Die Dame vom Pariser Platz Nummer 7

Von Peter Kaiser · 15.03.2013
Martha Liebermann galt als stille und zurückhaltende Frau an der Seite ihres berühmten Mannes, dem Maler Max Liebermann. In Wirklichkeit war sie aber auch seine schärfste Kritikerin. Vor 70 Jahren entging sie der Deportation ins KZ Theresienstadt, indem sie sich das Leben nahm.
Mann: "Man kann das nur als ganz schlimm bezeichnen, dass sie sich in dem hohen Alter noch das Leben nehmen musste."
Frau: "Sie hat Gift genommen."
Frau: "Es ist ihr sicher viel erspart geblieben dadurch."

Ein Vormittag in der einstigen Sommervilla der Familie Liebermann am Berliner Wannsee. Das Haus öffnet um 11 Uhr, schon kurz davor stehen die Gäste auf der Straße und warten auf Einlass. Später ist im Foyer, im Café mit dem Kamin und dem Zugang zum Garten und dem Wannseesteg, reger Betrieb. Es wird über die Liebermanns geplaudert, über die Bilder, das Leben hier am schönen Wannsee.

Würde die Frau des berühmten Impressionisten Max Liebermann, Martha Liebermann, jetzt, 70 Jahre nach ihrem Tod, durch ihr Haus gehen, dann würde sie wohl lächeln und grüßen. Denn Martha Liebermann, sagt die Autorin Marina Sandig, die mehrere Werke über die Liebermanns veröffentlichte, schöpfte Kraft aus der Synthese von Kunst und Kultur:

"Sie hat das Leben mit der Kunst verbunden und sie hat diesen bildungsbürgerlichen Traum Deutsche zu sein geträumt und hatte immer Hoffnung. Und das Zitat, was mich immer so fasziniert hat, ist, dass sie gesagt hat ..."

"So lange die Werke nicht zerstört werden, bleibt die Hoffnung auf künftige andere Zeiten bestehen."

Am 10. März 1943, vor 70 Jahren, endete Martha Liebermanns Leben. Sie wurde 86 Jahre alt. Der Leiter des heutigen Museums Liebermann-Villa, Dr. Martin Faass, beschreibt ihre letzten Tage und Stunden:

"Man hat sie am 4. März aus ihrer Wohnung abgeholt. Sie hat am Vormittag des 4. März noch eine Nachricht, einen kurzen Brief geschrieben, in dem sie schreibt …"

"Ich bin ganz durcheinander."

Am 4. März 1943 sollte Martha Liebermann ins KZ Theresienstadt deportiert werden.

"Sie bekam noch eine kurze Zeit, um sich fertig zu machen, sich anziehen. Und hatte dann die Gelegenheit, das Veronal zu nehmen, das starke Schlafmittel."

Martha Liebermann tötete sich mit starken Schlafmitteln
1943 lebte Martha Liebermann weder hier am Wannsee, noch im Stammhaus der Liebermanns, am Pariser Platz Nr. 7. Alles war ihr Jahre vorher von den Nazis schon genommen worden, die Wohnung in der Graf-Spee-Straße im Tiergartenviertel bislang nicht. Wie oft wird sie sich die Zeit an der Seite ihres Mannes in Erinnerung gerufen haben. Auch wenn sie damals nie aus dem Schatten ihres Künstlergatten herausgetreten war.

"Das war sicherlich das Rollenverständnis einer konservativen, preußischen jüdischen Familie, wo die Frau hinter ihrem berühmten Ehemann einfach zurückzutreten hat und sich um die Angelegenheiten des Hauses zu kümmern hat. Gastgeberin für die Gesellschaften darzustellen hat, aber öffentlich eigentlich nicht in Erscheinung treten soll. Das ist schon, denke ich, die Rolle, die Liebermann ihr gewiesen hat, aber die sie auch selbst als ihre Rolle angenommen und empfunden hat."

Doch die schöne große Berlinerin mit den schwarzen Haaren und dem ebenmäßigen Gesicht war selbstbewusst.

"Es gibt schon Äußerungen, zum Beispiel der ganz berühmte Satz …"

"Es ist zwar eine Ehre, aber kein Vergnügen, mit Dir verheiratet zu sein."

"Das soll sie gesagt haben, als sich Max Liebermann bei einer Teerunde beschwert hat und sie anfuhr, warum sie denn selbst zur Teekanne greift, um dem Gast einzuschenken. Was nicht standesgemäß war."

Sie kannten sich schon seit langen Jahren, Max und die 1857 in Berlin geborene Martha, gebürtige Marckwald.

Marina Sandig: "Es ist ja sicherlich bekannt, dass ihr Vater relativ früh gestorben ist, da war Martha erst 13 Jahre alt. Und dann kam sie durch den Umstand, dass das Vermögen ja nicht von der Witwe, Ottilie Prinksheim, selbst verwahrt werden konnte, durch diesen Umstand kam sie in die Familie von Max Liebermann. Der Vater von Max Liebermann übernahm die Vormundschaft der fünf Kinder, unter anderem Martha Liebermann, und es ist ja bekannt, dass der Vater, er hieß Louis, alle Kinder jüdisch erzogen hat."

Max brachte seiner Martha jeden Morgen einen Strauß Blumen
Die Ehe mit Max, Hochzeit war am 14. September 1884 in Berlin, wird ebenso arrangiert gewesen sein wie die Ehe von Marthas Schwester Else mit dem Bruder von Max, dem späteren Textilfabrikanten Georg. Doch das Arrangement war wohl nicht nötig, denn Max hatte vorher schon um die schöne, gebildete Martha geworben. So auch täglich während eines Kuraufenthaltes.

"Plötzlich erschien ein junger Herr mit funkelnden Augen und dem dichten Buschwerk schwärzester Haare, der jeden Morgen der jungen Schönen einen großen Strauß Blumen überreichte. Das musste der designierte oder bereits ernannte Bräutigam sein. Man erzählte, es sei ein Maler mit Namen Max Liebermann."

Marina Sandig: "Es ist möglich, dass sie den Max Liebermann schon damals geliebt hat. Sie hatten ja dann eine große ausgiebige Hochzeitsreise und da wurde sie als schöne Frau schon bewundert. Er hat sie ja auch sehr sehr oft gezeichnet, Skizzenblätter, und sie saß nicht sehr gerne Modell. Aber mit diesen Werken ihres Mannes, die immer vollkommener wurden, da hat sie schon großen Anteil dran."

Martin Faass: "In der Tat, es gibt diese Hinweise darauf, dass er sie auch in künstlerischen Fragen zu Rate gezogen hat oder ihr Dinge vorgestellt und ihre Reaktion darauf hat sehen wollen."

Martha und Max haben sich sehr geliebt, davon gibt es viele Zeugnisse. Ihre Tochter Katharina kam 1885 zur Welt. Doch Martha war auch später Großmutter, und immer die Grand Dame am Pariser Platz Nr. 7. Bis die braunen Horden kamen, und mit ihnen die Barbarei. 1935 starb ihr Mann Max. Da war sie 80 Jahre alt, und wie viele glaubte sie lange nicht, dass die Deutschen fähig sein würden...

"Und als es ihr dann bewusst war, was es im Grunde genommen zu spät."

Zu spät, zu ihrer Tochter Katharina, die mit ihrem Mann in den USA lebte, zu fliehen. Sechs Jahre später, nach unendlich vielen Demütigungen und Willkür, kam der Deportationsbefehl.

Geht man heute langsam und aufmerksam durch das Haus am Wannsee, betrachtet die Bilder, die Max von seiner Frau Martha gemalt hat, bemerkt das Licht, das heute wie vor 100 Jahren an den Zimmerdecken hing, dazu das Knarren der Holzdielen - dann ist es, als wäre sie noch da, die schöne große Frau.

Frau: "Wenn ich sie zum Beispiel auf den Bildern sehe, dann hat sie doch eine sehr starke Ausstrahlung. So eine Wärme. Ich denke schon, dass man das sieht und spürt."