Die Chance der Krise

Von Martin Wagner, Bayerischer Rundfunk |
"Du musst Dein Leben ändern" - so heißt das neue Buch des Philosophen Peter Sloterdijk. Darin liegt die Chance der Krise: Dass sich wirklich etwas ändert. Zum Besseren natürlich. Und deshalb lautet die Frage nach dem Treffen von 20 Staats- und Regierungschefs in London: Hat sich etwas geändert und hat es sich zum Besseren geändert?
Eine seriöse Antwort darauf ist erst in einigen Monaten oder vielleicht auch erst in einem Jahr möglich, aber es gibt ein paar Indizien. Gut ist, dass der Kreis der Teilnehmer an diesem Treffen erweitert wurde, denn eine globale Krise braucht globales Gegensteuern. Vor ziemlich genau zehn Jahren zeigte das amerikanische TIME-Magazin auf seinem Titelbild drei Männer, die es als – so wörtlich – "Komitee zur Rettung der Welt" bezeichnete. Zu sehen waren US-Notenbankchef Greenspan, US-Finanzminister Rubin und dessen Stellvertreter Summers. Diese Zeiten sind vorbei und die Hinterlassenschaft der drei Herren, damals in den Diensten der Regierung Clinton, macht uns heute noch zu schaffen.

Greenspan hat später das Geld in den USA so billig gemacht, dass sich Millionen Amerikaner, die sich das nie hätten leisten können, Häuser kauften – heute müssen sie ihre Häuser verlassen und sitzen auf Schuldenbergen. Rubin hat sich vor mehr als zehn Jahren der Regulierung des Handels mit Derivaten widersetzt, nach der politischen Karriere diente er der Citigroup, die die Finanzkrise nur mit massiver Staatshilfe überstanden hat. Und sein damaliger Stellvertreter Summmers berät jetzt Präsident Obama in Wirtschaftsfragen. Auf die Idee, drei Amerikaner als Retter der Welt zu bezeichnen, käme heute aber nicht einmal mehr eine amerikanische Zeitschrift.

Im Gegenteil: Von den USA ging der ruinöse Finanzhandel aus, dem die Welt geeint Grenzen setzen will. Diese Gemeinsamkeit, die sich in London zeigte, ist ein Fortschritt. Aus G-8 ist G-20 geworden und alle wissen: Sie sind gerade in den Zeiten der Krise aufeinander angewiesen.

Eine zweite Erkenntnis hat sich erfreulicherweise ebenfalls durchgesetzt: Ohne ein gewisses Maß an Kontrollen und Aufsicht geht es nicht, der freie Markt braucht Regeln und es müssen die dafür notwendigen Instrumente geschaffen, beziehungsweise bestehende Instrumente und Institutionen gestärkt werden.

Und zum dritten ist es eine kluge Entscheidung, den Entwicklungs- und Schwellenländern Geld zur Verfügung zu stellen, um die Auswirkungen der Krise abzumildern. Insoweit hat der britische Premierminister Brown schon Recht. "Dies ist der Tag", sagte er, "an dem die Welt zusammengekommen ist, um eine globale Rezession zu bekämpfen." Und es ist der amerikanische Präsident, der dies um den Hinweis ergänzt, dass neben der Wirtschaftskrise auch der Klimawandel bekämpft werden muss. Gemeinsam.

Nach acht verheerenden Bush-Jahren hat sich der Ton der US-Regierung geändert. Kooperation statt Konfrontation. Das alleine ist noch kein Erfolgsrezept, denn was wir derzeit erleben, ist ohne Beispiel in der Geschichte. Die Ingenieure der Weltfinanzen haben die finanzielle und wirtschaftliche Kernschmelze noch lange nicht im Griff, die Endlagerstätten für die giftigen Kredite sind längst nicht gefunden – und ob sie sicher sind, auch das ist ungewiss. Vor allem aber: Die Milliarden Euro, die sich längst zu Billionen angehäuft haben, sind eine schwere Hypothek. Was da in den Finanzkreislauf der Welt gesteckt wird, tun wir auf Pump. Dahinter steht nichts, lediglich die Druckmaschine. Eines fernen Tages werden wir das bezahlen müssen, oder unsere Kinder und Enkel. Und deshalb hat Sloterdijk Recht, wir dürften nicht nur auf Staats- und Regierungschefs warten, wir müssen unser Leben ändern. Immer so weiter und immer mehr, das geht nicht mehr – darin aber liegt die Chance der Krise. Wir müssen sie nur erkennen und handeln.