"Die Deutschen liebten ihre D-Mark"
Nach Ansicht von Theo Waigel ist den Deutschen der Abschied von der D-Mark deshalb so schwer gefallen, weil die Währung ein Qualitätssiegel geworden war und Identität ausstrahlte. Dennoch sei es richtig gewesen, den Euro einzuführen, betonte der ehemalige Bundesfinanzminister.
Joachim Scholl: Ein optimistischer Ludwig Erhard, der spätere Bundeskanzler. Damals war er der zuständige Minister, als die Währungsreform in Kraft trat. Heute auf den Tag vor 60 Jahren, am 20. Juni 1948. Vier Jahrzehnte später, 1990, erfolgte die Währungsunion mit der DDR. Ab 2002 mussten sich dann alle Deutschen nochmals umstellen. Von da an wurde in Deutschland mit dem Euro bezahlt. Drei grundlegende weitreichende Reformen in gut 50 Jahren. Und einer, der sie alle erlebt hat, ist der ehemalige Finanzminister der Bundesrepublik. Schönen guten Morgen, Theo Waigel!
Theo Waigel: Guten Morgen!
Scholl: Im Juni 1948 waren Sie neun Jahre alt, Herr Waigel, haben Sie eine Erinnerung an diese Zeit, als das neue Geld, die D-Mark, kam?
Waigel: Ja, ich habe eine gute Erinnerung. Ich kann mich noch erinnern, was im Radio kam. Ich kann mich erinnern, dass mir mein Vater ein Sparbüchlein in die Hand drückte, auf Reichsmark ausgestellt. Mit dem ging ich zum Rechner der Raiffeisenkasse in Ursberg, der mein Taufpate war, und hab dort die Büchlein umschreiben lassen. Sie waren danach noch etwa ein Zehntel von dem wert, was sie vorher nominal angegeben hatten.
Scholl: Das hat ja schon fast den Bundesfinanzminister ahnen lassen, so richtig auf die Bank gegangen mit neun Jahren. Herr Waigel, heute verknüpft man die Einführung der D-Mark automatisch mit dem Wirtschaftswunder, dem kommenden. Am Tag nach der Geldausgabe waren die Läden mit einem Schlag voll. Man sieht dabei aber oft, wie kritisch die Bevölkerung zunächst die neue Währung gesehen hat. Denn die kleinen Sparer verloren durch die Umstellung einen Großteil ihres Vermögens, Sie ja auch. Die Preise für Waren zogen erheblich an, und im Herbst gab es den ersten und einzigen Generalstreik nach 1945. Auch das hatte mit der Währungsreform zu tun. Das heißt, der Erfolg der D-Mark, wie er sich in der Rückschau so glänzend ausnimmt, war gar nicht so selbstverständlich?
Waigel: Nein. Es ist doch nicht isoliert zu sehen. Übrigens war die Währungsreform von damals in erster Linie ein Werk der Besatzungsmacht. Ein Oberst der amerikanischen Armee hatte das im Wesentlichen vorbereitet, hatte einen Kreis von Deutschen im Taunus zusammengeholt und die haben das dann ausgeheckt. Und die ersten D-Mark-Banknoten wurden nicht in die Deutschland gedruckt, sondern kamen in Kisten aus Amerika. Zusammenhängend, dass dies ein Erfolg war, wurde die Einführung der Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard. Hinzu kam auch noch der ERP-Wirtschaftsplan. Damit haben immerhin die Amerikaner Milliarden von Dollar damals nach Europa gepumpt. Und, was ganz wichtig war für die Deutschen, unsere Produkte bekamen wieder die Chance, auf den Weltmärkten aufgenommen zu werden. Das alles hing zusammen, um dann das "Wirtschaftswunder", in Anführungszeichen, von damals zu begründen.
Scholl: Machen wir einen Sprung, Theo Waigel. Sie wurden im Frühjahr 1989 Finanzminister. Ich vermute, dass Sie damals keinen Gedanken hegten, dass Sie ein knappes Jahr später an einer neuen Währungsunion arbeiten würden, oder?
Waigel: Nein, ich hatte zwar nie persönlich die Hoffnung auf die deutsche Einheit aufgegeben, aber dass sie ein Jahr später kommen würde und dass wir vor allen Dingen durch eine deutsche Währungsunion sozusagen den irrevisiblen Schritt zur Einheit Deutschlands machen würden, das habe ich mir damals auch nicht ohne Weiteres gedacht.
Scholl: Aber die Stimmung für die D-Mark bei den DDR-Bürgen war ja euphorisch. Ich glaube, das war auch ein gewisser Zwang auch für die Politik, an dieser Währungsunion schnell zu arbeiten. Zugleich wussten die Finanzfachleute, wie problematisch die Umstellung war. Wenn Sie zurückdenken, Herr Waigel, hatten Sie nicht auch ein bisschen Manschetten, ob die Währungsunion so funktionieren würde?
Waigel: Ja, wir hatten natürlich uns das schon gut überlegt. Wir haben aber gemerkt, es gibt dazu keine Alternative. Wir mussten so schnell wie möglich den Menschen in der damaligen DDR eine gesunde Währung in die Hand geben. Sie wären sonst zu Millionen weiter nach Westdeutschland gegangen. Man muss bedenken, von 1949 bis 1989 gingen schon über drei Millionen Menschen von Ost nach West. Es hätte einen Exitus gegeben, wenn wir nicht schnell gehandelt hätten.
Scholl: Viele Experten warnten damals vor der Umstellung eins zu zwei, haben ruinöse Szenarien für die Bundesrepublik an die Wand gemalt. Sie mussten schließlich entscheiden. War das schwer? Wie empfanden Sie damals die Situation?
Waigel: Das war nicht einfach. Die Bundesbank hatte uns vorgeschlagen eins zu zwei. Wir haben dann 1:1,81 gemacht. Wir haben nur die kleinen Guthaben von 2000 bis 4000 D-Mark mit eins zu eins umgestellt und natürlich die Stromgrößen, das heißt Löhne, Gehälter, Renten. Denn Löhne, Gehälter und Renten waren in der damaligen DDR in Ost-Mark etwa ein Drittel von dem, was dieselben Einkommen in Westdeutschland in D-Mark gewesen waren. Das heißt, wenn wir das eins zu zwei umgestellt hätten, dann wäre den Menschen im Osten für die gleiche Arbeit ein Sechstel von dem geblieben, was sie in Westdeutschland hätten verdienen können. Auch da gibt es überhaupt keine Alternative. Und es sollten sich im Nachhinein alle Besserwisser nochmals gut überlegen, was dann sonst mit den Menschen passiert wäre.
Scholl: Die Währungsunion mit der DDR war eine Herausforderung, eine noch größere bereiteten Sie in den 1990er Jahren vor, die Einführung des Euro, das wohl größte Währungsexperiment der neueren Geschichte. Für Sie auch?
Waigel: Ja, in der Tat. Aber dazu hatten wir Zeit, sie exzellent vorzubereiten. Wir haben darüber schon in den 50er, 60er und 70er Jahren nachgedacht. Da gab es schon entsprechende Pläne. Die sind alle gescheitert. Dann kam der Delors-Plan, schon 1988/89 erstellt.
Scholl: Jacques Delors.
Waigel: Jacques Delors, der damalige Präsident der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den Notenbankpräsidenten Europas. Und dann haben wir uns entschieden, jawohl, wir packen das an. Wir Deutschen haben einen eigenen Entwurf gemacht, an dem damals vor allen Dingen Horst Köhler, der heutige Bundespräsident, mitgearbeitet hat. Und die anderen Länder in Europa, und das ist eigentlich das Ungewöhnliche, haben die deutsche Währungsphilosophie übernommen, haben ihre Finanzpolitik, ihre Finanztheorie entscheidend geändert, um damit zu einem gemeinsamen Werk zu kommen.
Scholl: Aber, Herr Waigel, das ist doch auch wirklich überraschend, 1948 und 1990 kann man sagen, dass diese Reformen erfolgreich waren, weil natürlich die Währungen, die abgelöst wurden, förmlich zerrüttet waren. Beim Euro war das ja gänzlich anders. Sie sagten schon, die Europäer haben mitgemacht. Der Franc, der Gulden, die D-Mark waren ja stabile Währungen, und dennoch nahm die Bevölkerung dann auch aller beteiligten Länder den Euro auch so überraschend schnell an. War das eine Art gute Überzeugungsarbeit, die da geleistet wurde oder schon europäisches Bewusstsein?
Waigel: Es war europäisches Bewusstsein da, es war aber auch noch viel Skepsis da. In Deutschland war die Skepsis größer als in den meisten anderen Ländern, weil die Deutschen ihre D-Mark liebten. Die D-Mark war zwischenzeitlich ein Qualitätssiegel geworden, strahlte Identität aus, drum war das nicht einfach. Aber wir haben immer gesagt, die neue Währung, der Euro, als der Name feststand, wird so stabil sein wie die D-Mark. Wir haben die institutionellen Gründe dafür geschaffen und vor allen Dingen die Europäische Zentralbank war und ist genauso unabhängig keinen politischen Weisungen verpflichtet und nur der Stabilität der Währung verantwortlich wie die D-Mark. Und ich glaube, dass das dann letztlich die Menschen doch überzeugt hat.
Scholl: Rechnen Sie noch im Kopf um, Herr Waigel?
Waigel: Nein. Nur dann, wenn ich Investitionen oder Käufe, die ich vor 10, 15 Jahren getätigt habe, wenn ich die vergleiche, dann rechne ich um. Aber heute im normalen Leben hat der Euro bei mir schon Einzug gehalten.
Scholl: Fällt mir Ihnen nicht manchmal auch so im Restaurant vielleicht mal die Kinnlade runter, wenn Sie für eine banale Gulaschsuppe 6,50 Euro, umgerechnet 13 Mark, hinlegen müssen, die man sich früher nie zu verlangen getraut hätte?
Waigel: Ja, das kann schon sein. Nur dann muss man so ehrlich sein, Sie wie ich, und muss alles, was man die letzten fünf Jahre eingenommen hat zusammenzählen, alles, was man ausgegeben hat, zusammenzählen. Dann muss man auf die Telefonkosten und manches andere, was früher sehr viel Geld gekostet hat und heute billiger ist, zurechnen. Und dann muss man bereit sein zu sagen, die hohen Spritpreise von heute wären um 17 bis 20 Cent noch höher, wenn es nicht den stabilen Euro gäbe, der im Verhältnis zum Dollar so viel zugewonnen hat.
Scholl: So macht der ehemalige Bundesfinanzminister noch allen Skeptikern im Nachhinein Mut. Eine letzte Frage, Herr Waigel. Wird der Euro irgendwann den Dollar als Weltleitwährung ablösen?
Waigel: Das ist nicht einmal wünschenswert. Wichtig ist, er hat sein Potenzial gewonnen. Er ist die zweite große Weltreservewährung, fast 30 Prozent der Weltreserven, Währungsreserven lagern heute schon, sind heute schon in Euro denominiert. Wir brauchen den Dollar. Es ist gut, wenn zwei große Weltreservewährungen da sind. Und das Tollste ist, in Asien, in Afrika, bei den Golfstaaten, in Mittel- und Südamerika bemüht man sich im Moment, Ähnliches zustande zu bringen, was den Europäern gelungen ist.
Scholl: 1948, 1990, 2002 – drei Währungsreformen. Theo Waigel war stets mit dabei. Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Alles Gute!
Waigel: Danke schön!
Das gesamte Gespräch mit Theo Waigel können Sie bis zum 20. November 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio
Theo Waigel: Guten Morgen!
Scholl: Im Juni 1948 waren Sie neun Jahre alt, Herr Waigel, haben Sie eine Erinnerung an diese Zeit, als das neue Geld, die D-Mark, kam?
Waigel: Ja, ich habe eine gute Erinnerung. Ich kann mich noch erinnern, was im Radio kam. Ich kann mich erinnern, dass mir mein Vater ein Sparbüchlein in die Hand drückte, auf Reichsmark ausgestellt. Mit dem ging ich zum Rechner der Raiffeisenkasse in Ursberg, der mein Taufpate war, und hab dort die Büchlein umschreiben lassen. Sie waren danach noch etwa ein Zehntel von dem wert, was sie vorher nominal angegeben hatten.
Scholl: Das hat ja schon fast den Bundesfinanzminister ahnen lassen, so richtig auf die Bank gegangen mit neun Jahren. Herr Waigel, heute verknüpft man die Einführung der D-Mark automatisch mit dem Wirtschaftswunder, dem kommenden. Am Tag nach der Geldausgabe waren die Läden mit einem Schlag voll. Man sieht dabei aber oft, wie kritisch die Bevölkerung zunächst die neue Währung gesehen hat. Denn die kleinen Sparer verloren durch die Umstellung einen Großteil ihres Vermögens, Sie ja auch. Die Preise für Waren zogen erheblich an, und im Herbst gab es den ersten und einzigen Generalstreik nach 1945. Auch das hatte mit der Währungsreform zu tun. Das heißt, der Erfolg der D-Mark, wie er sich in der Rückschau so glänzend ausnimmt, war gar nicht so selbstverständlich?
Waigel: Nein. Es ist doch nicht isoliert zu sehen. Übrigens war die Währungsreform von damals in erster Linie ein Werk der Besatzungsmacht. Ein Oberst der amerikanischen Armee hatte das im Wesentlichen vorbereitet, hatte einen Kreis von Deutschen im Taunus zusammengeholt und die haben das dann ausgeheckt. Und die ersten D-Mark-Banknoten wurden nicht in die Deutschland gedruckt, sondern kamen in Kisten aus Amerika. Zusammenhängend, dass dies ein Erfolg war, wurde die Einführung der Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard. Hinzu kam auch noch der ERP-Wirtschaftsplan. Damit haben immerhin die Amerikaner Milliarden von Dollar damals nach Europa gepumpt. Und, was ganz wichtig war für die Deutschen, unsere Produkte bekamen wieder die Chance, auf den Weltmärkten aufgenommen zu werden. Das alles hing zusammen, um dann das "Wirtschaftswunder", in Anführungszeichen, von damals zu begründen.
Scholl: Machen wir einen Sprung, Theo Waigel. Sie wurden im Frühjahr 1989 Finanzminister. Ich vermute, dass Sie damals keinen Gedanken hegten, dass Sie ein knappes Jahr später an einer neuen Währungsunion arbeiten würden, oder?
Waigel: Nein, ich hatte zwar nie persönlich die Hoffnung auf die deutsche Einheit aufgegeben, aber dass sie ein Jahr später kommen würde und dass wir vor allen Dingen durch eine deutsche Währungsunion sozusagen den irrevisiblen Schritt zur Einheit Deutschlands machen würden, das habe ich mir damals auch nicht ohne Weiteres gedacht.
Scholl: Aber die Stimmung für die D-Mark bei den DDR-Bürgen war ja euphorisch. Ich glaube, das war auch ein gewisser Zwang auch für die Politik, an dieser Währungsunion schnell zu arbeiten. Zugleich wussten die Finanzfachleute, wie problematisch die Umstellung war. Wenn Sie zurückdenken, Herr Waigel, hatten Sie nicht auch ein bisschen Manschetten, ob die Währungsunion so funktionieren würde?
Waigel: Ja, wir hatten natürlich uns das schon gut überlegt. Wir haben aber gemerkt, es gibt dazu keine Alternative. Wir mussten so schnell wie möglich den Menschen in der damaligen DDR eine gesunde Währung in die Hand geben. Sie wären sonst zu Millionen weiter nach Westdeutschland gegangen. Man muss bedenken, von 1949 bis 1989 gingen schon über drei Millionen Menschen von Ost nach West. Es hätte einen Exitus gegeben, wenn wir nicht schnell gehandelt hätten.
Scholl: Viele Experten warnten damals vor der Umstellung eins zu zwei, haben ruinöse Szenarien für die Bundesrepublik an die Wand gemalt. Sie mussten schließlich entscheiden. War das schwer? Wie empfanden Sie damals die Situation?
Waigel: Das war nicht einfach. Die Bundesbank hatte uns vorgeschlagen eins zu zwei. Wir haben dann 1:1,81 gemacht. Wir haben nur die kleinen Guthaben von 2000 bis 4000 D-Mark mit eins zu eins umgestellt und natürlich die Stromgrößen, das heißt Löhne, Gehälter, Renten. Denn Löhne, Gehälter und Renten waren in der damaligen DDR in Ost-Mark etwa ein Drittel von dem, was dieselben Einkommen in Westdeutschland in D-Mark gewesen waren. Das heißt, wenn wir das eins zu zwei umgestellt hätten, dann wäre den Menschen im Osten für die gleiche Arbeit ein Sechstel von dem geblieben, was sie in Westdeutschland hätten verdienen können. Auch da gibt es überhaupt keine Alternative. Und es sollten sich im Nachhinein alle Besserwisser nochmals gut überlegen, was dann sonst mit den Menschen passiert wäre.
Scholl: Die Währungsunion mit der DDR war eine Herausforderung, eine noch größere bereiteten Sie in den 1990er Jahren vor, die Einführung des Euro, das wohl größte Währungsexperiment der neueren Geschichte. Für Sie auch?
Waigel: Ja, in der Tat. Aber dazu hatten wir Zeit, sie exzellent vorzubereiten. Wir haben darüber schon in den 50er, 60er und 70er Jahren nachgedacht. Da gab es schon entsprechende Pläne. Die sind alle gescheitert. Dann kam der Delors-Plan, schon 1988/89 erstellt.
Scholl: Jacques Delors.
Waigel: Jacques Delors, der damalige Präsident der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den Notenbankpräsidenten Europas. Und dann haben wir uns entschieden, jawohl, wir packen das an. Wir Deutschen haben einen eigenen Entwurf gemacht, an dem damals vor allen Dingen Horst Köhler, der heutige Bundespräsident, mitgearbeitet hat. Und die anderen Länder in Europa, und das ist eigentlich das Ungewöhnliche, haben die deutsche Währungsphilosophie übernommen, haben ihre Finanzpolitik, ihre Finanztheorie entscheidend geändert, um damit zu einem gemeinsamen Werk zu kommen.
Scholl: Aber, Herr Waigel, das ist doch auch wirklich überraschend, 1948 und 1990 kann man sagen, dass diese Reformen erfolgreich waren, weil natürlich die Währungen, die abgelöst wurden, förmlich zerrüttet waren. Beim Euro war das ja gänzlich anders. Sie sagten schon, die Europäer haben mitgemacht. Der Franc, der Gulden, die D-Mark waren ja stabile Währungen, und dennoch nahm die Bevölkerung dann auch aller beteiligten Länder den Euro auch so überraschend schnell an. War das eine Art gute Überzeugungsarbeit, die da geleistet wurde oder schon europäisches Bewusstsein?
Waigel: Es war europäisches Bewusstsein da, es war aber auch noch viel Skepsis da. In Deutschland war die Skepsis größer als in den meisten anderen Ländern, weil die Deutschen ihre D-Mark liebten. Die D-Mark war zwischenzeitlich ein Qualitätssiegel geworden, strahlte Identität aus, drum war das nicht einfach. Aber wir haben immer gesagt, die neue Währung, der Euro, als der Name feststand, wird so stabil sein wie die D-Mark. Wir haben die institutionellen Gründe dafür geschaffen und vor allen Dingen die Europäische Zentralbank war und ist genauso unabhängig keinen politischen Weisungen verpflichtet und nur der Stabilität der Währung verantwortlich wie die D-Mark. Und ich glaube, dass das dann letztlich die Menschen doch überzeugt hat.
Scholl: Rechnen Sie noch im Kopf um, Herr Waigel?
Waigel: Nein. Nur dann, wenn ich Investitionen oder Käufe, die ich vor 10, 15 Jahren getätigt habe, wenn ich die vergleiche, dann rechne ich um. Aber heute im normalen Leben hat der Euro bei mir schon Einzug gehalten.
Scholl: Fällt mir Ihnen nicht manchmal auch so im Restaurant vielleicht mal die Kinnlade runter, wenn Sie für eine banale Gulaschsuppe 6,50 Euro, umgerechnet 13 Mark, hinlegen müssen, die man sich früher nie zu verlangen getraut hätte?
Waigel: Ja, das kann schon sein. Nur dann muss man so ehrlich sein, Sie wie ich, und muss alles, was man die letzten fünf Jahre eingenommen hat zusammenzählen, alles, was man ausgegeben hat, zusammenzählen. Dann muss man auf die Telefonkosten und manches andere, was früher sehr viel Geld gekostet hat und heute billiger ist, zurechnen. Und dann muss man bereit sein zu sagen, die hohen Spritpreise von heute wären um 17 bis 20 Cent noch höher, wenn es nicht den stabilen Euro gäbe, der im Verhältnis zum Dollar so viel zugewonnen hat.
Scholl: So macht der ehemalige Bundesfinanzminister noch allen Skeptikern im Nachhinein Mut. Eine letzte Frage, Herr Waigel. Wird der Euro irgendwann den Dollar als Weltleitwährung ablösen?
Waigel: Das ist nicht einmal wünschenswert. Wichtig ist, er hat sein Potenzial gewonnen. Er ist die zweite große Weltreservewährung, fast 30 Prozent der Weltreserven, Währungsreserven lagern heute schon, sind heute schon in Euro denominiert. Wir brauchen den Dollar. Es ist gut, wenn zwei große Weltreservewährungen da sind. Und das Tollste ist, in Asien, in Afrika, bei den Golfstaaten, in Mittel- und Südamerika bemüht man sich im Moment, Ähnliches zustande zu bringen, was den Europäern gelungen ist.
Scholl: 1948, 1990, 2002 – drei Währungsreformen. Theo Waigel war stets mit dabei. Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Alles Gute!
Waigel: Danke schön!
Das gesamte Gespräch mit Theo Waigel können Sie bis zum 20. November 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio