"Die deutschen Bastarde"

Von Rebecca Partouche |
Man nannte sie "bastards allemands", die deutschen Bastarde. Ihre Mütter sind Französinnen, ihre Väter deutsche Soldaten, Angehörige der Wehrmacht. Nach der Befreiung wurden ihre Mütter als "Nazihuren" beschimpft, kahl geschoren und viele ins Gefängnis gesteckt. Die Kinder wiederum wurden von ihren französischen Familien geächtet und oft jahrelang versteckt. Heute nun findet in den Räumen des Landesarchivs Berlin die erste internationale Konferenz zum Thema "Kinder des Krieges" statt. Rebecca Partouche hat sich im Vorfeld mit einigen Teilnehmern getroffen.
Es ist noch nicht so lange her, dass sie in ihren Heimatdörfern beschimpft und geächtet wurden. Während die Nation ihre Existenz mit eisigem Schweigen belegt hatte. Erst Mitte der 90er Jahre begann ihr gepeinigtes Dasein allmählich ins Bewusstsein der französischen Öffentlichkeit zu dringen. Es war eine Sendung des Fernsehsenders TF1, die 1995 den Bann brach und sie dazu ermutigte, ihr Schweigen aufzugeben. Bis dahin hatte es keines der rund 200.000 in Frankreich geborenen Kinder deutscher Soldaten je gewagt, seine Herkunft zu verraten. So verheimlichte auch Daniel Rouxel jahrzehntelang seinen deutschen Vater. Und das, obwohl das Gerücht seiner Abstammung ihm lange vor seiner Geburt vorausgeeilt war. Das Verhältnis seiner Mutter zu dem adretten Offizier der deutschen Kriegsmarine war den bretonischen Nachbarn nicht verborgen geblieben. Am allerwenigsten der eigenen Großmutter, die ihn die Schande ihrer Tochter teuer bezahlen ließ:

Daniel Rouxel: " Ich habe mich geschämt, geschämt und immer wieder geschämt.... Meine Mutter hatte mich zwar in Paris zur Welt gebracht, außerhalb des Dorfes. Aber die Menschen wussten nun mal Bescheid. Ich war der Bastard, der Hurensohn, der Parasit. Für die Kinder des Dorfes, die das nachplapperten, was sie von ihren Eltern zu Hause gehört hatten. Aber auch für die Erwachsenen - wie zum Beispiel für den Lehrer. Der hat mich, glaube ich, kein einziges Mal mit meinem Namen angesprochen. Immer nur mit Bastard. Der war besonders sadistisch - wie auch meine eigene Großmutter. Die hat mich richtiggehend gehasst. Für sie war ich ein lebender Schandfleck. Ich glaube, sie rächte sich an mir für den Tod ihres Mannes, der im ersten Weltkrieg an den Folgen des Giftgases gestorben war. "

Verspottet und gedemütigt wurde der heute 60-Jährige nicht nur von Kindern und Verwandten. Auch die Vertreter französischer Institutionen verpassten keine Gelegenheit, ihre Ressentiments an ihm auszuleben. Denn obwohl die französische Republik offiziell ihre Kinder alle gleich lieb hat und behandelt - verhielt man sich in Wahrheit nur wenig anders als in Norwegen. Der französische Staat ging zwar nicht so weit, die unerwünschten Kinder deutscher Besatzungssoldaten nach Australien abzuschieben- wie es die norwegische Regierung nach Kriegsende versuchte. Aber unter der Hand und etwas subtiler vielleicht wurden auch in Frankreich die Kinder von staatlichen Institutionen ausgegrenzt und benachteiligt - oder genauer: von deren Vertretern:

Rouxel: " In der Bretagne gingen die Menschen sonntags immer in die Kirche. Und danach hielt der Bürgermeister für gewöhnlich eine kleine Ansprache, in der er die versammelten Dorfbewohner über die neuesten Nachrichten im Dorf informierte. Und ich weiß noch sehr genau, wie er mich eines Tages zu sich aufs Podest rief und dann der Menge die Frage stellte: Kennen Sie den Unterschied zwischen dem Bastard eines Deutschen und einer Nachtigall? Wenn eine Nachtigall ihre Kinder in Frankreich bekommt, nimmt sie sie mit, wenn sie weiterzieht. Während ein Deutscher sie in Frankreich zurücklässt. "

Solche Sündenbock-Geschichten gibt es zuhauf. Sie haben tiefe Spuren in den Kinderseelen hinterlassen. Wie so viele Betroffene hat auch Daniel Rouxel versucht, sich das Leben zu nehmen. Fabrice Virgili, Historiker am französischen Forschungsinstitut für Gegenwartsgeschichte:

Virgili: "Es wurde damals oft gesagt, dass die Haare der kahl geschorenen Frauen nachwachsen werden. Natürlich wachsen sie nach, aber die Schande bleibt. Und mehr noch, sie wird forttradiert. Wie ein Fluch wurde sie auf die Kinder übertragen, ja fast vererbt. An den Kindern hat sich das Schicksal der Mütter regelrecht fortgesetzt. Man hat lange so getan, als würden sie nicht dazu gehören. Man hat sie komplett ignoriert. Sehen Sie sich die Fotos aus der Zeit an. Auf allen ist immer nur die geschorene Frau zu sehen. Niemals das Kind. Die einzige Ausnahme ist das berühmte Foto von Robert Capa, mit der Kahlgeschorenen und ihrem Baby auf dem Arm. Aber das entsprach nicht der Realität. Das ist Kunst. Das Bild sieht aus wie eine Pieta, wie ein Madonnenbild. Er hat die Frau und das Baby als Opfer dargestellt. Aber für die Menschen aus der Zeit, waren es Täter. Obwohl dieses Bild heute so emblematisch geworden ist, verfälscht es den Blick auf die damalige Realität. "

Das stimmt. Nirgends sonst ist ein vergleichbares Bild zu finden. Dafür gibt es gute Gründe, meint Jean-Paul Picaper, früherer Deutschlandkorrespondent der Tageszeitung "Le Figaro" und Autor des Buches "Die Kinder der Schande":

Picaper: " Man wollte lange nicht über ein Thema reden, für das Frankreich sich schämt. Man hat daraus ein Tabu gemacht. Die Geschichte der Besatzung erzählt die Geschichte einer Niederlage, und Frankreich gesteht ungern seine Niederlagen ein. Frankreich ist ein historisches und glorreiches Land, das immer nur Schlachten gewonnen und Helden hervorgebracht hat. (...) Man hat daher immer gern vom Heroismus der Résistance gesprochen - obwohl die Widerstandskämpfer höchstens zwei bis drei Prozent der französischen Bevölkerung ausgemacht haben (...) - und das übrigens auch erst nach dem Einfall der Deutschen in der Sowjetunion 1941. Der Rest der Bevölkerung - also 97 Prozent - war passiv und wartete ab. (...) Und dann gab es natürlich auch die Unterstützer der Deutschen. Die waren antikommunistisch und hielten Hitler für ein Bollwerk gegen den Bolschewismus. (...) Das hat Hitler gewusst. Die deutsche Propaganda war folgerichtig auch ganz gezielt gegen Bolschewismus gerichtet."

Immerhin 40.000 Franzosen engagierten sich während des Krieges in der so genannte LVF - der freiwilligen Legion gegen den Bolschewismus. Später wurden sie der SS angegliedert und hießen dann Division SS Charlemagne. Und die zeigte ganz besonderen Eifer:

Picaper: " Über die Division Charlemagne hat der Historiker Jean Mabire ein Buch geschrieben, aus dem hervorgeht, dass die Soldaten dieser Division, Franzosen also, zu den letzten gehörten, die den Bunker von Hitler am Potsdamer Platz in Berlin verteidigt haben. Das waren die letzten Soldaten, die gefallen sind gegen die Russen."

Darüber und über viele andere schmutzige Geschichten hat man in Frankreich lange den Mantel des Schweigens gelegt. Statt sich mit der Rolle der Vichy-Regierung zu beschäftigen, hat man lieber den von Amors Pfeil getroffenen Frauen die Schuld an der Kollaboration zugeschoben und ihre Kinder für gesellschaftlich tot erklärt. Erst seit 1998, als der prominente Vichy-Funktionär Maurice Papon für seine Beteiligung an den Judendeportationen verurteilt wurde, beginnt das ganze Ausmaß der Staatkollaboration ans Tageslicht zu dringen. - Aber was haben die alt gewordenen Besatzungskinder davon? Zumindest ist ihr Schicksal endlich auf der Tagesordnung. Es werden Bücher über ihr Schicksal geschrieben und das Fernsehen zeigt Portraits über sie. Und auch wenn von einer Rehabilitierung oder gar Entschädigung noch lange nicht die Rede sein kann, so ist die Berichterstattung, die vielen von Ihnen die Kraft gegeben hat, eigene Recherchen nach ihrer deutschen Herkunftsfamilie anzustellen und dadurch ein Stück geraubter Identität zurück zu gewinnen.