Die Chronik eines Skandals

Von Susanne Burkhardt · 01.10.2009
Rainer Werner Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod" gilt als antisemitisch und schlechtestes Stück von Fassbinder – schwülstig, überladen, konfus – die Figuren klischeehaft gezeichnet. Erste Versuche, es auf die Bühne zu bringen, scheiterten nach heftigen Protesten – nun gab es die deutsche Erstaufführung in Mülheim an der Ruhr.
Ursprünglich – so wollte es Rainer Werner Fassbinder – sollte sein 1976 veröffentlichtes Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" in Frankfurt uraufgeführt werden, denn in ihm spiegelte sich die politische Auseinandersetzung vor Ort - der sogenannte Frankfurter Häuserkampf. Viele glaubten in der Figur des jüdischen Immobilienspekulanten Ignatz Bubis zu erkennen, der Anfang der 70er-Jahre in die Auseinandersetzungen um die Sanierung des Frankfurter Westends als Investor verwickelt war.

Als 1985, drei Jahre nach Fassbinders Tod, der neue Frankfurter Intendant Günther Rühle das Stück auf die Bühne bringen will, hagelt es Proteste bis hin zu Morddrohungen –

"Keine Subventionen für Manipulationen – unsere Antwort auf Antisemitismus ist der Protest…."

Keine Subventionen für Manipulationen rufen die mehr als 500 Demonstranten, Stadtverordnete der CDU und FDP, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, darunter ihr Vorsitzender Ignaz Bubis und der damalige Kulturreferent Michel Friedman, die gemeinsam am Premierenabend die Bühne des Theaters besetzen.

Friedman: "Es gab ein immer wiederkehrendes Argument: die Freiheit der Kunst ist frei – es gibt keine Zensur. Das stimmt – ist aber untergeordnet dem Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Nach dreistündiger Diskussion mit dem Publikum wird die Aufführung abgesagt. Der Protest, hatte erstmals in der Geschichte der BRD eine Situation geschaffen, in der jüdische Deutsche wieder gemeinsam und öffentlich eine Position vertraten. Zwei Jahre später findet die erste Aufführung von "Der Müll, die Stadt und der Tod" in New York statt. Es folgten weitere Inszenierungen europaweit – sogar in Tel Aviv. Doch ausgerechnet in den Niederlanden ist die Aufruhr am größten. In Berlin wagt sich Bernd Wilms 1999 noch einmal an eine Deutschlandpremiere - scheitert aber- wie schon der Frankfurter Vorstoß- am Widerstand des Zentralrates der Juden unter Ignaz Bubis.