Die Dekorierung des Bienenstichs

Von Sabine Fringes · 25.02.2013
Autor und Moderator Erwin Grosche lebt in der nordrhein-westfälischen Stadt und setzt sich mit dem Alltäglichen und Nicht-alltäglichen auseinander. Dem Paderborner Ein-Strahl-Regen, oder der Oberflächendekorierung des Bienenstiches im Domcafé.
Ausschnitt aus "Grosches Welt"

Aufziehen einer Spieluhr. Spieluhr spielt.

"Grosches Welt. Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt.
Hallo Freunde für eine bessere Welt, hier ist Erwin Grosche und
dabei habe ich ein Phänomen. Das Besondere wird sein: Es wird ein Phänomen bleiben.
Was ihr mir glauben müsst: Hier ist nichts präpariert, lange vorbereitet.

Was ihr nun sehen werdet ist eins zu eins die Wirklichkeit. Doch ich will euch nicht zu lange auf die Folter spannen, ich werde nun das Phänomen öffnen."

Erwin Grosche: "Paderborn - der Name ist schön, zumal er reimt sich auf: Ich hab vor Freude rote Ohren, denn ich komm heute aus Paderborn. Viele überlegen immer, wie man den so ausspricht: Ob Páderborn oder Paderbórn. Werde ich immer gefragt, wie sagt man das denn. Und wenn ich darüber nachdenke, kann ich Paderborn manchmal gar nicht richtig sagen, man sagt es so dahin, Paderborn. Ich komm aus Paderbórn, glaub ich, so sagt man. Das ist so ein Name wie aus dem Kinderbuch, Paderborn. Wie Bullerbü. Deswegen schreibe ich ja, wenn ich Kinderbücher schreibe, dass die Kinder aus Paderborn kommen. Da muss man dann nicht großartig erklären wie die Stadt aussieht, der Klang des Wortes ist schon genau so wie man sich Paderborn vorzustellen hat."

Musik

"Ich bin Paderborner geworden und lebe freiwillig hier. Ich bin als Kind meinem Bruder gefolgt, der hier im Internat war, er wollte Priester werden, ich wurde als kleinerer Bruder immer so hinterher geschickt, er ist Schauspieler geworden, ich auch, so kann eine Erziehung prägen. Früher stand ich auf der Bühne und habe gesagt: Guten Abend mein Name ist Erwin Grosche, ich komme aus Paderborn.

Damit man so gleich wusste, das ist heute so anders, ein anderer Abend, da geht es nicht um große Dinge, sondern um kleine. Und vielleicht ist man auch ein bisschen sonderbar oder erscheint so. Und wenn man sagt, man kommt aus Paderborn, dann wird man auch nicht so mit Sachen behelligt wie: Was halten sie vom Fiskalpakt, das hoff ich immer, sondern dass gesagt wird: Sie kommen aus Paderborn, da haben sie doch dieses leckere Pumpernickelbrot. Und das finde ich immer viel schöner, sich darüber zu unterhalten, als über den Fiskalpakt."

Sprechprobe
Autorin: Moment! - So, jetzt eine kleine Sprechprobe, bitte.
Grosche: Ja, Sprechprobe ist gut. Man muss ja auch wissen was man sagt, zur Sprechprobe.
Autorin: Können Sie noch mal 1,2,3 sagen?
Grosche: Ja, ungern. Also lieber bisschen was anderes. Also.
Autorin: Was denn?
Grosche: Ich sag mal, dass das Fest, das hier gerade ist Herbstlibori heißt und nicht Libori, also es ist Klein-Libori und das Groß-Libori ist das Fest was Paderborn bekannt gemacht hat.

Im Quellkeller

Grosche: "Das wird hier der Quellkeller, jetzt müssen wir eine steile Treppe runter. Geräusch: Treppensteigen...Oh! Hier ist eine andere Temperatur, ne? Wir sind hier unter der Kaiserpfalz, das sind die Ausläufer vom Dom und hier entspringt die Rothobornquelle, die heißt so nach dem Bischof Rotho, der sie gesegnet hat und deswegen wird auch dieser Quelle wunderbare Sachen zugesprochen."

Autorin: ""Darf man da jetzt reinfassen?"
Grosche: "Ja, natürlich, tut gut."
Autorin: "Und was passiert dann?"
Grosche: "Wunderbare Sachen. Auf jeden Fall macht es Spaß, ist kalt ne, ist kalt."

Ausschnitt aus dem Programm
Ich weiß nicht, ob ich unter Wasser leben könnte,
fehlen würden mir die Abende am Kamin.
Meine Briefmarkensammlung wäre plötzlich wertlos
und duschen in Duschkabinen passé.
Obwohl ich bin wasserscheu, vor Weihwasser hab ich eine Heidenangst.

Grosche: "Und das ist eine von sechs Quellarmen der Pader. Die Pader gilt als der kürzeste Fluss Deutschlands. Der hat nur eine Lauffläche von 4 km und geht dann schon in die Lippe und die geht dann in die Alme. Das ist das besondere an Paderborn, diese extremen Unterschiede: Wir haben einerseits das größte Computermuseum der Welt und andererseits den kleinsten Fluss Deutschlands. Und dazwischen kann man sich gut aufhalten."

Ausschnitt aus dem Programm

Ich weiß nicht, ob ich unter Wasser leben könnte
Mir reicht schon der Regen in Paderborn
Obwohl mein Problem mit den feuchten Händeflächen
Das wäre ein für alle Mal gelöst.
Huhuhu.

"Paderborn wurde ja im Kriege zu etwa fast 90 Prozent zerstört, also man hat überlegt, die ganze Stadt an anderer Stelle neu aufzubauen, aber zum Glück waren noch manchmal die Umrisse vom Dom erhalten – und natürlich auch das was Paderborn ausmacht, das sind seine Quellen und die Pader, die auch der Stadt ihren Namen gegeben hat: Paderborn - Paderquelle. Und manchmal muss man halt auch erstmal unter die Erde gehen, wie wir gerade, um dann das Herz der Stadt zu spüren. Und das ist dann zum Beispiel auch diese Quelle hier. Und von diesen Dingen, die man erst so entdecken muss, die dann aber sehr besonders sind, also auch spirituell, davon haben wir ganz viel, also eine große Magie liegt auf dieser Stadt."

Spaziergang im Haxtergrund

""Ich habe als Künstler einen festen Tagesablauf und wenn ich morgens aufstehe, Morgenstund hat Gold im Mund, da fange ich erst mal an einfach zu schreiben, zu machen und zu tun, ohne groß nachzudenken und das ist das Wichtige, dass man gedanklich noch ganz frei ist. Und irgendwann werden die Gedanken schwer und alles wird kompliziert, dann weiß ich, jetzt wird es Zeit, mit meinem Hund spazieren zu gehen.

Paderborn ist vielleicht nicht der ideale Lebensort für jeden, aber wenn man hier lebt, dann finde ich, ist man schon sehr begünstigt, wenn man die richtigen Ecken kennt, weil die scheinen hier so vergessen worden zu sein, also dass man hier gut bauen kann oder hier vielleicht sogar einen Zoo machen könnte oder was weiß ich.

Das ist hier der Haxtergrund, das ist ein Naherholungsgebiet, in der Nähe von Paderborn, gehört aber auch zu Paderborn. Und das ist ein Riesen-Gebiet, das ist sehr bewaldet. Schloss Hamborn ist in der Nähe, das ist wo die Anthroposophen wohnen, sehr viele Bildstöcke steht auf den Wegen, viele Kapellen, wo wir sind, das ist ein Pilgerweg, viele Kinder, die gar nicht wissen, was ein Eichhörnchen ist, sind hier manchmal und manchmal ist man an Stellen, da ist es ganz still und die habe ich am liebsten. Sehr langsam heute der Hund. Ja und hier sind natürlich viele Hundebesitzer und man die trifft manchmal, auch Rehe, die sind vorsichtig oder man kennt sich sogar."

Ausschnitt aus dem Programm
Meiner Meinung nach wird die Wirklichkeit sowiesowieso sehr überschätzt. Also sehr, sehr. Kürzlich habe ich was erlebt, da habe ich noch gedacht: Also das müsste jetzt nicht sein. Also wenigstens nicht in echt. Da lief ich mit Skistöckern ohne Skier den Berg runter, obwohl kein Schnee lag. Also da habe ich gesagt, – das müsste jetzt nicht sein. Schon gar nicht in echt.

"Man kommt nicht an gegen das Klischee, das wir haben, dass wir so konservativ sind, das ist eine Stadt im Wandel. Wir haben ein neues Theater bekommen, für ein paar Millionen, ein neues Viertel hinter dem Rathaus, was so modern ist, dass man denkt, als wäre man in Hamburg oder in Berlin und die Stadt wächst, das ist eine sehr attraktive Stadt, ganz viele junge Familien sind hier.

Es gibt ein ganz großes Vereinsleben in Paderborn, sogar ein Karnevalsverein, es gibt unglaublich viele Feste, die andere Namen haben, sich aber alle sehr gleichen, man sieht sogar die gleichen Karussells manchmal und man trifft sich da so. Und das ist schon in Ordnung und das ist manchmal auch, naja, als müsste man sich benehmen, weil jeder einen kennt, aber das ist ja auch nicht das Schlimmste, ne, wenn man so ein bisschen sich benimmt oder was für den anderen tut, weil man es so mitkriegt wie es ihm geht. Das ist schon in Ordnung."

Ausschnitt aus dem Programm

Und die Geschichte, die ich Ihnen nun erzähle, die stimmt wirklich. Da war ich mal bei dem Stand von Schloss Hamborn, die haben gesundes Brot, gesunden Käse, gesundes Fleisch – und sogar gesundes Gebäck. Im Grunde ein Widerspruch, aber schmeckt. (...) Und danach habe ich mir eine Flasche Mineralwasser geholt, ne, ein bisschen teurer, aber ganz gesund. Und da hat der Mann zu mir gesagt: "Sie wollen das Wasser doch wohl hier trinken?"

Da habe ich gesagt, da bin ich ganz ehrlich: "Wenn die Liebe meines Lebens vorbeikommen würde oder das Glück auf das ich so lange gewartet habe, da würde ich hinterherrennen." Da hat er gesagt: "Alles schön und gut, aber dann muss ich Pfand nehmen." Und da habe ich gesagt: "Das ist meine Heimatstadt. (Applaus)) Das ist meine Heimatstadt, nur nicht vor Glück die Nerven verlieren."

"Ich sage immer der Paderborner gilt ja vom Klischee her so ein bisschen als trocken, als reserviert, sogar humorlos. Vielleicht kommt das einem so vor. Ich finde sehr schön, der Paderborner ist zurückhaltend, und das finde ich eine ganz große Gabe: Er hört erst mal zu, dann reagiert er. Er lacht auch manchmal über etwas was er nicht so lustig findet, er ist sehr höflich. Er hat nicht so dieses laute Lachen, was viele andere Volksgruppen in Deutschland haben.

Also er lacht viel nach innen, aber er weiß, wann man lachen soll, wenn er einen Witz hört oder wenn auf der Bühne ein Comedien ist, aber er macht das auch so ein bisschen, um dem Comedien zu helfen oder ihm einen Gefallen zu tun. Das schöne ist so an Paderborn, dass viele zufrieden sind, es geht vielen sehr gut, nicht allen, aber vielen, und in dieser Zufriedenheit ist auch so eine Gelassenheit gegenüber dem was so als wichtig und aktuell gilt. Sehr langsam der Hund heute. Aber gleich wird’s besser, wenn man zum Café geht, da freut sie sich. Ach da hinten trabt ein Pferd vorbei."

Landgasthof Weyer

Ausschnitt aus dem Kinderprogramm

Der macht es richtig: Der ist losgefahren und hat sich Kuchen geholt.
Der macht es falsch: Der sitzt zu Hause und brummt herum.

"So und nun gehen wir in den Landgasthof Weyher. Der spielt bei mir eine Rolle, in meinen Krimis kommt der immer vor und ich bin hier halt jeden Tag mit meinem Hund, weil man hier so gut Zeitung lesen kann und so guten Kuchen gibt’s hier auch."

Ausschnitt aus dem Kinderprogramm

"Krümmelkuchen, Krümmelkuchen, wo soll ich dich Kuchen suchen,
soll ich mir ein Flugzeug buchen und dich ganz woanders suchen?"

Grosche: "So, da wären wir schon wieder."
Kellnerin: "Bitteschön, was darf es denn sein?"
Grosche: "Ich nehme einmal einen Apfelkuchen mit Schlagsahne, einen Kaffee und ein Wasser."
Kellnerin: "Ja, alles klar."

Ausschnitt aus dem Kinderprogramm

"Ich such dich in allen Städten, Supermarktskonditorketten,
wenn die Krümmelkuchen hätten, fänd ich dich, dich dicken fetten."

"Das besondere an dem Weyherschen Apfelkuchen aus dem Haxtergrund ist: Er ist unverfälscht, schlicht, will nicht zu viel, ist mit Sahne, aber die wird daneben gelagert, also man kann sich auch entscheiden, ihn ohne Sahne zu essen oder auch nur mit wenig Sahne. Und er ist seitdem ich Kind war, genau so, wie er jetzt immer noch ist."

Ausschnitt aus dem Kinderprogramm
"Krümmelkuchen, Krümmelkuchen, wo soll ich dich nur noch suchen,
ohne dich bin ich am Fluchen, oh, verdammt ich brauch dich Kuchen."

"Also wenn man den Paderborner verstehen will und Paderborn begreifen will, dann sollte man einen Besuch machen bei Herrn Weyher und einfach so diesen Apfelkuchen mit Schlagsahne bestellen und den dann ganz still genießen, dann wird einem klar, wie man hier so ist und wie gerne man hier auch genießt und wie bescheiden man hier ist und man trotzdem an seine Grenzen kommen will und all das steckt in diesem unglaublichen Apfelkuchen von Herrn Weyher."

Ausschnitt aus dem Kinderprogramm
"Krümmelkuchen, Krümmelkuchen."

"Wir gehen noch ein Stücken"

"Komm Charlotte, wir gehen noch ein Stückchen. Ich mag es gerne, wenn man auf eine Idee kommt, die so schlicht ist, dass man sie sofort begreift, aber dann akzeptieren muss oder nicht akzeptieren kann, weil sie zu schlicht ist. Das ist so meine Form von Skurrilität. Das hat immer was mit Mitspielen zu tun. Wenn man bei meiner Skurrilität nicht mitspielt, dann findet man die nicht gut, dann findet man sie albern. Wenn man mitspielt, dann hat man den Vorteil, man ist ein Mitspieler von mir und mag dann das, man hat dann diese Form meiner Lösung verstanden, genossen.

Manche wirken ja sehr sonderbar, die Dinge über die ich schreibe, aber die passieren hier. Und die sind hier möglich durch diese Enge und diesen Überblick, den man hier hat sehr schnell über alles. Ich schreibe das, weil ich in Paderborn lebe. Natürlich so in meiner Sichtweise, das ist ja schon das was Handwerk ist."

Ausschnitt aus dem Programm

Letzten Monat habe ich zu meinem Briefträger gesagt: "Sagen sie mal Herr Briefträger, sie mit ihrem gelben Fahrrad und ihrer schwarzen Umhängetasche– stecken da diese kleinen Briefe in kleine Schlitzchen, kommen sie sich nicht komisch vor, sie sind doch ein Mann?" Und da hat er mir gesagt: "Indem ich dem Geheimen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen und dem Bekannten die Würde des Unbekannten und dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es." Da habe ich zu ihm gesagt: "Also genau so mache ich es auch immer."

Wunderte mich aber nicht mehr, dass die Post in einer tiefen Krise steckte.
DHL –Dauert halt länger.

""Tja, es ist so, wenn man sagt, man kommt aus Paderborn, dann meint man, man hätte einen Witz gemacht, weil alle so gleich auch so ein bisschen darüber lachen. Aber was will man denn mehr erreichen. Das ist doch schon ganz schön. Das ist, glaub ich, so als wenn man sagt, ich komm’ aus Bullerbü, wo Olle und Lasse immer am Spielen sind und die Katzen schnurren da herum.

Und das ist natürlich auch so: Man hat das Gefühl, wenn man hört, der kommt aus Paderborn, dass man jemanden getroffen hat, dass der aus so einem Stück heile Welt kommt, dass man hier sehr gläubig ist, dass viele Kirchenglocken immer am Bimmeln sind, dass es viel regnet und das ist alles richtig. Also, das stimmt halt auch, ne?"

Ausschnitt aus dem Programm
Diese Gedanken wollte ich loswerden. Mir geht’s jetzt besser. Ich hoffe, Euch auch.
Das war’s wieder mit meinen Nachrichten von einer besseren Welt.