenden Verkauf von Lesegeräten wie iPhones und E-Book-Readern, sondern wir müssen feststellen, dass ganze Bereiche auch einfach am Computer gelesen werden. Informationen holen sich heutzutage alle Menschen aus dem Internet. Lesen diese Menschen noch lange, aufklärerische, politische Bücher?"

Nicht jeder spricht gleich von einem digitalen "Angriff", wie hier der Verleger Dietrich zu Klampen, aber wenigstens doch von einer Umbruchszeit - in ihren Ausmaßen vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks.

Dabei finden die Reader, die digitalen Lesegeräte für die E-Books, bei uns nur zögerlich Verbreitung. Selbst bei günstiger wirtschaftlicher Prognose - falls in Deutschland um 2013 jährlich Millionen solcher E-Books verkauft werden sollten -, hätten sie am gesamten Buchumsatz nur einen Marktanteil von drei bis fünf Prozent.

In den USA allerdings hat das Geschäft mit E-Books schon ganz andere Dimensionen angenommen. Und vielleicht ist ja der ganz große Sprung auch hierzulande nur eine Frage der Zeit - zu verlockend ist es, Bibliotheken auf einem flachen Lesegerät mit auf die Reise zu nehmen.

Bei den E-Books, dieser modernen Form des Speicherns und Lesens, wird es wirtschaftlich aber auch Verlierer geben. Christoph Bläsi, Buchforscher von der Gutenberg-Universität in Mainz:

"Der eigentliche Verlierer in dieser Sache ist der stationäre vertreibende Buchhandel. Weil niemandem einleuchtet, für den Kauf eines Download um die Ecke in einen Buchladen zu einer Download-Station zu gehen, wenn man es zu Hause im Internet erledigen kann. Ich denke, da wird es Probleme geben."

Während die E-Books fast noch eine konservative Vermittlungsform darstellen, surft im Internet längst eine junge Generation munter durch die Bilder, Töne und vielfältigen Texte und lädt herunter, was sie braucht. Das ist kostenlos auch mit ganzen Büchern möglich. Sich eine solch illegale Kopie zu besorgen, ist derzeit einfacher, als vom heimischen Laptop aus ein E-Book im ordentlichen Handel zu bestellen und auf seinen Reader zu laden.

Das Unrechtsbewusstsein bei den Nutzern des Internet ist nicht sehr entwickelt - Autoren und Verleger fürchten zu Recht um die Tantiemen für die geleistete Arbeit. Eine geeignete Methode, von den PC-Nutzern, den Buchlesern am Bildschirm das Geld zu einzutreiben, hatte auch auf dieser informativen Tagung niemand vorzuschlagen. Ein am Ende sinnloser Kampf gegen die Aushöhlung des Urheberrechts?

Jürgen Rink, Redakteur der Computer-Zeitschrift "c't":

"Sinnlos ist der Kampf sicher nicht. Aber wenn man meint, dass man das Urheberrecht, so wie es heute besteht, im Internet anwenden kann, wird man scheitern. Weil das Urheberrecht davon ausgeht, dass ich Werke nicht kopieren und verbreiten darf. Das geschieht im Internet aber in einem Ausmaß, dass man mit diesem Urheberrecht hier nicht zum Erfolg kommt. Man müsste dann die gesamte Bevölkerung, die im Internet agiert, mit Klagen überziehen, was völlig widersinnig wäre."

Eine Gratwanderung ist es allemal: Das Urheberrecht gilt es zu wahren, andererseits sollen die Chancen, die das Internet weltweit mit seinen direkten Zugriffsmöglichkeiten bietet, nicht entscheidend blockiert werden. Als zukunftsfeindlich möchte niemand gelten.

Auch das Projekt von Google, ganze Bibliotheken zu scannen und per Netz zur Verfügung zu stellen, wurde in Loccum keinesfalls verdammt. Von Google müsse man lernen, war dagegen zu hören: Eigene große Projekte sollen initiiert werden, um das Bucherbe digital zu überliefern. Das riet Gabriele Beger, die Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands, die im Übrigen optimistisch in die Zukunft blickt: Die Bibliotheken, auch die öffentlichen, seien gut vorbereitet auf die Ära der Dateien, auch wenn einige Weichen noch zu stellen sind:

"Einmal setzen wir uns vom Deutschen Bibliotheksverband sehr stark dafür ein, dass es rechtliche Rahmenbedingungen gibt und vor allem finanzielle. Denn die Technologie ist ja überall vorhanden, und es kommt jetzt auf die Kommunen und Länder an, die Bibliotheken so auszustatten, dass sie alles wahrnehmen können, was der Markt bietet. Das ist auch dringend nötig, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Denn keiner kann so sehr wie die Bibliotheken Lotse sein und Medienkompetenz bieten für die Bevölkerung und für jedermann."

Das digitale Zeitalter bietet aber nicht nur andere Vertriebsformen von Buchinhalten, es ermöglicht auch die Produktion einer neuen Form von Literatur, das ist die sogenannte Netz-Literatur. Hierbei stellt nicht - wie beim Buch - der abgeschlossene Text die eigentliche Qualität dar, wichtig ist sein Entstehungsprozess: Leser und Kollegen können dem Autor auf seine Entwürfe antworten, in seine Arbeit eingreifen, Reflexionen hinzufügen oder Bilder und Töne.

Bei soviel Euphorie war die Bilanz des Schriftstellers Thomas Hettche allerdings ernüchternd. Nein, etwas qualitativ Bedeutendes sei im Bereich dieser Netz-Literatur nicht entstanden - und der bloße Dialog zwischen Autoren und Lesern langweile ihn. Die herkömmliche Kommunikation mit dem Buch als Mittler reiche völlig aus.

Gerade deshalb waren von ihm gegen Ende besorgte, fast schon melancholische Äußerungen zum Schicksal der Buchkultur zu hören - und hierin stimmte er der Meinung der Verleger zu: Das Leseverhalten verändere sich insgesamt - mit der sinkenden Bereitschaft, sich in lustvoller Anstrengung auf größere, komplexe Texte einzulassen und mit ihrer Hilfe die Welt zu begreifen:

"Das Buch steht ja nicht allein in dem kulturellen Raum, das Buch war und ist Teil eines öffentlichen Kosmos, zu dem Bibliotheken, Buchhandlungen und Universitäten und eine große Zahl von Mitwirkenden in dem Versuch gehören, uns als Gesellschaft und als Menschen in Verbindung zu setzen und zu vergewissern. Und dieser auch durch Kenntnis und Wissen gesteuerte öffentliche Meinungsbildungs-Prozess erodiert jetzt. Der öffentliche Raum wird zerstört und ersetzt durch Marktplätze zum kommerziellen Umschlag von Inhalten. Dass hierdurch auch die Einkünfte von Literaten und Autoren eingeengt werden, ist dabei fast schon ein Nebeneffekt."