Die CDU: konservativ - oder was?

Von Gerd Langguth · 27.08.2007
Während sich die SPD mit der neuen Linkspartei herumquält, wird in der CDU diskutiert, ob sie sich sanft aber langsam von ihrem konservativen Erbe verabschiedet. "Konservative" Stammwähler fühlen sich immer weniger von ihrer Partei repräsentiert.
Auch für die CDU gibt es die Gefahr eines Wählerschwundes, zumal viele für ihre wichtigen Themen etwa zur Ausländerintegration oder hinsichtlich marktwirtschaftlicher Reformen keine einflussreichen innerparteilichen Fürsprecher mehr zu finden scheinen.

Das "bürgerliche Lager" löst sich zudem – wie alle klassischen Milieus - immer mehr auf. Schon in der Kohl-Ära sind bei den Christdemokraten christlich geprägte oder gar "konservative" Verhaltenssicherheiten rar geworden. An ihre Stelle trat so etwas wie ein pragmatischer Liberalismus mit einigen konservativen, aber auch explizit modernen Elementen. Die Parteivorsitzende Merkel, alles andere als eine Konservative herkömmlicher westdeutscher Art, hat diese Entwicklung nicht ausgelöst, wohl aber verstärkt sie diese. Das Erfolgsgeheimnis der CDU war indes, dass sie sich auch um die Sorgen der "kleinen Leute" kümmerte und dass sie nie eine geschlossene, dogmatisierende Ideologie vertrat. So konnte sie heterogene Wählergruppen aus klein- und großbürgerlichen Milieus integrieren, Katholiken wie Protestanten, heimatliebende Konservative, Wirtschaftsliberale, Mittelständler oder katholische Arbeitnehmer. Welche sinnstiftende Idee vereinigt diese Gruppen heute?

Auch konservative Unions-Wähler verlangen in einer Zeit der Globalisierung die schützende Hand eines starken Staates, kurz: dass die inzwischen auch in bürgerlichen Kreisen angekommenen politischen Unsicherheitsgefühle ernst genommen werden. Da scheint es den Unions-Strategen schwer, die reine Lehre der Ordnungspolitik einer Sozialen Marktwirtschaft zu vertreten, wenn etwa die Ministerpräsidenten Althaus und Müller, sekundiert vom Verbraucherminister Seehofer, beim Steigen der Milchpreise sofort nach dem Staat rufen und die Erhöhung der Zuwendungen an Hartz-IV-Empfänger fordern. Solche Äußerungen sind Reaktionen auf Umfragen, nach denen sogar sechzig Prozent der Unionswähler befinden, die Regierung tue zu wenig für die soziale Gerechtigkeit.

Es gibt andererseits Stimmen in der Union, die ihr eine unverwechselbare konservative politische Linie empfehlen. Sicher wüsste man allzu gerne, was eine christlich-demokratische Partei nicht nur abstrakt zur Ausländerintegration denkt, sondern wie sie konkret etwa mit überdimensionierten Moscheebauten umgeht. Doch bei einem harten konservativen und marktradikalen Kurs würde die Union unter dreißig Prozent fallen. Allerdings wird nicht bestritten werden können, dass es prinzipielle Unterschiede des Politikverständnisses der beiden großen Parteien gibt: Ordnungspolitisch ist die CDU in einzelnen Politikfeldern – etwa in der Gesundheitspolitik, der Vermögenspolitik oder auch im Zusammenhang mit dem so stark propagierten und populären Mindestlohn – für weniger Staat als die SPD.

Zwei Drittel der Unionsanhänger wünschen sich nach einer "Zeit"-Umfrage, der Staat solle mehr für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren tun. Ursula von der Leyen will durch mehr Krippenplätze Familie ermöglichen. Ist sie deswegen eine Sozialdemokratin? Sicher nicht, wenn sie will, dass den Frauen echte Wahlfreiheit ermöglicht wird, Familie, Kinderwunsch und Beruf in Einklang zu bringen. Alles andere als "konservativ" wäre es, würde die Union zu denjenigen gehören, die die Entscheidung mancher Eltern, bewusst auf das Angebot an Krippenplätzen zu verzichten, hintertreiben.

Die Union war immer eine Bündnispartei, die sich aus sozialen, liberalen und konservativen Quellen und Traditionen speiste. Doch hat sie – nach dem verkündeten Auszug von Merz aus der Fraktion – noch sprachfähige, einflussreiche und anerkannte "Konservative" in ihren Reihen?
CDU und Merkel dürfen sich nicht im politischen Lehnstuhl ausruhen. Das Umfragehoch für die Kanzlerin und ihre Partei resultiert nur teilweise aus der Regierungsarbeit, sondern aus der Schwäche einer tief verunsicherten SPD. Merkel ist eine pragmatische Problemlöserin, die sich an den jeweils aktuellen Herausforderungen orientiert. "Ideologie" ist ihr fremd. Das ist es, was klassischen Konservativen an ihr fehlt. Als "Virtuosin der Macht" hat Merkel derzeit ihre Partei fest im Griff. Sie ist heute dort so einflussreich, wie Kohl in seinen besten Tagen. Merkel ist in der Gefahr, dass sie bei ihrer "neutralisierenden" Wirkung als oberste Moderatorin der Regierung nicht genügend Wert auf die Kampagnefähigkeit ihrer eigenen Partei legt. Trotz Großer Koalition muss die Seele einer Partei erkennbar bleiben. Stark rückläufige Mitgliederzahlen sind ein Alarmsignal! Merkel und Pofalla: Hört die Signale!


Gerd Langguth wurde 1946 in Wertheim am Main geboren. Nach dem Studium der Politischen Wissenschaften, des Staatsrechts und der Geschichte in Bonn und seiner Promotion mit der Arbeit "Die Entwicklung der Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968 bis 1975" war Langguth u. a. Mitglied des Deutschen Bundestages (1976 bis 1980) und Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung (1981 bis 1985). Von 1993 bis 1997 war er Geschäftsführender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Gerd Langguth ist Träger des Hermann-Ehlers-Förderpreises. Veröffentlichungen u. a.: "Suche nach Sicherheiten - Ein Psychogramm der Deutschen", "Die Intellektuellen und die nationale Frage" (Hg.), Mythos ‚68 – Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke – Ursachen und Folgen der Studentenbewegung" sowie "Das Innenleben der Macht. Krise und Zukunft der CDU".