"Die deutsche Politik ist ein bisschen biederer"

Pascale Hugues im Gespräch mit Katrin Heise · 18.09.2013
Weil es zwischen Union und SPD keine ideologische Kluft gebe, sei der Wahlkampf nicht besonders interessant, sagt Pascale Hugues, sondern sogar "extrem langweilig": Man wisse ohnehin, wer die nächste Kanzlerin sein werde, erklärt die französische Autorin.
Katrin Heise: An den von so vielen Medien als den langweiligsten Wahlkampf ist seit der Bayernwahl ja doch ein bisschen Pfeffer gestreut worden. Seitdem bekriegen sich die Bundeskoalitionäre FDP und CDU um die Zweitstimmen, Rot-Grün kann trotzdem nicht optimistischer auf den Sonntag schauen, nicht zuletzt, weil sich die Grünen gerade ziemlich mit sich selber abplagen - diese Rolle hatte ja bisher eher die SPD übernommen. Im Radiofeuilleton werfen wir jetzt aber mal einen Blick von außen auf den bundesdeutschen Wahlkampf, zusammen mit der französischen Journalistin und Autorin Pascale Hugues.

Bevor ich jetzt an dieser Stelle wiederhole, wie der momentane Wahlkampf von deutscher Seite aus gesehen wird, frag ich das lieber die französische Journalistin und Autorin Pascale Hugues. Guten Morgen, Frau Hugues!

Pascale Hugues: Guten Morgen!

Heise: Was haben Sie denn bisher für einen Wahlkampf hier beobachtet, was ist Ihnen da aufgefallen in den letzten Wochen?

Hugues: Also ich muss wie alle anderen sagen, es war extrem langweilig, weil es überhaupt keine Spannung gibt. Man weiß, wer gewinnen wird, wer die nächste Kanzlerin sein wird. Dem Land geht es wirtschaftlich gut oder mindestens viel besser als allen anderen Nachbarn, also von Griechenland bis Frankreich und Italien. Warum soll man hier was Großes ändern? Und die Deutschen wählen immer sehr stark für die Wirtschaft, also das ist das Hauptmotto jeder Kampagne. Also sehr flach. Aber warum nicht? Besser, als wenn das Land in eine Katastrophe runter geht und Chaos herrscht.

Heise: Das heißt, Sie hatten es auch aus der Situation heraus gar nicht erwartet, dass da richtig so aufeinander eingeschlagen wird?

Hugues: Nein. Und das andere ist, dass die – wenn man diese Wahlprogramme vergleicht, das ist das Gleiche bei uns in Frankreich noch ein bisschen – also die Kluft zwischen den Parteiprogrammen, die ideologische Kluft ist nicht mehr so groß. Das ist in fast allen europäischen Ländern, aber in Deutschland ist es sehr, sehr stark. Also, die SPD ist eine linksliberale Partei, im Vergleich zum Parti Socialiste in Frankreich, der noch sehr kämpferisch ist und auf Opposition und auf Konflikt setzt. Also, es sind so Details, und deswegen ist es sehr schwer, sich zu kloppen, wenn man keine Unterschiede hat.

Heise: Unterschiede sind sicherlich vorhanden, aber alle kämpfen um die Mitte, das ist sicherlich sehr auffällig. Wenn wir uns die Inhalte mal anschauen, die in den Sachen ja dann doch unterschiedliche Parteimeinungen äußern, zum Beispiel zum Spitzensteuersatz, zum Betreuungsgeld, zum Mindestlohn. Das sind aus europäischer Sicht allerdings nicht besonders interessante Dinge. Was war für Europa wichtig im Wahlkampf zu vernehmen?

Hugues: Also nicht interessant, weil wir das schon haben. Also in Frankreich gibt es einen Mindestlohn seit sehr Langem. Und das ist für uns unvorstellbar, dass in diesem Land, und das ist auch einer der – dass es in Deutschland keinen Mindestlohn, keinen flächendeckenden Mindestlohn gibt. Und das ist einer der größten Kritikpunkte der französischen Sozialisten an Deutschland und an der SPD. Dass man es nicht geschafft hat, diesen Mindestlohn zu – und dass viele Leute mit sehr wenig Lohn auskommen und mit sehr prekären Arbeitsbedingungen. Kindergeld, das Gleiche. Das haben wir also, Kindergeld, Kinderbetreuung, das haben wir seit Ewigkeiten in Frankreich. Also das sind Themen, die für uns schon gegessen sind, und seit Langem.

Heise: Da wundert sich also ein französischer Beobachter, dass man sich darüber überhaupt noch unterhalten muss. Hatten Sie, Frau Hugues, mehr zur Eurokrise beispielsweise erwartet im Wahlkampf. Ich meine, es hat sich nun eine Partei gegründet, die den Euro abschaffen will. Hätte man ja Kampf erwarten können.

""Keine große antieuropäische Welle""
Hugues: Ja, aber der Konsens in Deutschland ist enorm. Also viele meckern, viele haben Ängste, das haben alle anderen Europäer auch. Aber ich glaube nicht, dass man in diesem – also ich bin sicher, dass es in diesem Land keine große antieuropäische Welle gibt. Die Deutschen sind immer noch in ihrer überwiegenden Mehrheit pro Europa und pro Euro. Also das sind so mehr Witzparteien, die den Euro abschaffen wollen. Die Deutschen wissen genau, dass wir alle in einem Boot sitzen, und dass Deutschland auch sehr profitiert hat von Europa.

Heise: Was war für Sie aus französischer Sicht das Wichtigste im Wahlkampf. Also auf was wartet Frankreich vielleicht, auf was schaut Frankreich besonders?

Hugues: Also wir schauen auf die deutsch-französischen Beziehungen, die in den letzten Monaten nicht so toll waren. Also es ist immer so, wenn ein neues Paar sich bildet zwischen Frankreich und Deutschland. Also wir haben einen neuen Präsidenten in Frankreich, der Sozialist ist, der vor dem Wahlkampf gesagt hat, so geht das nicht weiter mit diesem – in Anführungsstrichen – "Neoliberalismus" von Frau Merkel. Wir wollen mehr Begleitreformen. Wir können nicht die Länder, die Schwierigkeiten haben, ins kalte Wasser stürzen. Und da erwartet man jetzt, dass beide im Amt sind und beide wirklich im Sattel sind, dass sie wirklich kooperieren und einen neuen Impuls in Europa bringen.

Heise: Der deutsche Wahlkampf aus französischer Sicht. Im Radiofeuilleton hören Sie dazu die Journalistin Pascale Hugues. Frau Hugues, auffällig aus deutscher Sicht ist ja beispielsweise beim CDU-Wahlkampf, dass die Partei fast hinter der Kanzlerin verschwindet, also diese Personalisierung. Aus französischer Sicht, durch den Präsidentschaftswahlkampf geprägt, ist das eher normal, oder?

Hugues: Ja, weil der Präsident in Frankreich eine sehr große Macht hat. Der muss für viele Entscheidungen das Parlament nicht fragen. Er braucht keine Abstimmung des Parlaments. In Deutschland ist es anders, aber diese Personalisierung, das ist ein Trend auch überall in Europa und in der Welt. Also es ist irgendwie auch – ja, es ist auch lächerlich, dass das neue Collier, die Kette von Frau Merkel so eine Riesenrolle gespielt hat. Oder dass sich hier alle jetzt aufregen über den Stinkefinger von Herrn Steinbrück. Und die Porträts, die sind fast alle – also die Porträts, die man in der Presse liest, die sind so alle sehr psychologisierend, sehr intim, sehr auf die Person getrimmte Porträts und nicht so politische Analysen. Aber das ist ein Trend, "la peoplelisation", sagt man in Frankreich, der Politik.

Heise: Die Sie dort auch beobachten. Also man würde so eine Kette, so eine Handhaltung, sei es Raute oder Stinkefinger genau so häufig kommentieren im Wahlkampf?

Hugues: In Frankreich? Ja, natürlich, ja, sehr! Also gucken Sie den letzten Wahlkampf an. Es ging um Carla Bruni, es ging – also, der letzte – also, es geht in Frankreich zum Beispiel sehr um die Frauen. Also Carla Bruni war natürlich die Ikone, die Gattin per se. Aber dann gab es die Eifersüchteleien zwischen den beiden, die Ex-Frau und die jetzige Frau von François Hollande Hollande. Es ist genau das Gleiche, aber vielleicht anders – also es ist nicht die Kette, aber die Affären und das Liebesleben.

Heise: Es ist eigentlich noch persönlicher, weil das haben wir ja in Deutschland nicht. Also, die Ehepartner werden ...

Hugues: Nein, das ist nicht Standard hier, weil Sie nicht so ein stürmisches Liebesleben haben – oder die Politiker haben nicht so stürmische Liebesleben. Also man muss schon die französischen Politiker toppen da – zwischen Dominique Strauss-Kahn und Carla Bruni, also ...

Heise: Fehlt Ihnen das hier manchmal so ein bisschen, dieses Salz an der Suppe?

""In Frankreich hat fast jeder Politiker eine ganz böse Affäre""
Hugues: Ja. Also, es nicht so lustig hier, es ist wirklich nicht so lustig. Es ist auch rhetorisch nicht so brillant, es ist – die Deutschen sind, entschuldigen Sie, das ist ein bisschen hart, aber die sind ein bisschen, die deutsche Politik ist ein bisschen biederer. Dafür ist sie auch sympathisch, weil sie ist viel ehrlicher. Sie haben nicht diese Riesenaffären. Also in Frankreich hat fast jeder Politiker eine ganz böse Affäre. Ich meine, Geldaffäre oder wirklich an der Grenze der Legalität. Das haben Sie hier nicht. Dafür glänzt es nicht so.

Heise: Kann man sich in Frankreich ein Wahlkampfthema wie den Veggie Day vorstellen?

Hugues: Nee. Gott sei Dank, nein! Da ist das Essen und das gute Essen noch – nein, nein, nein, das nicht! Aber wir haben andere, andere Punkte, die für die Deutschen lächerlich aussehen.

Heise: Wie schaffen es französische Parteien oder schaffen es französische Parteien Ihrer Meinung nach, trotz dieser Personalisierung, die Sie auch eben so in den Vordergrund gestellt haben, Inhalte zu transportieren, sich über Inhalte zu streiten? Oder machen die das im Wahlkampf eigentlich auch nicht?

Hugues: Doch. Doch, doch, viel mehr als hier. Also der Wahlkampf und die Politik in Frankreich ist noch viel mehr polarisiert als in Deutschland. Weil die eine – also die Kommunistische Partei hat sehr an Kraft verloren in den letzten Jahren. Also es gibt auch einen Riesenruck in der Mitte. Aber die Parti Socialiste ist noch kämpferisch, und es gibt diese ganzen linken Splitterparteien, die dann sehr radikal sind und die auch eine große Rolle spielen. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber als es – im zweiten Wahlgang gab es ein Tête-à-tête, also ein Rennen zwischen Jean-Marie Le Pen und Jacques Chirac. Und schuld daran oder verantwortlich dafür waren diese ganzen kleinen linken Splitterparteien, die die linke Wahl so geteilt hatten. Also viele haben für diese kleinen und nicht für die Sozialistische Partei gestimmt. Und das haben Sie hier nicht, es ist so diese Bastion von den drei oder vier oder fünf großen Parteien, aber keine vielen kleinen. Und es ist hier weniger ideologisiert als in Frankreich, und weniger Polemik und Streit.

Heise: Wenn Sie jetzt schauen auf die vielen Wahlkämpfe, die Sie auch schon beobachtet haben, seit 1989 sind Sie in Deutschland – fällt dieser da irgendwie raus?

"Man weiß, wer gewinnen wird"
Hugues: Ja, weil man weiß, wer gewinnen wird. Also, das hatte man auch mit Kohl, er war auch 16 Jahre im Amt. Und es ist – in Frankreich darf ein Präsident nach fünf Jahren nicht mal wieder gewählt – also er darf, aber es gibt so eine Grenze. Man darf nicht so in die Ewigkeit gewählt werden. In Deutschland ist es schon merkwürdig, dass Kohl 16 Jahre, Frau Merkel jetzt 12 Jahre ...

Heise: Noch ist sie nicht gewählt, aber Sie rechnen damit.

Hugues: Ja, also ich sag das – ich hoffe, ich täusche mich nicht, sonst hab ich wirklich am Montag ein Problem.

Heise: Dann rufen wir Sie wieder an!

Hugues: Aber es ist schon sehr – also, dass die Deutschen sehr, sehr auf Kontinuität – haben Angst, es ist zu viel Rütteln und Schütteln. Und immer kommt die Weimarer Republik, Weimarer Verhältnisse, was natürlich überhaupt nicht der Fall ist. Aber man hat hier – also, ich finde, dass die Deutschen da sehr ängstlich sind und sehr auf Kontinuität und Sicherheit tippen, auch wenn sie wählen.

Heise: Der deutsche Wahlkampf aus französischer Sicht. Im Radiofeuilleton hörten Sie dazu die Journalistin und Schriftstellerin Pascale Hugues. Ich danke Ihnen ganz herzlich, Frau Hugues, und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!

Hugues: Merci, danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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