Die denkende Blume

Pflanzenneurobiologie heißt ein junges Forschungsgebiet, das sich mit dem Wahrnehmungs- und Kommunikationsvermögen unserer grünen Mitwelt beschäftigt. Joseph Scheppach hat in seinem Buch "Das geheime Bewusstsein der Pflanzen" Erkenntnisse dieses Wissenschaftszweigs zusammengefasst. Der Autor zeigt, dass Pflanzen mehr sind als reine "Bioroboter".
Können Pflanzen sprechen, sehen, hören, riechen? Mit dieser Frage befasst sich die junge Forschungsrichtung der Pflanzenneurobiologie. In seinem Buch "Das geheime Bewusstsein der Pflanzen – Botschaften aus einer unbekannten Welt", erschienen im Droemer Verlag, erkundet der Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Joseph Scheppach in 15 Kapiteln erstaunliche Pflanzen-Begabungen - von mathematischen Leistungen über Kommunikationsfähigkeiten, die Geheimnisse des Wurzelwachstum bis hin zu Gedächtnisphänomenen und der Frage der Intelligenz von Pflanzenzellen. Im Mittelteil gibt es wenige Farbfotos - ansonsten lebt das Buch vom lebendigen Stil des Autors und den vielen spannenden Beispielen, die er in Literatur und Forschungslaboren ausfindig gemacht hat.

Feldforschungen haben gezeigt, dass Pflanzen auf Musik mit vermehrtem Wachstum reagieren. Vorreiter auf dem Gebiet ist ein florentinischer Forscher, der einen Weinberg mit leisen iPod-Klängen berieselt. Das Ergebnis: Mit klassischer Musik wächst Wein kräftiger und seine Trauben werden süßer. Inzwischen haben asiatische Wissenschaftler bereits schallsensitive Genschalter gefunden.

Dass Pflanzen sogar in die Zukunft blicken können, zeigen Tomaten: Sie spüren atmosphärische Tiefs drei Tage im Voraus und verstärken ihre Außenhaut. Womöglich besitzen Pflanzen sogar eine Art Schmerzempfinden – zumindest produzieren etliche Arten bei Verletzungen eine altbekannte Substanz, die sie durch ihre Zellen strömen lassen: Aspirin.

Bäume, Sträucher, Wiesenblumen besitzen offenkundig kein Gehirn. Die Pflanze als Ganzes lasse sich jedoch durchaus als intelligenter Organismus beschreiben, erklärt der Autor: Dabei koordiniert die Struktur des gesamten Systems das Verhalten der einzelnen Teile. So "weiß" der ganze Baum, wie groß er ist oder wo sich Sonnenlicht befindet.

Bis zu 70 Millionen Tonnen Ethylen bläst das Grünzeug dieser Erde jährlich in die Atmosphäre. Das Pflanzenhormon dient der Duftkommunikation – es ist die "Sprache" der Pflanzen, sagt Joseph Scheppach. Gesprächsthema Nummer eins: der Angriff von Fraßfeinden. Artgenossen reagieren, indem sie bittere Substanzen oder Gifte in ihren Blättern anreichern. Tabak produziert bei einem Insektenangriff in kürzester Zeit so viel Nikotin, dass sich in einem einzigen Gramm Blattmasse der Nikotingehalt von 100 starken, filterlosen Zigaretten wiederfindet – eine tödliche Menge.

Trotz gelegentlicher Aggressivität: Die vorherrschende Lebensweise der Botanik ist symbiotisch. 95 Prozent aller Landpflanzen leben in Gemeinschaften, vor allem mit Pilzen. Nicht nur Rivalität, sondern auch Kooperation gehöre zu den Wirkweisen der Evolution, unterstreicht Joseph Scheppach.

Nicht alle Biologen werden seinen Ausführungen applaudieren, das gibt der Autor freimütig zu. Die orthodoxe Biologie betrachtet Pflanzen noch immer als biologische Apparate und hält die Interpretationen der Pflanzenneurobiologie für übertrieben. Die Forschungsergebnisse jedoch sprechen für sich - sie im Überblick spannend zu präsentieren, ist das Verdienst dieses Buches.

Rezensiert von Susanne Billig

Joseph Scheppach: Das geheime Bewusstsein der Pflanzen. Botschaften aus einer unbekannten Welt
Droemer Verlag 2009
288 Seiten, 19,95 Euro