Die deutsche Geisteselite
Schon im Alten Rom haben die Philosophen, Denker und intellektuellen Meinungsführer wissen wollen, wer der Bedeutendste unter ihnen ist, wer den größten Einfluss hat. Platon soll von der berühmten Liste der sieben Weisen einen gestrichen haben und ihn durch einen ersetzt haben, der ihm genehm war.
Wer aber hat den größten geistigen Einfluss auf die Deutschen von heute? Wen zitieren Leitmedien wie der Spiegel oder die Tagesthemen am häufigsten? Wer wird gefragt, wenn es gilt, wichtige öffentliche Fragen einzuordnen, wie etwa die Mohammed-Karikaturen oder die Folgen der Globalisierung?
Als ich die Liste der wichtigsten 500 Intellektuellen Deutschlands im April-Heft der Zeitschrift "Cicero" vorstellte, war die Resonanz gewaltig. Die Liste war Tagesgespräch in den Redaktionen und intellektuellen Debattierzirkeln der Republik.
Neben Selbstbespiegelungsartikeln wie "Ich bin Nummer 157" von Michael Jürgs oder "Diese Woche habe ich meine Nummer 242 bekommen", von Eckhart Fuhr, dem Feuilleton-Chef der Welt, löste die Liste der 500 wichtigsten Intellektuellen eine breite Debatte über die Rolle der Denker im Staat aus. Man wundert sich über die Dominanz der Kulturschaffenden, die den geistigen Haushalt der Nation bestimmen, wie es bereits in den ersten zehn Plätzen des Rankings deutlich wird: Nummer 1 ist Günter Grass, Nummer 2 Harald Schmidt, Nummer 3 Marcel Reich-Ranicki, gefolgt von Martin Walser, Peter Handke, Jürgen Habermas, Wolf Biermann, Elfriede Jelinek, Alice Schwarzer und Botho Strauß.
Das Ranking wertet in elektronischen Suchmaschinen wie Google und Munzinger-Archiv sowie in den Pressedatenbanken von 83 führenden Printmedien aus, wie oft ein Intellektueller in der Presse zitiert wurde, wie stark seine Präsenz im Internet ist und hinter den Kulissen im Networking.
Überraschend dabei war nicht, wer da an der Spitze stand: Man kennt sie schließlich alle, die Grass, Enzensberger und Peymann. Überraschend war, dass die Liste nun erstmals für immerhin 500 intellektuelle Wortführer offen legte, wer die Höhen der geistigen Landschaft besetzt hält. – Und wer in die Niederungen verbannt ist, wer in der Öffentlichkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt:
"Ökonomen, Juristen, Mediziner und Naturwissenschaftler zählen nicht zu den dominanten Persönlichkeiten" im Meinungsspektrum, analysierte ein Wirtschaftsmagazin und fragte: Woran liegt das? Warum schaffen es gerade mal sechs Ökonomen und nur zwei Naturwissenschaftler unter die Top 100? Die gesellschaftliche Reflexion über Leben und Tod, über Gut und Böse, Arm und Reich findet weitgehend unter Ausschluss jener statt, die in ihren Labors Innovationen entwickeln, oder als Ökonomen Profundes über Arbeitslosigkeit oder Globalisierung zu sagen haben.
Dass sie so selten zu Wort kommen, daran sind die Wirtschaftsführer, Mediziner und Wissenschaftler nicht ganz schuldlos. Klare Argumente, schnelle Reaktionen, das ist von deutschen Wissenschaftlern insgesamt selten zu haben. "Gegen die griffigen Parolen der anderen Meinungsführer haben die meisten Ökonomen keine Chance", schreibt ein Wirtschaftsmagazin.
Sie brauchen sich deshalb nicht zu wundern, dass das Niveau der wirtschaftspolitischen Debatten erschreckend niedrig ist. "Ein Land, in dem Nicht-Ökonomen wie Lafontaine und Geißler die Bestseller über ökonomische Probleme schreiben, ist krank, empört sich der Münsteraner Ordinarius für Volkswirtschaft Ulrich van Suntum, auf der 500er Intellektuellen Liste immerhin auf Platz 465. Vielleicht ist die Ökonomenzunft jetzt aufgewacht. Denn es fällt auf, dass die wenigen Vertreter der Wirtschaft, die es auf die vorderen Plätze geschafft haben, bei allen Unterschieden eines gemeinsam haben: Sie sind exzellente Redner und gute Selbstdarsteller.
Ratlos fällt allerdings die Reaktion aus auf den wichtigsten Befund des Intellektuellen Rankings: Dass auf dem Gipfel alte Männer aus dem Kulturbetrieb sitzen. Das Durchschnittsalter der Top 100 beträgt 66 Jahre, nur neun Frauen sind unter den ersten 100 vertreten. Warum nimmt man das so achselzuckend hin? Ist ein Durchschnittsalter von 66 Jahren nicht ein Ausweis geistiger Erstarrung? Deutschland braucht nicht nur eine Debatte über die Verkrustungen in der Politik und über Reformen in der Wirtschaft, sondern auch eine Debatte über die Erneuerungskraft seiner Intellektuellen.
Max A. Höfer, Publizist, geboren 1959 in Stuttgart, studierter Volkswirt und Politologe, war Assistent des berühmten Publizisten Johannes Gross, leitete zehn Jahre das Politikressort von Capital, später war er Sprecher des Deutschen Instituts für Gesundheitsökonomie in Berlin. Seit April ist er Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. 2005 erschien Höfers Buch "Denker, Meinungsführer, Visionäre - wer sie sind, was sie denken, wie sie wirken" im Eichborn Verlag.
Als ich die Liste der wichtigsten 500 Intellektuellen Deutschlands im April-Heft der Zeitschrift "Cicero" vorstellte, war die Resonanz gewaltig. Die Liste war Tagesgespräch in den Redaktionen und intellektuellen Debattierzirkeln der Republik.
Neben Selbstbespiegelungsartikeln wie "Ich bin Nummer 157" von Michael Jürgs oder "Diese Woche habe ich meine Nummer 242 bekommen", von Eckhart Fuhr, dem Feuilleton-Chef der Welt, löste die Liste der 500 wichtigsten Intellektuellen eine breite Debatte über die Rolle der Denker im Staat aus. Man wundert sich über die Dominanz der Kulturschaffenden, die den geistigen Haushalt der Nation bestimmen, wie es bereits in den ersten zehn Plätzen des Rankings deutlich wird: Nummer 1 ist Günter Grass, Nummer 2 Harald Schmidt, Nummer 3 Marcel Reich-Ranicki, gefolgt von Martin Walser, Peter Handke, Jürgen Habermas, Wolf Biermann, Elfriede Jelinek, Alice Schwarzer und Botho Strauß.
Das Ranking wertet in elektronischen Suchmaschinen wie Google und Munzinger-Archiv sowie in den Pressedatenbanken von 83 führenden Printmedien aus, wie oft ein Intellektueller in der Presse zitiert wurde, wie stark seine Präsenz im Internet ist und hinter den Kulissen im Networking.
Überraschend dabei war nicht, wer da an der Spitze stand: Man kennt sie schließlich alle, die Grass, Enzensberger und Peymann. Überraschend war, dass die Liste nun erstmals für immerhin 500 intellektuelle Wortführer offen legte, wer die Höhen der geistigen Landschaft besetzt hält. – Und wer in die Niederungen verbannt ist, wer in der Öffentlichkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt:
"Ökonomen, Juristen, Mediziner und Naturwissenschaftler zählen nicht zu den dominanten Persönlichkeiten" im Meinungsspektrum, analysierte ein Wirtschaftsmagazin und fragte: Woran liegt das? Warum schaffen es gerade mal sechs Ökonomen und nur zwei Naturwissenschaftler unter die Top 100? Die gesellschaftliche Reflexion über Leben und Tod, über Gut und Böse, Arm und Reich findet weitgehend unter Ausschluss jener statt, die in ihren Labors Innovationen entwickeln, oder als Ökonomen Profundes über Arbeitslosigkeit oder Globalisierung zu sagen haben.
Dass sie so selten zu Wort kommen, daran sind die Wirtschaftsführer, Mediziner und Wissenschaftler nicht ganz schuldlos. Klare Argumente, schnelle Reaktionen, das ist von deutschen Wissenschaftlern insgesamt selten zu haben. "Gegen die griffigen Parolen der anderen Meinungsführer haben die meisten Ökonomen keine Chance", schreibt ein Wirtschaftsmagazin.
Sie brauchen sich deshalb nicht zu wundern, dass das Niveau der wirtschaftspolitischen Debatten erschreckend niedrig ist. "Ein Land, in dem Nicht-Ökonomen wie Lafontaine und Geißler die Bestseller über ökonomische Probleme schreiben, ist krank, empört sich der Münsteraner Ordinarius für Volkswirtschaft Ulrich van Suntum, auf der 500er Intellektuellen Liste immerhin auf Platz 465. Vielleicht ist die Ökonomenzunft jetzt aufgewacht. Denn es fällt auf, dass die wenigen Vertreter der Wirtschaft, die es auf die vorderen Plätze geschafft haben, bei allen Unterschieden eines gemeinsam haben: Sie sind exzellente Redner und gute Selbstdarsteller.
Ratlos fällt allerdings die Reaktion aus auf den wichtigsten Befund des Intellektuellen Rankings: Dass auf dem Gipfel alte Männer aus dem Kulturbetrieb sitzen. Das Durchschnittsalter der Top 100 beträgt 66 Jahre, nur neun Frauen sind unter den ersten 100 vertreten. Warum nimmt man das so achselzuckend hin? Ist ein Durchschnittsalter von 66 Jahren nicht ein Ausweis geistiger Erstarrung? Deutschland braucht nicht nur eine Debatte über die Verkrustungen in der Politik und über Reformen in der Wirtschaft, sondern auch eine Debatte über die Erneuerungskraft seiner Intellektuellen.
Max A. Höfer, Publizist, geboren 1959 in Stuttgart, studierter Volkswirt und Politologe, war Assistent des berühmten Publizisten Johannes Gross, leitete zehn Jahre das Politikressort von Capital, später war er Sprecher des Deutschen Instituts für Gesundheitsökonomie in Berlin. Seit April ist er Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. 2005 erschien Höfers Buch "Denker, Meinungsführer, Visionäre - wer sie sind, was sie denken, wie sie wirken" im Eichborn Verlag.