Die DDR als Markenprodukt

Von Lutz Rathenow |
Immer kurz vor dem 13. August wird die Mauer-DDR kurz und eindringlich wiederbelebt: mit Erinnerungen an ein brutales Grenzregime und kühnen Fluchten und den alljährlichen Spekulationen über die gültige Zahl der Mauertoten.
Unterdessen strömen Besucher aus aller Welt in Berlin in das kleine, aber geschickt inszenierte Museum über den zweiten deutschen Staat, um sich die ganz normale DDR anzusehen. Ein Neubaublock-Land mit kastenförmigem Wohnraum-Dasein zeigt das neu eröffnete Museum und versucht, das Leben hinter den Fassaden zum Fühlen und Betrachten darzubieten - oft in aufziehbaren Schubkästen verpackt. Soweit das bei einer angestrebten Verweildauer von einer Stunde möglich ist. Der kommerzielle Gedanke scheint aufzugehen.

Viele ehemalige DDR-Bürger wollen eine sentimentale Reise in ein Land unternehmen, aus dem die meisten Einwohner früher hinauswollten (zumindest eine Westreise lang). Die DDR ist längst zum Markenprodukt geworden - genauer: zu einer Marke, hinter der sich ganz verschiedene Produkte verbergen. Neider und Konkurrenten sind reichlich vorhanden. Es scheint viele gut sortierte DDR-Gerümpel-Räume im Lande zu geben, die darauf bestehen, authentischer zu sein als das neue Museum in Berlin. Wo sonst riecht es noch mehr nach dem Staat außer Dienst, der früher gern Geruchskonserven von Staatsfeinden anlegte. Heute würden die Freunde der Deutschen undemokratischen Republik gern Konserven mit Trabbiqualm, mit Grobstaub rußiger Kohlekraftwerke oder das herbe Putzmittel Ata inhalieren, um sich ganz wie früher zu fühlen.

Diese Geruchs-DDR findet ihre Steigerung in der Armee-DDR auf ehemaligen Panzerübungsplätzen. Dort praktizieren ehemalige Offiziere und Unteroffiziere Fahrunterricht oder Panzerausfahrten für den Laien und für gutes Geld. Es soll sogar ehemalige Atombunker zum Übernachten geben - die Ex-DDR für den Abenteuerurlaub. So kann man Schwerter zu Pflugscharen auch begreifen.

Eine Historiker-Kommission mahnte kürzlich mehr Alltags-DDR für die politische Aufarbeitung an. Doch wessen Alltag ist hier gemeint, der des Mitläufers oder der mit ganz anderem Verlauf? Alltag ist ein logischer, aber letztlich hilfloser Begriff - erst wenn er verlassen wird, markieren sich seine Grenzen. Erst der Nicht-Alltag, zum Beispiel eine Art von ungewöhnlichem bis widerständigen Verhalten, markiert das Normale, Durchschnittliche.

Wahrscheinlich meinen die Historiker das mehrheitsfähige, durchschnittliche Erleben - und damit sind wir bei der Ausgangsfrage: Was und wer stellt diesen Durchschnitt dar? Es wird keinen geben, in dem sich alle wieder erkennen.

Ein Kochbuch über die DDR-Küche ist momentan möglicherweise auch so erfolgreich, weil es die Unsicherheit der Käufer verrät, gar nicht so genau zu wissen, was das Spezifische der DDR-Küche gewesen sein soll, abgesehen vom weitgehenden Fehlen bestimmter Obst- und Gemüsesorten, was viele schon vergessen haben.

Im Grunde kämpfen verschiedene Erlebnisgemeinschaften um öffentliche Aufmerksamkeit. Wer zählt die Verbände und Vereine, die die Hinterbliebenen der DDR heute vertreten - die der Opfer, die der Täter und die jener spezialisierten Interessengemeinschaften, die sich um Briefmarken oder Münzen des ehemaligen Landes kümmern.
Unterdessen durchwandert die Gute-Laune-DDR das Fernsehen und lebt als Schlager-Star-DDR, Rock-DDR und Filmkunst-DDR weiter. Das gähnend langweilige DDR-Fernsehprogramm gerät zur sprudelnden Quelle für Collagen, die sich eine DDR aus Zitaten neu herbeistylen. Man verdichte 40 Jahre, blende das Unsägliche und normal Langweilige aus - und kommt zu einem DDR-Konzentrat, das staunen lässt. Interessanterweise spielen Bereiche, in denen die DDR viel Spannendes hervorbrachte, keine Rolle in diesem Marken-Reigen: Jazz, Puppenspiel, Bücher bestimmter Autoren, Theaterstücke, die Fotokunst der achtziger Jahre - das alles bleibt Insidertipp. Selbsttäuschung und Erinnerungsvitalität bilden eine dialektische Einheit, um einmal im DDR-Deutsch zu bleiben, die einander bedürfen.

Die DDR war das Land unausgelebter Möglichkeiten, eine Planwirtschaft (viel Plan, weniger Wirtschaft). Die Sport-DDR kontra die Doping-DDR - der Kampf um Präsenz auf dem Markt und im Bewusstsein der Menschen geht weiter. Jetzt erst einmal zum Tag der Einheit, dann anlässlich der Maueröffnung und schließlich zu Weihnachten, wo es vielleicht das DDR-Verschenk-Paket geben wird.

Lutz Rathenow, 1952 in Jena geboren, Studium Germanistik/Geschichte, kurz vor dem Examen wegen nicht konformer Ansichten und Handlungen relegiert, Transportarbeiter, 1977 Übersiedlung nach Ostberlin, knapp 15.000 Seiten Stasi-Akten zeugen von Aktivitäten und Repressalien, wegen des ersten nur im Westen verlegten Buches 1980 kurzzeitig verhaftet, Lyriker, Essayist, Kinderbuchautor, Satiriker, Kolumnist, Gelegenheitsdramatiker. Zusammen mit Harald Hauswald (Fotografie) schrieb er den erfolgreichen Foto-Text-Band "Ost-Berlin - Leben vor dem Mauerfall" (Jaron Verlag, 2005, englisch/deutsch).
2006 erscheinen "Ein Eisbär aus Apolda" (Kindergeschichten), "Gelächter, sortiert" (Fußballgedichte) und wieder mit dem Kult-Fotografen Harald Hauswald "Gewendet - vor und nach dem Mauerfall. Fotos und Texte aus dem Osten" (Jaron Verlag).