Die DDR, also da ...

Von Almuth Knigge und Uschi Götz · 26.09.2008
Lebt die DDR als sozial verklärte und politisch verharmloste Gesellschaft fort? Eine Studie aus der FU Berlin bejaht dies und verweist auf das DDR-Bild und -Wissen von Schülern. Vor Ostalgie wurde daraufhin in den Medien gemahnt, vor Verklärung warnte die Politik. Und verantwortlich dafür wurde landauf, landab die Schule gemacht. Zu Recht? Die DDR im Unterricht in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern.
Mecklenburg-Vorpommern
Projekttag an der regionalen Schule in Blankensee. Knapp 1900 Einwohner hat das Dorf, inmitten des Naturparkes Feldberger Seenlandschaft. DDR-Geschichte steht für die Jugendlichen der 10. Klasse heute auf dem Stundenplan.

"Guten Morgen."
"Morgen."
"Wir freuen uns, dass wir hier eingeladen worden sind. Ich habe gehört, dass ihr euch schon intensiv mit der DDR, mit der Zeit des geteilten Deutschlands, beschäftigt habt."

Der ehemalige Beauftragte des Landes für die Stasi-Unterlagen, Jörn Mothes, fährt oft durch die Schulen des Landes und erzählt das, was in den meisten Geschichtsbüchern nicht - oder noch nicht - steht. Die Erfahrung aus dem Nachbarland Brandenburg hat gezeigt, dass es ist mit dem Wissen von Schülern über das Leben in der DDR nicht besonders gut gestellt ist. In Mecklenburg-Vorpommern müsste es anders sein. Der Lehrplan schreibt zwingend die Beschäftigung mit der DDR schon in der zehnten Klasse vor.

"Das politische Ziel heißt: Kein Schüler soll die Schule verlassen, und zwar nicht nur Abiturient, sondern auch ein Zehntklässler, der nicht über beide Staatsformen, die hinter uns liegen, und über beide diktatorischen Regime inhaltlich etwas gelernt hat."

Mothes erzählt von der Staatssicherheit und vom politischen Unrecht.

"Könnt ihr mal vielleicht ein paar Stichworte mir zurufen, worin könnte so ein politisches Unrecht, was in der DDR existierte, bestanden haben? Habt ihr da eine Vorstellung, was könnte damit gemeint sein? Was ist politisches Unrecht, wenn man so den Begriff hört? (Betretenes Schweigen.) Hat jemand da eine Idee? (Keine Reaktion.) Ja? Gar nicht? (Gelächter.) Überhaupt nicht? Ach Mann."

Die Geschichtslehrerin Heike Preuss sinkt in der Ecke des Raumes in sich zusammen. Sie hat mit ihren Schülern ausführlich die Nachkriegszeit besprochen, BRD und DDR parallel und gleichberechtigt nebeneinander. Dass ihre Schüler Willy Brandt und Erich Honecker verwechseln, würde hier nicht passieren, aber trotzdem ist Geschichtsunterricht ein mühsames Geschäft.

"Also, ich muss sagen, die Kenntnisse sind für die Schüler eben wirklich Geschichte, richtig reine Geschichte. Der älteste Schüler, den ich habe, der ist 89 geboren, aber die meisten sind eben erst die Jahrgänge 90, 91, 92 - deswegen haben sie eigentlich so ganz wenig Beziehung dazu, wenn die Eltern nicht doch hin und wieder mal was erzählt hätten. Aber da muss ich auch sagen, dass ist eigentlich nicht so doll ausgeprägt, so dass da großartig Wissen wäre, so dass man es wirklich auch in den Geschichtsunterricht rein tragen muss."

Das Thema Stasi hat sie ausgelassen und den Experten geholt.

"Gerade das Thema MFS ist ja so eine Sache, wo man so ein bisschen vielleicht auch Skrupel hat, selber ranzugehen, einfach weil die Kenntnisse da nicht so intensiv sind."

Jörn Mothes hat den Geschichtskoffer dabei. Ein schwerer Reisekoffer, vollgepackt mit Kladden, Hemden, Videokassetten.

"Der Staat hat versucht, die Jugend sehr stark für sich zu gewinnen. Und als er gemerkt hat, dass das nicht richtig funktioniert, weil junge Leute sich nicht so vom Staat abhängig machen wollten, da hat die Staatssicherheit eine Entscheidung getroffen - das war 1976 - und hat gesagt, wir müssen jetzt auch Spitzel unter jungen Leuten selber haben."

Der Geschichtskoffer erzählt aus dem Leben von zehn jungen Menschen in der DDR, die in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchsen. Er erzählt von ihren Erlebnissen, Handlungen und Erfahrungen in Familie, Schule, Freizeit, Ausbildung und Beruf. Berichtet von Chancen und Grenzen für junge Menschen in der DDR.

An diesem Vormittag sollen sich die Jugendlichen mit den Lebensläufen von Sylvia und Dietmar beschäftigen. Sylvia, der wegen ihrer Liebe zur Bluesmusik eine Hochschulkarriere verwehrt wurde, und Dietmar, der als Jugendlicher von der Stasi angeheuert wurde und seine Freunde bespitzelte. Fragen kommen auf: Was ist mit Dietmar nach der Wende passiert? Wie hat er sich gefühlt? Und was hätte man selber an Dietmars Stelle gemacht?

"Und das ist also genau mein Ansatz, Geschichte eben nicht als Stoff anzubieten und zu vermitteln, sondern Geschichte und Sozialkunde eben darauf hinauslaufen zu lassen, bei jungen Menschen sich selbst Positionen entwickeln zu lassen, eine Haltung zu vermitteln."

Mothes erzählt, mit welchen Mitteln die Jugendlichen angeheuert wurden und in welchem Zwiespalt Dietmar und andere Kinder-IM's heute noch sind. Das Interesse der Jugendlichen ist unterschiedlich, viele sind unsicher. Das Thema ist zu Hause oft tabu.

"Also, mein Vater sagt immer: Das Hier und Jetzt interessiert, nicht die Vergangenheit. Die ist sowieso vergangen."

Und so weit weg. So fremd, obwohl doch nahezu täglich greifbar.

"Na ja, ich schätze mal, die hatten in der BRD mehr Spaß, weil die ja mehr Fernsehen gucken konnten. Und die hatten nicht so doll schlimme Vorschriften wie jetzt in der DDR oder auch hier mit der Stasi. Das war ja schon alles ziemlich schlimm, würde ich schon sagen."

"Mit diesem Spionieren, das wusste ich nicht so genau, also wie es dazu kam - dass da welche waren, die da spioniert haben. Das war ja im Endeffekt auch so eine Erpressungssache, schon ein bisschen. Und das wusste ich nicht, das war schon ganz gut."

"Ja, hallo erstmal … "

Neue Schule, anderes Projekt, die Schüler sind zwei Jahre älter.

"Wir sind das Team von Demokratie auf Achse: Carsten Socke mein Name, Anette Blaschke und unser Busfahrer Tom. Und wir sind im Auftrag des Bildungsministeriums unterwegs durchs Land und wollen so ein bisschen politische Bildung vor allem an Schulen machen. Steht ganz groß drauf, unser Leitthema Demokratie: Fallen euch da ein paar Schlagworte ein?"

"Gewaltenteilung."

"Gewaltenteilung, richtig, freie und direkte Wahlen. Wahlen, das ist unser Stichwort."

Seit einem halben Jahr fährt ein Bildungsbus durchs Land - die Stasiunterlagenbehörde und die Landeszentrale für politische Bildung finanzieren das Projekt gemeinsam. Die Gymnasiasten und Berufsschüler in Malchin sollen Wahlkampf simulieren, ein Parteiprogramm entwickeln, diskutieren, wählen. Demokratie pur - erklären können es die wenigsten.

"Demokratie ist ja zum Beispiel Gleichberechtigung. Und wenn es das alles nicht geben würde, ich weiß nicht, dann wären wir so wie ein unterentwickeltes Land."

"Also, sie können mit dem Begriff Diktatur, bezogen auf den Nationalsozialismus, relativ sicher umgehen. Sie wissen auch vom Fakt her, dass die DDR eine Parteiendiktatur war. Sie versuchen sicher auch zu hinterfragen, wo gibt es Parallelen? Und da gibt es Probleme."

Der Geschichtslehrer steht ein wenig am Rande, beobachtet seine Schüler, erstaunt, wie sehr sie bei der Sache sind. Der Schulalltag spricht oft eine andere Sprache, vor allem, was die Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit angeht.

"Es ist ganz einfach zu beobachten, dass das Interesse unwahrscheinlich nachgelassen hat bei den Schülern, sich für die DDR-Geschichte zu interessieren. Ich mache immer diesen Versuch, indem ich sage: Was wisst ihr über die DDR? Nennt mir mal so Begriffe wie Broiler oder Intershop oder Exquisit oder so. So, da kommen dann auch diese Begriffe, aber sie können es nicht im Zusammenhang darstellen.

Sie erkennen die inneren gesellschaftspolitischen Zusammenhänge nicht: Warum es so war? Warum die Menschen angestanden haben, warum es einen Intershop gab, warum man 15 Jahre auf ein Auto warten musste? Sie wissen es als Fakt, aber sie kennen die Ursachen nicht und sie kennen auch nicht die Zusammenhänge, wie die Menschen damit umgegangen sind und warum die Menschen stillgehalten haben größtenteils und das so haben über sich ergehen lassen."

Warum? Die Gründe dafür sind genauso vielfältig wie die Tatsache, dass die Geschichte der DDR im Unterricht größtenteils immer noch ein recht stiefmütterliches Dasein fristet.

Lehrerin: "Na ja, es sind so viele Themen in Geschichte, die spannend sind. Das hat nichts damit zu tun, wie dann auch manchmal geschrieben wird, dass es noch die alten Lehrer sind, die sich davor drücken, dieses Thema zu behandeln."

Ihr Kollege hat andere Erfahrungen gemacht.

"Also, eine Kollegin, die vor drei Jahren aufgehört hat, die hat an der alten Schule Parteilehrer geführt, hat also über die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gesprochen, hat den Imperialismus verflucht am Beispiel der BRD, kommt hierher und vermittelt die Marktwirtschaft und die Demokratie - das ist für mich ein absoluter Widerspruch."

Auch das Team vom Bildungsbus wird nicht immer von allen Lehrern mit offenen Armen empfangen.

Blaschke: "Also, wenn wir zum Beispiel DDR-Geschichte gemacht haben, dass dann von den Lehrern als Feedback auch kam: Sie haben ja wieder nur die negativen Seiten dargestellt."
Socke: "Und dann kommen dann die Standardargumente, dass das Sozialsystem so gut war in der DDR und jeder einen Job hatte, da werden die negativen Seiten mehr ausgeklammert."

Was vielfach bleibt, ist das Bild von einer paradoxen Freiheit und vom verlorenen Sozialparadies.

Blaschke: "Mir wurde auch schon gesagt: Wieso? In der DDR war man doch frei, da konnte man doch an den FKK Strand gehen. (Lacht.)"

Baden-Württemberg

Ändert die Entfernung etwas am Wissen über die DDR? Die geografische und politische Entfernung ist gemeint, bezieht sich auf Baden-Württemberg und meint das Alltagswissen DDR. Dort, wo vielleicht mal ein vorbeifahrender Trabi an die Zeit vor 1990 erinnert. Und wo die Bezeichnung DDR auf Computer-Hardware nicht zwangsläufig ein Grinsen auslöst, sondern als korrektes Fachvokabular zur Kenntnis genommen wird. Und wo …

"In WZG, also in der der Fächerkombination von Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde, ist es bei uns erst im neunten Jahr dran, also zweite Hälfte, neunte Klasse, das Thema, da wird es dann ausführlicher behandelt, nach dem Zweiten Weltkrieg."

Lehrer Oliver Hasse ist in der Nähe von Magdeburg geboren und hat in Rostock sein Referendariat gemacht. Seine Schüler erfahren schon früh etwas über die DDR-Geschichte - Geschichten aus dem eigenen Leben des Lehrers.

"Ich finde schon, dass es zur Allgemeinbildung eines Neuntklässlers gehört, wenn er mit der Hauptschule die Schule verlässt, dass er was über die Hauptschule gehört haben sollte."

Doch Stichproben zeigen: Nur wenige Hauptschulabgänger in ganz Baden-Württemberg wissen auch nur im Ansatz etwas über die jüngste deutsche Geschichte. Das liegt nicht nur an den Lehrern.

Schüler: "Also, es hat mich nicht wirklich interessiert - DDR, ich war nicht wirklich dabei im Unterricht."

Anders die Schüler von Oliver Hasse. Der 31-jährige ist Lehrer an der Vogt Hess Schule im baden-württembergischen Herrenberg. Zu der Hauptschule gehört auch eine Werkrealschule.

"Am Anfang war es so, wenn wir mal über Strafen geredet haben, habe ich ihnen was von Fahnenappell erzählt. Das eben zum Beispiel so, dass zu meiner eigenen Schulzeit, wenn da Kinder Unsinn gemacht haben, dann gab es einen öffentlichen Fahnenappell und die wurden dann öffentlich getadelt. Das erzählt man mal, heißt nicht, dass ich das gut finde, aber für die Schüler ist es etwas, was sie nicht kennen."

Und was hängen bleibt. Doch was sollte ein baden-württembergischer Hauptschüler am Ende seiner neunjährigen Schulzeit wissen? Hansjörg Blessing, Sprecher des baden- württembergischen Kultusministeriums:

"Ja, er muss nicht alle Einzelheiten wissen und auch nicht strikt nach Jahresdaten, sondern größere Zusammenhänge. Was bedeutet denn Freiheit? Die DDR war ein totalitäres System - das in Beziehung zusammensetzen. Was bedeutet überhaupt ein totalitäres System? Einparteienstaat, Massenorganisation. Dass eine Ideologie den Anspruch hat, das ganze Leben zu durchdringen und nur ganz wenig individuelle Freiräume lässt, allenfalls Nischen, wie es in der DDR ja so war.

Das ist eigentlich wichtig, dass solche übergeordneten Themen angesprochen werden. Dass auch Hauptschüler in dem Bereich anfangen zu reflektieren. Man sollte natürlich schon wissen, wann der Mauerbau war und wer Erich Hohnecker war, und Walter Ulbricht wäre auch noch mal gut - aber man muss jetzt nicht das gesamte prominente Führungspersonal der SED rückblickend kennen. Da ist uns lieber, wenn man einfach den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit, wenn man das reflektieren kann und auch benennen kann und an Beispielen auch darstellen kann."

Lernzielkontrolle bei zwei Hauptschülern, die mittlerweile die Werkrealschule besuchen. Stichwort Mauerbau.

"Am 13. August 1961."
"1989 ist die Mauer gefallen, und 1990 war die Wiedervereinigung. Mehr weiß ich nicht."
"Die Mauer war in Berlin, und dann gab es noch Grenzen durch ganz Deutschland."
"Der Staat hat, glaube ich, vorgegeben, was produziert wird, und viele haben probiert abzuhauen, aber es ging nicht."

Wie Lehrer ihren Schülern die DDR Zeit näher bringen, bleibt den Pädagogen in
Baden-Württemberg weitgehend selbst überlassen. Viele Lehrer zeigen aktuelle Filme wie "Das Leben der anderen" oder "Good by Lenin". Lehrer Oliver Hasse nicht.

"Nee, das ist mir zuviel Schauspielerei. Ich mache das eigentlich auch nicht gerne zum Zweiten Weltkrieg und zum Ersten Weltkrieg. Also, wir sind hier an der Schule und nicht im Kino."

Oliver Hasses Schüler erfahren viel aus einer lebendigen und gar nicht so traurigen Jugend in Zeiten der DDR. Da ist auch viel zum Lachen dabei, und doch:

"Hauptschüler sollten trotzdem wissen, warum die Menschen am Ende auf die Straße gehen und diesen Arbeiter- und Bauernstaat, der ja angeblich so toll war, dann nachher nicht mehr wollten. Und das kommt auch im Unterricht vor."

Ortswechsel - Blick in eine baden-württembergischen Realschule. Laut Bildungsplan erfahren Realschüler in der Regel in der neunten Klasse zum ersten Mal etwas über die DDR. Ihr Wissen sollten dann, laut Bildungsplan, noch einmal in der zehnten Klasse vertieft werden. Markus ist 16 Jahre alt und besucht mittlerweile die zehnte Klasse. Was hat er bisher über die DDR in der Schule gehört?

Schüler: "Wie die DDR entstand, wie die da gelebt haben, das Regime, geschichtlich halt, wie BRD, wie die da halt gelebt haben, und wie sie dann in der DDR mit Stasi und so gelebt haben."

Die Stasi, darüber weiß der Realschüler am meisten:

"Da haben sich die Leute selber dann bespitzelt und so. Das darf halt auch nicht passieren, dass da einer gegen den anderen geht und dass man sich nicht vertrauen kann, das geht ja nimmer."

Wie haben die Menschen in der DDR gelebt? Was haben sie gearbeitet? Wie viel haben sie verdient? Wie war das Gesundheitswesen organisiert? Kurz war die DDR ein Sozialstaat? Weder befragte Realschüler, noch Hauptschüler können eine dieser Fragen auch nur vage beantworten. Im dreigliedrigen Schulsystem von Baden-Württemberg liegt die Realschule in der Mitte. Was müssen Realschüler am Ende der zehnten Klasse über die DDR-Zeit parat haben? Hansjörg Blessing vom Kultusministerium.

"Da ist es tatsächlich wirklich so, da verlangen wir auch Zahlen, Daten, Fakten und mehr als in der Hauptschule, auch mehr Zusammenhänge im politischen Bereich, im wirtschaftlichen Bereich. Da geht es einfach ein Stück tiefer, auch die Produktionsverhältnisse in der DDR. Das einfach das Abstraktionsniveau steigt natürlich mit der Schulart."

Davon ist eigentlich auszugehen. Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Julian Illi steht kurz vor dem Abitur. Er geht seit wenigen Wochen in die 13. Klasse eines Stuttgarter Gymnasiums, gehört also noch zu den Abgangsklassen ohne verkürzte Gymnasialzeit.

"Also, in der Schule kann ich mich jetzt gerade mal an die Grundzüge erinnern. Es wurde viel über das Wirtschaftssystem gesprochen, also die Volkswirtschaft. Jetzt so über das politische System mit der Einheitspartei habe ich kaum was erfahren - bisher kann ich jetzt natürlich noch nichts sagen."

Doch schon heute kann der 18-jährige Gymnasiast sagen, dass er noch viel mehr über die DDR-Geschichte erfahren möchte.

Illi: "Was mich daran eigentlich fasziniert: Es ist ja noch nicht so lange her damit, dies habe ich ja eigentlich noch erlebt, sozusagen, und deshalb ist das Interesse auf jeden Fall da."

Winkler: "Vom Lehrplan aus allein wären es schon sieben, acht Stunden für die
DDR-Geschichte in Klasse zehn. Und nach zwei Jahren wird das Thema dann noch einmal aufgegriffen. Das sehen Sie hier in Klasse zwölf, hier wird es sowohl im zweistündigen Grundkurs als auch im Neigungskurs, der vierstündig ist, aufgegriffen. Und dann sieht man, ähnlich wie die Verzahnung dieser beiden deutschen Staaten in der Nachkriegsgeschichte, was dann hier unterrichtet werden soll."

Karin Winkler unterrichtet am Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Geschichte, gleichzeitig bildet sie Referendare für den Geschichtsunterricht aus. Theoretisch ginge es für baden-württembergische Schüler bis zum Abitur zweimal durch die gesamte Geschichte durch, so Lehrerin Karin Winkler, theoretisch.

"Es bringt nichts, mit den Schülern zu schnell durch den Stoff zu rasen, weil dann gerade kommt das vor, dass sich gerade nichts richtig verankert. Dass man auf der Straße gefragt wird, wer war denn eigentlich Erich Hohnecker, und Schüler sagen: Ah, habe ich irgendwie mal gehört, aber ich weiß gerade auch nicht mehr."

Nicht nur an baden-württembergischen Gymnasien fehlt oft am Ende eines Schuljahres die Zeit, um die vorgeschriebene Stundenzahl der jüngsten deutschen Vergangenheit zu widmen. Doch unabhängig von den Unterrichtsstunden zum Thema müsse der Unterricht erfahrbarer werden, meint Karin Winkler. Neben Klassenfahrten nach Berlin empfiehlt sie der nachwachsenden Lehrergeneration, viel mit Zeitzeugen zu arbeiten.

"Also, dass man das nicht nur unterrichtet vom Lehrbuch her, sondern dass man wirklich versucht, das durch Zeitzeugen oder Museumsbesuch oder vielleicht in der Verbindung mit einem Projekt oder dieser Berlinfahrt erfahrbarer zu machen."

Doch Fahrten nach Berlin sind teuer und an Hauptschulen aus diesem Grunde schon gar nicht vorgesehen, an Realschulen und Gymnasien ist das schon eher möglich. Gymnasiallehrerin Karin Winkler lädt in ihren Unterricht regelmäßig eine Frau ein, die zu DDR-Zeiten inhaftiert war.

"Weil sie fern von dieser ganzen Ostalgiewelle sehr genau beschreibt, wie die diktatorische Unterdrückung in der DDR auch ablief. Und das blenden viele Schüler heute auch aus."

Unabhängig von der Schulart. Hauptschullehrer Oliver Hasse wünscht vor allem von seinen süddeutschen Kollegen einen aufmerksam differenzierten Blick auf diesen Teil der deutschen Gesichte. In keinem Fall sollte die DDR-Geschichte an baden-württembergischen Schulen, aus welchen Gründen auch immer, ganz unter den Tisch fallen.

"Es ist ja auch ein Teil meiner eigenen Geschichte. Und wer möchte schon, dass man die eigene Geschichte vergisst. Also, das würde ja letztendlich passieren, wenn man das Thema nicht mehr behandelt Und letztendlich wird ja nicht nur meine eigene Geschichte vergessen, also in diesem speziellen Punkt, sondern die Geschichte von uns allen, die wir in diesem Land leben, zum jetzigen Zeitpunkt. Denn viele Probleme, die wir jetzt haben, immer noch in Deutschland, die ergeben sich aus der deutschen Teilung."