Die CSU - ein Mythos verblasst

Von Hans Tschech |
Kann der Himmel schadenfroh sein? Jedenfalls wölbte er sich am Morgen nach der Katastrophe besonders sonnig und hell, weiß und blau über dem Bayernland, über den Bergen, den frühherbstlichen Wäldern und über den Bier- und Blasmusikschwaden des Münchner Oktoberfestes. Es war ein Tag wie aus der CSU-Werbung, als die bis dahin scheinbar allmächtige Partei sich zurechtgestutzt sah auf irdisches Normalmaß.
Sicher – 43 Prozent, das ist immer noch ein beachtliches Ergebnis. Aber die CSU ist eben keine Partei wie jede andere. Sie ist kein Landesverband der CDU, sondern eben die CSU; sie ist eigenständig und bayerisch, mit einem hohen bundespolitischen und – unter Strauß und Stoiber – sogar weltpolitischen Anspruch. Und diesen Anspruch gründet sie auf die unverrückbare absolute Mehrheit in Bayern. – Jetzt der Schock. Ist die CSU noch, was sie so lange war? War das ein Ausrutscher, ein besonders schmerzlicher Denkzettel des Wählers? Oder das Ende, der Anfang vom Ende?

Vermutlich war es tatsächlich viel mehr als nur ein Ausrutscher. Erfolg nährt bekanntlich den Erfolg. Und jetzt ist der Mythos dahin, der Nimbus der Unbesiegbarkeit. Der Kaiser steht ohne Kleider da. Die Wählerinnen und Wähler in Bayern haben das am Sonntag ausgesprochen – und waren und sind, das nur nebenbei, vom Ergebnis ähnlich überrascht, wenn auch nicht so schockiert, wie die gedemütigte CSU.

Wer heute in Bayern in Rente geht, hat, wenn man von vagen Kindheitserinnerungen an die Nachkriegszeit absieht, nur die CSU erlebt: Goppel und Streibl, Waigel und Stoiber und überlebensgroß Franz Josef Strauß ... und CSU und CSU, Wahlsieg auf Wahlsieg. Zwei Dinge schienen für diese Nachkriegsgeneration unverrückbar: die deutsche Teilung und die Alleinherrschaft der CSU. Die Teilung endete 1989 – fast 20 Jahre später jetzt die Allmacht der CSU.

Und warum? Neben all den Fehlern und Versäumnissen, neben Stoibers Größenwahn und der Farb- und Hilflosigkeit seiner Erben Beckstein und Huber gibt es eine tiefere Erklärung, die auch nahelegt, dass es sich bei dem Ergebnis eben nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt: Bayern hat sich über lange Jahre von der CSU emanzipiert. Die Gleichung CSU = Bayern und Bayern, das ist CSU, – die bröckelte schon seit geraumer Zeit. Das Land Bayern ist in einem langen Prozess, den die CSU entscheidend befördert hat, – das ist ihr großes Verdienst – in diesem Entwicklungsprozess ist Bayern moderner geworden, mobiler und offener. Mit gewissem Recht rühmt sich die CSU, dass unter ihren Regierungen der Agrarstaat Bayern moderne, erfolgreiche Industrien aufgebaut hat, dass Bayern im Bundesvergleich überall gut dasteht. Solche Erfolge der ganzen Gesellschaft hat sich die CSU sehr geschickt an die eigene Fahne geheftet: Bayern, das ist Beckenbauer und BMW und jetzt auch noch Benedikt. Und irgendwie – so über lange Jahre die Botschaft – sind dann auch die Berge und Seen, der weißblaue Himmel und das bayerische Lebensgefühl eigentlich ein Verdienst der CSU.

Nur – im Zuge der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte Bayerns ist auch die Gesellschaft moderner geworden, offener, selbstbewusster und – kritischer. Und da kommt irgendwann der Punkt, an dem es nicht mehr gottgegeben ist, dass eine Partei für alle Zeiten weiß und sagt, was gut ist für die Bürger; der Punkt, an dem der Wähler durchschaut, dass die Gleichsetzung der CSU mit weißblauem Himmel, Trachten und Blasmusik ein Werbetrick ist, dass man sogar als Bilderbuchbayer auch anders wählen kann – der Biobauer Sepp Daxenberger von den Grünen ist das beste Beispiel dafür. Diesen Emanzipationsprozess der Wählerschaft hat die CSU verschlafen oder nicht wahrhaben wollen. Noch im Sommer ließ die glücklose Generalsekretärin Christine Haderthauer plakatieren: "Sommer, Sonne, CSU" – eine banale Botschaft, die längst nicht mehr wirkte.

Die CSU ist unbeweglich geworden. Das Gefühl der Allmacht, gestützt auf ein in Jahrzehnten gewachsenes Netzwerk von Regierung und Behörden, Partei, Vereinen und Verbänden, – dieser so lange erfolgreiche weiß-blaue Filz machte die Partei selbstzufrieden und vielfach überheblich. Die Quittung gab’s am Sonntag. Ein Desaster für die CSU. Eine Revolution war es aber nicht. Tatsächlich sind die enttäuschten Wähler von der CSU ins jetzt viel zitierte "bürgerliche" Lager gegangen: zu den Freien Wählern und zur FDP. Die Botschaft an die CSU: Wir bleiben konservativ, aber es geht auch ohne Euch.

Hans Tschech, Journalist, geboren 1943 im Sudetenland. Seit der Kindheit in Bayern. Bis zum Renteneintritt im Mai 2008 42 Jahre beim Bayerischen Rundfunk/Hörfunk. Zunächst in der Nachrichten- und dann in der politischen Redaktion. Von 1986 bis 1989 Korrespondent des BR in London, von 1989 bis 1996 Korrespondent in Washington und von 1996 bis 2001 ARD-Hörfunkkorrespondent für den Nahen Osten und die Palästinensergebiete in Tel Aviv. Von 2001 bis 2008 Leiter der Redaktion Politik und Zeitgeschehen beim BR in München.
Hans Tschech
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